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Mendel, Gregor: Versuche über Pflanzen-Hybriden. In: Verhandlungen des Naturforschenden Vereines in Brünn 4 (1866), S. 3-47.

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sich mit den erwähnten Ausnahms-Fällen. Gärtner gesteht selbst, dass
die genaue Bestimmung, ob eine Form mehr der einen oder der ande-
ren von den beiden Stammarten ähnlich sei, öfter grosse Schwierigkei-
ten habe, indem dabei sehr viel auf die subjective Anschauung des
Beobachters ankommt. Es konnte jedoch auch ein anderer Umstand
dazu beitragen, dass die Resultate trotz der sorgfaltigsten Beobachtung
und Unterscheidung schwankend und unsicher wurden. Für die Ver-
suche dienten grösstentheils Pflanzen, welche als gute Arten gelten und
in einer grösseren Anzahl von Merkmalen verschieden sind. Nebst den
scharf hervortretenden Characteren müssen da, wo es sich im Allge-
meinen um eine grössere oder geringere Aehnlichkeit handelt, auch jene
Merkmale eingerechnet werden, welche oft schwer mit Worten zu fas-
sen sind, aber dennoch hinreichen, wie jeder Pflanzenkenner weiss, um
den Formen ein fremdartiges Aussehen zu geben. Wird angenommen,
dass die Entwicklung der Hybriden nach dem für Pisum geltenden Ge-
setze erfolgte, so musste die Reihe bei jedem einzelnen Versuche sehr
viele Formen umfassen, da die Gliederzahl bekanntlich mit der An-
zahl der differirenden Merkmale nach den Potenzen von 3 zunimmt. Bei
einer verhältnissmässig kleinen Anzahl von Versuchspflanzen konnte dann
das Resultat nur annähernd richtig sein und in einzelnen Fällen nicht
unbedeutend abweichen. Wären z. B. die beiden Stammarten in 7 Merk-
malen verschieden, und würden aus den Samen ihrer Hybriden zur Be-
urtheilung des Verwandtschafts-Grades der Nachkommen 100 bis 200
Pflanzen gezogen, so sehen wir leicht ein, wie unsicher das Urtheil
ausfallen müsste, da für 7 differirende Merkmale die Entwicklungsreihe
16,384 Individuen unter 2187 verschiedenen Formen enthält. Es könnte
sich bald die eine, bald die andere Verwandtschaft mehr geltend ma-
chen, je nachdem der Zufall dem Beobachter diese oder jene Formen
in grösserer Anzahl in die Hand spielt.

Kommen ferner unter den differirenden Merkmalen zugleich do-
minirende
vor, welche ganz oder fast unverändert auf die Hybride
übergehen, dann muss an den Gliedern der Entwicklungsreihe immer
jene der beiden Stammarten mehr hervortreten, welche die grössere
Anzahl der dominirenden Merkmale besitzt. In dem früher bei Pisum
für dreierlei differirende Merkmale angeführten Versuche gehörten die
dominirenden Charactere sämmtlich der Samenpflanze an. Obwohl die
Glieder der Reihe sich ihrer inneren Beschaffenheit nach gleichmässig

sich mit den erwähnten Ausnahms-Fällen. Gärtner gesteht selbst, dass
die genaue Bestimmung, ob eine Form mehr der einen oder der ande-
ren von den beiden Stammarten ähnlich sei, öfter grosse Schwierigkei-
ten habe, indem dabei sehr viel auf die subjective Anschauung des
Beobachters ankommt. Es konnte jedoch auch ein anderer Umstand
dazu beitragen, dass die Resultate trotz der sorgfaltigsten Beobachtung
und Unterscheidung schwankend und unsicher wurden. Für die Ver-
suche dienten grösstentheils Pflanzen, welche als gute Arten gelten und
in einer grösseren Anzahl von Merkmalen verschieden sind. Nebst den
scharf hervortretenden Characteren müssen da, wo es sich im Allge-
meinen um eine grössere oder geringere Aehnlichkeit handelt, auch jene
Merkmale eingerechnet werden, welche oft schwer mit Worten zu fas-
sen sind, aber dennoch hinreichen, wie jeder Pflanzenkenner weiss, um
den Formen ein fremdartiges Aussehen zu geben. Wird angenommen,
dass die Entwicklung der Hybriden nach dem für Pisum geltenden Ge-
setze erfolgte, so musste die Reihe bei jedem einzelnen Versuche sehr
viele Formen umfassen, da die Gliederzahl bekanntlich mit der An-
zahl der differirenden Merkmale nach den Potenzen von 3 zunimmt. Bei
einer verhältnissmässig kleinen Anzahl von Versuchspflanzen konnte dann
das Resultat nur annähernd richtig sein und in einzelnen Fällen nicht
unbedeutend abweichen. Wären z. B. die beiden Stammarten in 7 Merk-
malen verschieden, und würden aus den Samen ihrer Hybriden zur Be-
urtheilung des Verwandtschafts-Grades der Nachkommen 100 bis 200
Pflanzen gezogen, so sehen wir leicht ein, wie unsicher das Urtheil
ausfallen müsste, da für 7 differirende Merkmale die Entwicklungsreihe
16,384 Individuen unter 2187 verschiedenen Formen enthält. Es könnte
sich bald die eine, bald die andere Verwandtschaft mehr geltend ma-
chen, je nachdem der Zufall dem Beobachter diese oder jene Formen
in grösserer Anzahl in die Hand spielt.

