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Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904.

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sich da feine und zum Teile auch eigenartige Beobachtungen
über das Wesen des genialen Menschen, bis wieder ein
mehr als gewagtes Salto mortale die ganze Betrachtung
zerreißt.

Schon die Behauptung, daß das geniale Bewußtsein
das vom "Henidenstadium" (vom Stadium der verschwommenen,
mehr instinktiven als intellektuellen Vorstellungen)
am weitesten entfernte sei, ist sehr zu bezweifeln: ist doch
das Phänomen der halluzinativen, visionären Genialität
und Produktionsfähigkeit zahllose Male beobachtet worden,
ja es ist fast als typisch zu betrachten, da bei den meisten
und bedeutendsten unter den "Schaffenden" der Zustand
der Produktion fast immer von einer Art visionärer Entzücktheit
getragen ist, die weitab liegt von "grellster Klarheit
und Helle" mit der derselbe Schaffende sich vielleicht als
Kritiker betätigen kann. Wenn nur gar aus dieser Behauptung,
die sich durchaus nicht als stichhältig erweist, gefolgert
wird, Genialität offenbare sich als eine Art höherer
Männlichkeit und "darum" könne W nicht genial sein, so
ist dies gewiß eine fast kindische Dialektik zu nennen, die
sich der abstrakten Spekulation entrückt, und ins Licht der
realen Wirklichkeit gestellt, an ihren gewaltsam aneinandergeschraubten
Zusammenhängen erkenntlich macht. Die auf
das Weib sich beziehende Schlußresumierung der aus der
ganzen Theorie gewonnenen Resultate zeigt den traurigen
Mut einer kaum glaublichen Unverfrorenheit: die Frau bringe
der Genialität kein anderes Verständnis entgegen, als eines,
das sich eventuell an die Persönlichkeit eines noch lebenden
Trägers knüpft!

Aus solchen Aussprüchen, aus denen sich der auf
Tatsachen sich beziehende und berufende Teil dieses Buches
zusammensetzt und die deswegen in Debatte gezogen werden
müssen, erhellt ein klägliches Abgleiten und Danebengreifen,
sowie das nachgiebige Gebiet der Spekulation verlassen und

sich da feine und zum Teile auch eigenartige Beobachtungen
über das Wesen des genialen Menschen, bis wieder ein
mehr als gewagtes Salto mortale die ganze Betrachtung
zerreißt.

Schon die Behauptung, daß das geniale Bewußtsein
das vom »Henidenstadium« (vom Stadium der verschwommenen,
mehr instinktiven als intellektuellen Vorstellungen)
am weitesten entfernte sei, ist sehr zu bezweifeln: ist doch
das Phänomen der halluzinativen, visionären Genialität
und Produktionsfähigkeit zahllose Male beobachtet worden,
ja es ist fast als typisch zu betrachten, da bei den meisten
und bedeutendsten unter den »Schaffenden« der Zustand
der Produktion fast immer von einer Art visionärer Entzücktheit
getragen ist, die weitab liegt von »grellster Klarheit
und Helle« mit der derselbe Schaffende sich vielleicht als
Kritiker betätigen kann. Wenn nur gar aus dieser Behauptung,
die sich durchaus nicht als stichhältig erweist, gefolgert
wird, Genialität offenbare sich als eine Art höherer
Männlichkeit und »darum« könne W nicht genial sein, so
ist dies gewiß eine fast kindische Dialektik zu nennen, die
sich der abstrakten Spekulation entrückt, und ins Licht der
realen Wirklichkeit gestellt, an ihren gewaltsam aneinandergeschraubten
Zusammenhängen erkenntlich macht. Die auf
das Weib sich beziehende Schlußresumierung der aus der
ganzen Theorie gewonnenen Resultate zeigt den traurigen
Mut einer kaum glaublichen Unverfrorenheit: die Frau bringe
der Genialität kein anderes Verständnis entgegen, als eines,
das sich eventuell an die Persönlichkeit eines noch lebenden
Trägers knüpft!

Aus solchen Aussprüchen, aus denen sich der auf
Tatsachen sich beziehende und berufende Teil dieses Buches
zusammensetzt und die deswegen in Debatte gezogen werden
müssen, erhellt ein klägliches Abgleiten und Danebengreifen,
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[32/0038] sich da feine und zum Teile auch eigenartige Beobachtungen über das Wesen des genialen Menschen, bis wieder ein mehr als gewagtes Salto mortale die ganze Betrachtung zerreißt. Schon die Behauptung, daß das geniale Bewußtsein das vom »Henidenstadium« (vom Stadium der verschwommenen, mehr instinktiven als intellektuellen Vorstellungen) am weitesten entfernte sei, ist sehr zu bezweifeln: ist doch das Phänomen der halluzinativen, visionären Genialität und Produktionsfähigkeit zahllose Male beobachtet worden, ja es ist fast als typisch zu betrachten, da bei den meisten und bedeutendsten unter den »Schaffenden« der Zustand der Produktion fast immer von einer Art visionärer Entzücktheit getragen ist, die weitab liegt von »grellster Klarheit und Helle« mit der derselbe Schaffende sich vielleicht als Kritiker betätigen kann. Wenn nur gar aus dieser Behauptung, die sich durchaus nicht als stichhältig erweist, gefolgert wird, Genialität offenbare sich als eine Art höherer Männlichkeit und »darum« könne W nicht genial sein, so ist dies gewiß eine fast kindische Dialektik zu nennen, die sich der abstrakten Spekulation entrückt, und ins Licht der realen Wirklichkeit gestellt, an ihren gewaltsam aneinandergeschraubten Zusammenhängen erkenntlich macht. Die auf das Weib sich beziehende Schlußresumierung der aus der ganzen Theorie gewonnenen Resultate zeigt den traurigen Mut einer kaum glaublichen Unverfrorenheit: die Frau bringe der Genialität kein anderes Verständnis entgegen, als eines, das sich eventuell an die Persönlichkeit eines noch lebenden Trägers knüpft! Aus solchen Aussprüchen, aus denen sich der auf Tatsachen sich beziehende und berufende Teil dieses Buches zusammensetzt und die deswegen in Debatte gezogen werden müssen, erhellt ein klägliches Abgleiten und Danebengreifen, sowie das nachgiebige Gebiet der Spekulation verlassen und

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Zitationshilfe: Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meiselhess_weiberhass_1904/38>, abgerufen am 23.04.2024.