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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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§ 35. Begriff und Umfang des öffentlichen Eigentums.
schaft über eine Sache ist nach öffentlichem Recht zu beurteilen,
wenn sie unmittelbar öffentliche Verwaltung vorstellt. Es besteht
überhaupt kein allgemeiner Rechtssatz dieses Inhalts. Bestünde er,
so könnte er doch nur dadurch zur Anwendung gebracht werden, daß
ihm aus den Anschauungen der Zeit die nötige Bestimmtheit gegeben
würde. Denn wann ist die Sache der Art, daß durch sie unmittelbar
der öffentliche Zweck erfüllt, öffentliche Verwaltung geführt wird?
Die jeweils herrschende Anschauung und schließlich das Meinen des
Einzelnen könnte da die Grenze sehr verschieden ziehen.

Im geltenden Rechte finden wir aber eine Reihe von Sachen als
öffentliche anerkannt mit der Wirkung, daß die rechtliche Herrschaft
über sie dem Civilrecht entzogen und nach öffentlichem Rechte be-
urteilt ist. Die Zuteilung zu dieser Klasse beruht zum Teil auf Auf-
zählungsversuchen unserer Gesetzbücher, die überall unvollkommen
genug ausgefallen sind (vgl. oben Note 9). Die Rechtsübung hat Er-
gänzungen dazu geliefert und Einschränkungen gemacht. Einflüsse
der geschichtlichen Vorstufen wirken dabei mit. Die Allmend, die
römischen res publicae, die res sacrae des kanonischen Rechts haben
Beiträge geliefert. Die Anwendungsfälle des Begriffes der öffentlichen
Sachen, wie sie im geltenden Recht sich darstellen, sind etwas ge-
schichtlich Gewordenes, Gegebenes; die Rechtswissenschaft hat sie
wieder nur zu beobachten und festzustellen. Durch eine einfache
Subsumtion unter die theoretischen Formeln sind sie nicht zu gewinnen.
Wir müssen uns wieder bei dem Standpunkte bescheiden, der für die Aus-
scheidung unserer Rechtsinstitute vom Civilrecht überhaupt gilt (oben
Bd. I S. 139).

Aber jene Rechtsidee ist der rote Faden, der durch diese Anwendungs-
fälle sich hindurchzieht. Sie wahren alle den Zusammenhang mit ihr,
wenn auch manchmal bloß durch Vermittlung einer früheren Auffassung
von der Bedeutung der Sache. Der Rechtsidee nach Gleichwertiges,
das neu auftritt, wird ohne formelle Rechtsgrundlagen in die nächsten
verwandten Rubriken untergebracht; das Gesetz selbst wird aus ihr
von der Rechtsübung ergänzt. Umgekehrt werden einzelne Anwendungs-
fälle, für die ein Zusammenhang mit ihr in keiner Weise mehr fest-
zustellen ist, im geltenden Rechte abgestoßen, manchmal selbst ent-
gegen dem ausdrücklichen Wortlaute des Gesetzes20.

20 Ein auffallendes Beispiel bietet das Schicksal der Aufzählung der öffent-
lichen Sachen in cod. civ. 537. Dort werden mit der technischen Bezeichnung für
das öffentliche Eigentum, domaine public, neben Straßen, Strömen u. s. w. auch
aufgeführt: der Grund und Boden verlassener Festungswerke, die vakanten Güter,

§ 35. Begriff und Umfang des öffentlichen Eigentums.
schaft über eine Sache ist nach öffentlichem Recht zu beurteilen,
wenn sie unmittelbar öffentliche Verwaltung vorstellt. Es besteht
überhaupt kein allgemeiner Rechtssatz dieses Inhalts. Bestünde er,
so könnte er doch nur dadurch zur Anwendung gebracht werden, daß
ihm aus den Anschauungen der Zeit die nötige Bestimmtheit gegeben
würde. Denn wann ist die Sache der Art, daß durch sie unmittelbar
der öffentliche Zweck erfüllt, öffentliche Verwaltung geführt wird?
Die jeweils herrschende Anschauung und schließlich das Meinen des
Einzelnen könnte da die Grenze sehr verschieden ziehen.

Im geltenden Rechte finden wir aber eine Reihe von Sachen als
öffentliche anerkannt mit der Wirkung, daß die rechtliche Herrschaft
über sie dem Civilrecht entzogen und nach öffentlichem Rechte be-
urteilt ist. Die Zuteilung zu dieser Klasse beruht zum Teil auf Auf-
zählungsversuchen unserer Gesetzbücher, die überall unvollkommen
genug ausgefallen sind (vgl. oben Note 9). Die Rechtsübung hat Er-
gänzungen dazu geliefert und Einschränkungen gemacht. Einflüsse
der geschichtlichen Vorstufen wirken dabei mit. Die Allmend, die
römischen res publicae, die res sacrae des kanonischen Rechts haben
Beiträge geliefert. Die Anwendungsfälle des Begriffes der öffentlichen
Sachen, wie sie im geltenden Recht sich darstellen, sind etwas ge-
schichtlich Gewordenes, Gegebenes; die Rechtswissenschaft hat sie
wieder nur zu beobachten und festzustellen. Durch eine einfache
Subsumtion unter die theoretischen Formeln sind sie nicht zu gewinnen.
Wir müssen uns wieder bei dem Standpunkte bescheiden, der für die Aus-
scheidung unserer Rechtsinstitute vom Civilrecht überhaupt gilt (oben
Bd. I S. 139).