Kommen ferner unter den differirenden Merkmalen zugleich do-
minirende
vor, welche ganz oder fast unverändert auf die Hybride
übergehen, dann muss an den Gliedern der Entwicklungsreihe immer
jene der beiden Stammarten mehr hervortreten, welche die grössere
Anzahl der dominirenden Merkmale besitzt. In dem früher bei Pisum
für dreierlei differirende Merkmale angeführten Versuche gehörten die
dominirenden Charactere sämmtlich der Samenpflanze an. Obwohl die
Glieder der Reihe sich ihrer inneren Beschaffenheit nach gleichmässig

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[39/0050] sich mit den erwähnten Ausnahms-Fällen. Gärtner gesteht selbst, dass die genaue Bestimmung, ob eine Form mehr der einen oder der ande- ren von den beiden Stammarten ähnlich sei, öfter grosse Schwierigkei- ten habe, indem dabei sehr viel auf die subjective Anschauung des Beobachters ankommt. Es konnte jedoch auch ein anderer Umstand dazu beitragen, dass die Resultate trotz der sorgfaltigsten Beobachtung und Unterscheidung schwankend und unsicher wurden. Für die Ver- suche dienten grösstentheils Pflanzen, welche als gute Arten gelten und in einer grösseren Anzahl von Merkmalen verschieden sind. Nebst den scharf hervortretenden Characteren müssen da, wo es sich im Allge- meinen um eine grössere oder geringere Aehnlichkeit handelt, auch jene Merkmale eingerechnet werden, welche oft schwer mit Worten zu fas- sen sind, aber dennoch hinreichen, wie jeder Pflanzenkenner weiss, um den Formen ein fremdartiges Aussehen zu geben. Wird angenommen, dass die Entwicklung der Hybriden nach dem für Pisum geltenden Ge- setze erfolgte, so musste die Reihe bei jedem einzelnen Versuche sehr viele Formen umfassen, da die Gliederzahl bekanntlich mit der An- zahl der differirenden Merkmale nach den Potenzen von 3 zunimmt. Bei einer verhältnissmässig kleinen Anzahl von Versuchspflanzen konnte dann das Resultat nur annähernd richtig sein und in einzelnen Fällen nicht unbedeutend abweichen. Wären z. B. die beiden Stammarten in 7 Merk- malen verschieden, und würden aus den Samen ihrer Hybriden zur Be- urtheilung des Verwandtschafts-Grades der Nachkommen 100 bis 200 Pflanzen gezogen, so sehen wir leicht ein, wie unsicher das Urtheil ausfallen müsste, da für 7 differirende Merkmale die Entwicklungsreihe 16,384 Individuen unter 2187 verschiedenen Formen enthält. Es könnte sich bald die eine, bald die andere Verwandtschaft mehr geltend ma- chen, je nachdem der Zufall dem Beobachter diese oder jene Formen in grösserer Anzahl in die Hand spielt. Kommen ferner unter den differirenden Merkmalen zugleich do- minirende vor, welche ganz oder fast unverändert auf die Hybride übergehen, dann muss an den Gliedern der Entwicklungsreihe immer jene der beiden Stammarten mehr hervortreten, welche die grössere Anzahl der dominirenden Merkmale besitzt. In dem früher bei Pisum für dreierlei differirende Merkmale angeführten Versuche gehörten die dominirenden Charactere sämmtlich der Samenpflanze an. Obwohl die Glieder der Reihe sich ihrer inneren Beschaffenheit nach gleichmässig

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Zitationshilfe: Mendel, Gregor: Versuche über Pflanzen-Hybriden. In: Verhandlungen des Naturforschenden Vereines in Brünn 4 (1866), S. 3-47, hier S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendel_pflanzenhybriden_1866/50>, abgerufen am 29.03.2024.