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Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904.

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könnte es auch niemals ein weibliches Genie geben, -
"denn" - wie könnte ein seelenloses Wesen Genie haben?

Gewiß eine klappende, - klappernde Logik, eine Logik
mit gebrochenen Gelenken und durcheinander geschüttelten
Gliedern!

"Das" Weib lebt weniger bewußt als "der" Mann!
Ja, vielleicht, - unter ganz bestimmten Verhältnissen. In
vollkommen geschützten Bourgeoiskreisen vielleicht, wo die
Tätigkeit der Frau sich ausschließlich auf ihr häusliches
Milieu beschränkt, während der Mann durch seinen Beruf
im Kontakt mit dem Leben steht und daher - vielleicht -
eine "bewußtere" Existenz führt als sie. Aber wie steht's
zum Beispiel beim Arbeiter, wo der Mann nicht Handel,
Industrie, Wissenschaft oder Kunst, sondern aufreibende,
schwere Taglöhnerarbeit betreibt? Führt er auch ein "bewußteres"
Leben als "das Weib", oder leben sie nicht etwa
beide (soferne noch kein frischer Windzug politischer Stellungnahme
zu ihnen gedrungen ist) ein dumpfes, stumpfes, erkenntnisloses
und qualenreiches Frohndasein?! Der Bäckergeselle
z. B., der, wie jüngst durch eine Enquete eruiert wurde,
in manchen Fällen von Abends 8 Uhr bis Mittags 12 Uhr
beim Teigtrog steht, dann von 12 bis 8 Uhr den notwendigsten
Schlaf nachholt und um 8 Uhr wieder in die Backstube
geht, lebt er etwa ein "bewußteres" Dasein als "das" Weib?!

Alle diese Einzelheiten zeigen aber deutlich, daß es
sich überall darum handelt, gerade den frischen Luftzug
einer maßvollen Betätigung, eines Berufes, der nicht den
ganzen Menschen frißt, der ihm Zeit läßt zur Selbstbestimmung
und zum Kontakt mit der Welt und ihn dabei menschenwürdig
ernährt, den Menschen erringen zu helfen, um ihnen
eine Seele zu geben
. Weder im abgesperrten Heim, noch
im Ghetto, noch am Teigtrog läßt sich "Seele" erwerben,
kann sich Intellegiblität entwickeln.

[Abbildung]

könnte es auch niemals ein weibliches Genie geben, –
»denn« – wie könnte ein seelenloses Wesen Genie haben?

Gewiß eine klappende, – klappernde Logik, eine Logik
mit gebrochenen Gelenken und durcheinander geschüttelten
Gliedern!

»Das« Weib lebt weniger bewußt als »der« Mann!
Ja, vielleicht, – unter ganz bestimmten Verhältnissen. In
vollkommen geschützten Bourgeoiskreisen vielleicht, wo die
Tätigkeit der Frau sich ausschließlich auf ihr häusliches
Milieu beschränkt, während der Mann durch seinen Beruf
im Kontakt mit dem Leben steht und daher – vielleicht –
eine »bewußtere« Existenz führt als sie. Aber wie steht's
zum Beispiel beim Arbeiter, wo der Mann nicht Handel,
Industrie, Wissenschaft oder Kunst, sondern aufreibende,
schwere Taglöhnerarbeit betreibt? Führt er auch ein »bewußteres«
Leben als »das Weib«, oder leben sie nicht etwa
beide (soferne noch kein frischer Windzug politischer Stellungnahme
zu ihnen gedrungen ist) ein dumpfes, stumpfes, erkenntnisloses
und qualenreiches Frohndasein?! Der Bäckergeselle
z. B., der, wie jüngst durch eine Enquête eruiert wurde,
in manchen Fällen von Abends 8 Uhr bis Mittags 12 Uhr
beim Teigtrog steht, dann von 12 bis 8 Uhr den notwendigsten
Schlaf nachholt und um 8 Uhr wieder in die Backstube
geht, lebt er etwa ein »bewußteres« Dasein als »das« Weib?!

Alle diese Einzelheiten zeigen aber deutlich, daß es
sich überall darum handelt, gerade den frischen Luftzug
einer maßvollen Betätigung, eines Berufes, der nicht den
ganzen Menschen frißt, der ihm Zeit läßt zur Selbstbestimmung
und zum Kontakt mit der Welt und ihn dabei menschenwürdig
ernährt, den Menschen erringen zu helfen, um ihnen
eine Seele zu geben
. Weder im abgesperrten Heim, noch
im Ghetto, noch am Teigtrog läßt sich »Seele« erwerben,
kann sich Intellegiblität entwickeln.

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[30/0036] könnte es auch niemals ein weibliches Genie geben, – »denn« – wie könnte ein seelenloses Wesen Genie haben? Gewiß eine klappende, – klappernde Logik, eine Logik mit gebrochenen Gelenken und durcheinander geschüttelten Gliedern! »Das« Weib lebt weniger bewußt als »der« Mann! Ja, vielleicht, – unter ganz bestimmten Verhältnissen. In vollkommen geschützten Bourgeoiskreisen vielleicht, wo die Tätigkeit der Frau sich ausschließlich auf ihr häusliches Milieu beschränkt, während der Mann durch seinen Beruf im Kontakt mit dem Leben steht und daher – vielleicht – eine »bewußtere« Existenz führt als sie. Aber wie steht's zum Beispiel beim Arbeiter, wo der Mann nicht Handel, Industrie, Wissenschaft oder Kunst, sondern aufreibende, schwere Taglöhnerarbeit betreibt? Führt er auch ein »bewußteres« Leben als »das Weib«, oder leben sie nicht etwa beide (soferne noch kein frischer Windzug politischer Stellungnahme zu ihnen gedrungen ist) ein dumpfes, stumpfes, erkenntnisloses und qualenreiches Frohndasein?! Der Bäckergeselle z. B., der, wie jüngst durch eine Enquête eruiert wurde, in manchen Fällen von Abends 8 Uhr bis Mittags 12 Uhr beim Teigtrog steht, dann von 12 bis 8 Uhr den notwendigsten Schlaf nachholt und um 8 Uhr wieder in die Backstube geht, lebt er etwa ein »bewußteres« Dasein als »das« Weib?! Alle diese Einzelheiten zeigen aber deutlich, daß es sich überall darum handelt, gerade den frischen Luftzug einer maßvollen Betätigung, eines Berufes, der nicht den ganzen Menschen frißt, der ihm Zeit läßt zur Selbstbestimmung und zum Kontakt mit der Welt und ihn dabei menschenwürdig ernährt, den Menschen erringen zu helfen, um ihnen eine Seele zu geben. Weder im abgesperrten Heim, noch im Ghetto, noch am Teigtrog läßt sich »Seele« erwerben, kann sich Intellegiblität entwickeln. [Abbildung]

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Zitationshilfe: Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meiselhess_weiberhass_1904/36>, abgerufen am 18.04.2024.