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Menger, Carl: Die Irrthümer des Historismus in der deutschen Nationalökonomie. Wien, 1884.

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Dieser für die Entwicklung der Theorie der
Volkswirthschaft verderblich gewordenen Einseitigkeit
entgegenzutreten, hatte ich mir zur Aufgabe gestellt.
Nicht als ob ich den Nutzen und die Bedeutung
historischer und statistischer Forschungen auf dem
Gebiete der Volkswirthschaft an sich, oder als Hilfs-
wissenschaften der theoretischen Volkswirthschaftslehre
jemals verkannt oder auch nur unterschätzt hätte; im
Gegentheile, ich habe die Wichtigkeit dieser Richtungen
des Erkenntnissstrebens auf nationalökonomischem
Gebiete mit nicht misszuverstehender Rückhaltlosigkeit
anerkannt. Was ich an den Bestrebungen jener grossen
Gruppe deutscher Fachgenossen, welche unter dem
Collectivnamen der historischen Schule deutscher
Nationalökonomen eine so hervorragende Stellung in
der neueren volkswirthschaftlichen Literatur Deutsch-
lands einnehmen, zu bemängeln fand, war die Einseitig-
keit, mit welcher dieselben ihre geistige Kraft zum
Theile nur historischen und statistischen Studien, also
der Bearbeitung von Hilfswissenschaften der politischen
Oekonomie, zuwenden, die einer Reform dringend be-
dürftige Theorie unserer Wissenschaft jedoch auf das
Bedauerlichste vernachlässigen, zum Theile sogar der
theoretischen Forschung auf dem Gebiete der Volks-
wirthschaft mit missverständlicher Geringschätzung
entgegentreten, als wäre die historische Forschung
allein berechtigt auf dem Gebiete der Volkswirthschaft.

Die historische Schule deutscher Volkswirthe
gab auch in einer anderen verwandten Rücksicht zu
mancherlei Bedenken Anlass. Hervorragende Vertreter
derselben liessen jede strengere Trennung der theoreti-
schen und praktischen Wissenschaften von der Volks-
wirthschaft vermissen; nicht nur in den meisten neueren
Lehrgebäuden unserer Wissenschaft, also in der Praxis

Dieser für die Entwicklung der Theorie der
Volkswirthschaft verderblich gewordenen Einseitigkeit
entgegenzutreten, hatte ich mir zur Aufgabe gestellt.
Nicht als ob ich den Nutzen und die Bedeutung
historischer und statistischer Forschungen auf dem
Gebiete der Volkswirthschaft an sich, oder als Hilfs-
wissenschaften der theoretischen Volkswirthschaftslehre
jemals verkannt oder auch nur unterschätzt hätte; im
Gegentheile, ich habe die Wichtigkeit dieser Richtungen
des Erkenntnissstrebens auf nationalökonomischem
Gebiete mit nicht misszuverstehender Rückhaltlosigkeit
anerkannt. Was ich an den Bestrebungen jener grossen
Gruppe deutscher Fachgenossen, welche unter dem
Collectivnamen der historischen Schule deutscher
Nationalökonomen eine so hervorragende Stellung in
der neueren volkswirthschaftlichen Literatur Deutsch-
lands einnehmen, zu bemängeln fand, war die Einseitig-
keit, mit welcher dieselben ihre geistige Kraft zum
Theile nur historischen und statistischen Studien, also
der Bearbeitung von Hilfswissenschaften der politischen
Oekonomie, zuwenden, die einer Reform dringend be-
dürftige Theorie unserer Wissenschaft jedoch auf das
Bedauerlichste vernachlässigen, zum Theile sogar der
theoretischen Forschung auf dem Gebiete der Volks-
wirthschaft mit missverständlicher Geringschätzung
entgegentreten, als wäre die historische Forschung
allein berechtigt auf dem Gebiete der Volkswirthschaft.

Die historische Schule deutscher Volkswirthe
gab auch in einer anderen verwandten Rücksicht zu
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schen und praktischen Wissenschaften von der Volks-
wirthschaft vermissen; nicht nur in den meisten neueren
Lehrgebäuden unserer Wissenschaft, also in der Praxis

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[13/0029] Dieser für die Entwicklung der Theorie der Volkswirthschaft verderblich gewordenen Einseitigkeit entgegenzutreten, hatte ich mir zur Aufgabe gestellt. Nicht als ob ich den Nutzen und die Bedeutung historischer und statistischer Forschungen auf dem Gebiete der Volkswirthschaft an sich, oder als Hilfs- wissenschaften der theoretischen Volkswirthschaftslehre jemals verkannt oder auch nur unterschätzt hätte; im Gegentheile, ich habe die Wichtigkeit dieser Richtungen des Erkenntnissstrebens auf nationalökonomischem Gebiete mit nicht misszuverstehender Rückhaltlosigkeit anerkannt. Was ich an den Bestrebungen jener grossen Gruppe deutscher Fachgenossen, welche unter dem Collectivnamen der historischen Schule deutscher Nationalökonomen eine so hervorragende Stellung in der neueren volkswirthschaftlichen Literatur Deutsch- lands einnehmen, zu bemängeln fand, war die Einseitig- keit, mit welcher dieselben ihre geistige Kraft zum Theile nur historischen und statistischen Studien, also der Bearbeitung von Hilfswissenschaften der politischen Oekonomie, zuwenden, die einer Reform dringend be- dürftige Theorie unserer Wissenschaft jedoch auf das Bedauerlichste vernachlässigen, zum Theile sogar der theoretischen Forschung auf dem Gebiete der Volks- wirthschaft mit missverständlicher Geringschätzung entgegentreten, als wäre die historische Forschung allein berechtigt auf dem Gebiete der Volkswirthschaft. Die historische Schule deutscher Volkswirthe gab auch in einer anderen verwandten Rücksicht zu mancherlei Bedenken Anlass. Hervorragende Vertreter derselben liessen jede strengere Trennung der theoreti- schen und praktischen Wissenschaften von der Volks- wirthschaft vermissen; nicht nur in den meisten neueren Lehrgebäuden unserer Wissenschaft, also in der Praxis

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Zitationshilfe: Menger, Carl: Die Irrthümer des Historismus in der deutschen Nationalökonomie. Wien, 1884, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menger_historismus_1884/29>, abgerufen am 29.03.2024.