Aber jene Rechtsidee ist der rote Faden, der durch diese Anwendungs-
fälle sich hindurchzieht. Sie wahren alle den Zusammenhang mit ihr,
wenn auch manchmal bloß durch Vermittlung einer früheren Auffassung
von der Bedeutung der Sache. Der Rechtsidee nach Gleichwertiges,
das neu auftritt, wird ohne formelle Rechtsgrundlagen in die nächsten
verwandten Rubriken untergebracht; das Gesetz selbst wird aus ihr
von der Rechtsübung ergänzt. Umgekehrt werden einzelne Anwendungs-
fälle, für die ein Zusammenhang mit ihr in keiner Weise mehr fest-
zustellen ist, im geltenden Rechte abgestoßen, manchmal selbst ent-
gegen dem ausdrücklichen Wortlaute des Gesetzes20.

20 Ein auffallendes Beispiel bietet das Schicksal der Aufzählung der öffent-
lichen Sachen in cod. civ. 537. Dort werden mit der technischen Bezeichnung für
das öffentliche Eigentum, domaine public, neben Straßen, Strömen u. s. w. auch
aufgeführt: der Grund und Boden verlassener Festungswerke, die vakanten Güter,
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[75/0087] § 35. Begriff und Umfang des öffentlichen Eigentums. schaft über eine Sache ist nach öffentlichem Recht zu beurteilen, wenn sie unmittelbar öffentliche Verwaltung vorstellt. Es besteht überhaupt kein allgemeiner Rechtssatz dieses Inhalts. Bestünde er, so könnte er doch nur dadurch zur Anwendung gebracht werden, daß ihm aus den Anschauungen der Zeit die nötige Bestimmtheit gegeben würde. Denn wann ist die Sache der Art, daß durch sie unmittelbar der öffentliche Zweck erfüllt, öffentliche Verwaltung geführt wird? Die jeweils herrschende Anschauung und schließlich das Meinen des Einzelnen könnte da die Grenze sehr verschieden ziehen. Im geltenden Rechte finden wir aber eine Reihe von Sachen als öffentliche anerkannt mit der Wirkung, daß die rechtliche Herrschaft über sie dem Civilrecht entzogen und nach öffentlichem Rechte be- urteilt ist. Die Zuteilung zu dieser Klasse beruht zum Teil auf Auf- zählungsversuchen unserer Gesetzbücher, die überall unvollkommen genug ausgefallen sind (vgl. oben Note 9). Die Rechtsübung hat Er- gänzungen dazu geliefert und Einschränkungen gemacht. Einflüsse der geschichtlichen Vorstufen wirken dabei mit. Die Allmend, die römischen res publicae, die res sacrae des kanonischen Rechts haben Beiträge geliefert. Die Anwendungsfälle des Begriffes der öffentlichen Sachen, wie sie im geltenden Recht sich darstellen, sind etwas ge- schichtlich Gewordenes, Gegebenes; die Rechtswissenschaft hat sie wieder nur zu beobachten und festzustellen. Durch eine einfache Subsumtion unter die theoretischen Formeln sind sie nicht zu gewinnen. Wir müssen uns wieder bei dem Standpunkte bescheiden, der für die Aus- scheidung unserer Rechtsinstitute vom Civilrecht überhaupt gilt (oben Bd. I S. 139). Aber jene Rechtsidee ist der rote Faden, der durch diese Anwendungs- fälle sich hindurchzieht. Sie wahren alle den Zusammenhang mit ihr, wenn auch manchmal bloß durch Vermittlung einer früheren Auffassung von der Bedeutung der Sache. Der Rechtsidee nach Gleichwertiges, das neu auftritt, wird ohne formelle Rechtsgrundlagen in die nächsten verwandten Rubriken untergebracht; das Gesetz selbst wird aus ihr von der Rechtsübung ergänzt. Umgekehrt werden einzelne Anwendungs- fälle, für die ein Zusammenhang mit ihr in keiner Weise mehr fest- zustellen ist, im geltenden Rechte abgestoßen, manchmal selbst ent- gegen dem ausdrücklichen Wortlaute des Gesetzes 20. 20 Ein auffallendes Beispiel bietet das Schicksal der Aufzählung der öffent- lichen Sachen in cod. civ. 537. Dort werden mit der technischen Bezeichnung für das öffentliche Eigentum, domaine public, neben Straßen, Strömen u. s. w. auch aufgeführt: der Grund und Boden verlassener Festungswerke, die vakanten Güter,

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/87>, abgerufen am 24.04.2024.