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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

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Kosten. Beide waren auch nicht vergebens
angewandt. Das Mädchen hatte, als sie
herangewachsen, alle Eigenschaften, die man
jezt von einem wohlgebildeten Frauenzimmer
fordert; und besaß überdieß noch ein gutes,
unverdorbenes Herz. Kein Wunder daher,
daß dieses reizende Geschöpf bald ein Augen-
merk vieler junger Männer ward; und daß
manche Mütter bei ihrem Anblick mit sehnli-
chem Wunsch an die Lieblinge unter ihren
Söhnen dachten.

Jezt, als sie so eben kaum zur völligen
Blüthe gekommen war, bewarben sich zwei
Kaufleute um sie. Auch hier fand sich der
so gewöhnliche Fall: daß der angenehmere
Mann nicht reich, der Reichere nicht angenehm
war; daß dieser an den Vater, jener ans
Mädchen selbst sich wendete; und daß die-
ser älterliche Vertröstung, jener aber Gegen-
liebe erhielt. Als der Vater, in der Person
seines Begünstigten, der Tochter einen künfti-
gen Gemal vorstellte, sparte diese weder Bit-
ten, noch Gründe, noch Schmeicheleien um ihn

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Koſten. Beide waren auch nicht vergebens
angewandt. Das Maͤdchen hatte, als ſie
herangewachſen, alle Eigenſchaften, die man
jezt von einem wohlgebildeten Frauenzimmer
fordert; und beſaß uͤberdieß noch ein gutes,
unverdorbenes Herz. Kein Wunder daher,
daß dieſes reizende Geſchoͤpf bald ein Augen-
merk vieler junger Maͤnner ward; und daß
manche Muͤtter bei ihrem Anblick mit ſehnli-
chem Wunſch an die Lieblinge unter ihren
Soͤhnen dachten.

Jezt, als ſie ſo eben kaum zur voͤlligen
Bluͤthe gekommen war, bewarben ſich zwei
Kaufleute um ſie. Auch hier fand ſich der
ſo gewoͤhnliche Fall: daß der angenehmere
Mann nicht reich, der Reichere nicht angenehm
war; daß dieſer an den Vater, jener ans
Maͤdchen ſelbſt ſich wendete; und daß die-
ſer aͤlterliche Vertroͤſtung, jener aber Gegen-
liebe erhielt. Als der Vater, in der Perſon
ſeines Beguͤnſtigten, der Tochter einen kuͤnfti-
gen Gemal vorſtellte, ſparte dieſe weder Bit-
ten, noch Gruͤnde, noch Schmeicheleien um ihn

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[9/0017] Koſten. Beide waren auch nicht vergebens angewandt. Das Maͤdchen hatte, als ſie herangewachſen, alle Eigenſchaften, die man jezt von einem wohlgebildeten Frauenzimmer fordert; und beſaß uͤberdieß noch ein gutes, unverdorbenes Herz. Kein Wunder daher, daß dieſes reizende Geſchoͤpf bald ein Augen- merk vieler junger Maͤnner ward; und daß manche Muͤtter bei ihrem Anblick mit ſehnli- chem Wunſch an die Lieblinge unter ihren Soͤhnen dachten. Jezt, als ſie ſo eben kaum zur voͤlligen Bluͤthe gekommen war, bewarben ſich zwei Kaufleute um ſie. Auch hier fand ſich der ſo gewoͤhnliche Fall: daß der angenehmere Mann nicht reich, der Reichere nicht angenehm war; daß dieſer an den Vater, jener ans Maͤdchen ſelbſt ſich wendete; und daß die- ſer aͤlterliche Vertroͤſtung, jener aber Gegen- liebe erhielt. Als der Vater, in der Perſon ſeines Beguͤnſtigten, der Tochter einen kuͤnfti- gen Gemal vorſtellte, ſparte dieſe weder Bit- ten, noch Gruͤnde, noch Schmeicheleien um ihn A 5

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Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/17>, abgerufen am 28.03.2024.