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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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§ 35. Begriff und Umfang des öffentlichen Eigentums.
dafür fehlt, an der juristischen Person des öffentlichen Rechts, welcher
dieses Eigentum zustünde1.

Eine feste Rechtsgestalt mußten ja die öffentlichen Sachen natur-
gemäß zuerst erhalten in der ursprünglichsten gesellschaftlichen
Form der Verwirklichung öffentlicher Interessen, in den ländlichen
Ortsgemeinschaften
. Diese sind nicht Gemeinden im heutigen
Sinn, sondern Genossenschaften, in welchen Einzelrecht und Gesamt-
recht sich verflechten, je nach den Gegenständen bald dieses bald
jenes stärker hervortretend. Sie besitzen selbstverständlich Wege,
Straßen, Plätze. Der Boden, der dazu benutzt wird, ist Allmend,
keinem Einzelnen für sich gehörig, sondern der Gesamtheit und
damit jedem Einzelnen dienend zum Verkehr. Über die Instandhaltung
und über die Ordnung der Benutzung wacht die Vorstandschaft, sagen
wir die Gemeindeobrigkeit. Alles Recht am Wege, so lange er be-
steht, erscheint deshalb nur in zweierlei Gestalt: in der Bestim-
mung für den Nutzen der Gesamtheit
und als Aufsichts-
recht der Obrigkeit
2.

In größerer Mannigfaltigkeit entwickeln sich derartige gemeinsame
Einrichtungen in den Städten. Brunnen, Märkte, Waschhäuser werden
dem Gemeingebrauche gestellt; aber der Gesamtheit kann die Sache
auch ohne Gemeingebrauch dienen: Thore und Mauern sind ursprüng-
lich gleichfalls als Allmend betrachtet3.

1 Daß der Gedanke der juristischen Persönlichkeit erst einer späteren Ent-
wicklungsstufe unserer Gemeinwesen angehört, ist unzweifelhaft (vgl. auch unten
§ 55). Die Art, wie die geschichtliche Entwicklung vor sich ging, ist in Gierkes
großartigem Werke: Das deutsche Genossenschaftsrecht, mit voller Deutlichkeit
zur Anschauung gebracht worden. Für die damit zusammenhängende Gestaltung
des Sachenrechts giebt uns namentlich der zweite Band des Werkes die maß-
gebenden Anknüpfungen.
2 Gierke II S. 229, 234 (Gemeingebrauch an den Wegen, Plätzen, Brücken
und Keime der Polizeigewalt der Gesamtheit); S. 235 Note 169 (Wege, Stege,
Plätze, Triften u. s. w. erscheinen schon in den alten Pertinenzformeln als Be-
standteile der Allmende). Man hat behauptet, daß der gleiche Gedanke ursprüng-
lich auch im römischen Rechte zu Grunde liege; Hesse im Jahrb. f. Dogm. VII
S. 183 N. 8: "Was zur allgemeinen Benutzung bestimmt war, gehört nach ihrer
(der Römer) Auffassung Allen (universitatis esse creditur), ohne daß sie die Ge-
samtheit als bestimmte ideale oder juristische Person auffaßten." Darüber Ubbe-
lohde,
Forts. v. Glücks Pand., Buch 43 u. 44 T. IV, 1 S. 36. Vgl. auch unten
Note 8.
3 Gierke II S. 667 ("Das Recht der Gesamtheit fand seinen Kern und
stärksten Ausdruck in dem Recht am unverteilten Lande, und zwar in der Stadt
selbst an Straßen, Plätzen, Befestigungen und allen dem gemeinen Gebrauch ge-
widmeten Gebietsstücken, im Stadtfeld an Wegen und an Gewässern"); S. 670, 677,

§ 35. Begriff und Umfang des öffentlichen Eigentums.
dafür fehlt, an der juristischen Person des öffentlichen Rechts, welcher
dieses Eigentum zustünde1.

Eine feste Rechtsgestalt mußten ja die öffentlichen Sachen natur-
gemäß zuerst erhalten in der ursprünglichsten gesellschaftlichen
Form der Verwirklichung öffentlicher Interessen, in den ländlichen
Ortsgemeinschaften
. Diese sind nicht Gemeinden im heutigen
Sinn, sondern Genossenschaften, in welchen Einzelrecht und Gesamt-
recht sich verflechten, je nach den Gegenständen bald dieses bald
jenes stärker hervortretend. Sie besitzen selbstverständlich Wege,
Straßen, Plätze. Der Boden, der dazu benutzt wird, ist Allmend,
keinem Einzelnen für sich gehörig, sondern der Gesamtheit und
damit jedem Einzelnen dienend zum Verkehr. Über die Instandhaltung
und über die Ordnung der Benutzung wacht die Vorstandschaft, sagen
wir die Gemeindeobrigkeit. Alles Recht am Wege, so lange er be-
steht, erscheint deshalb nur in zweierlei Gestalt: in der Bestim-
mung für den Nutzen der Gesamtheit
und als Aufsichts-
recht der Obrigkeit
2.

In größerer Mannigfaltigkeit entwickeln sich derartige gemeinsame
Einrichtungen in den Städten. Brunnen, Märkte, Waschhäuser werden
dem Gemeingebrauche gestellt; aber der Gesamtheit kann die Sache
auch ohne Gemeingebrauch dienen: Thore und Mauern sind ursprüng-
lich gleichfalls als Allmend betrachtet3.

1 Daß der Gedanke der juristischen Persönlichkeit erst einer späteren Ent-
wicklungsstufe unserer Gemeinwesen angehört, ist unzweifelhaft (vgl. auch unten
§ 55). Die Art, wie die geschichtliche Entwicklung vor sich ging, ist in Gierkes
großartigem Werke: Das deutsche Genossenschaftsrecht, mit voller Deutlichkeit
zur Anschauung gebracht worden. Für die damit zusammenhängende Gestaltung
des Sachenrechts giebt uns namentlich der zweite Band des Werkes die maß-
gebenden Anknüpfungen.
2 Gierke II S. 229, 234 (Gemeingebrauch an den Wegen, Plätzen, Brücken
und Keime der Polizeigewalt der Gesamtheit); S. 235 Note 169 (Wege, Stege,
Plätze, Triften u. s. w. erscheinen schon in den alten Pertinenzformeln als Be-
standteile der Allmende). Man hat behauptet, daß der gleiche Gedanke ursprüng-
lich auch im römischen Rechte zu Grunde liege; Hesse im Jahrb. f. Dogm. VII
S. 183 N. 8: „Was zur allgemeinen Benutzung bestimmt war, gehört nach ihrer
(der Römer) Auffassung Allen (universitatis esse creditur), ohne daß sie die Ge-
samtheit als bestimmte ideale oder juristische Person auffaßten.“ Darüber Ubbe-
lohde,
Forts. v. Glücks Pand., Buch 43 u. 44 T. IV, 1 S. 36. Vgl. auch unten
Note 8.
3 Gierke II S. 667 („Das Recht der Gesamtheit fand seinen Kern und
stärksten Ausdruck in dem Recht am unverteilten Lande, und zwar in der Stadt
selbst an Straßen, Plätzen, Befestigungen und allen dem gemeinen Gebrauch ge-
widmeten Gebietsstücken, im Stadtfeld an Wegen und an Gewässern“); S. 670, 677,
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[61/0073] § 35. Begriff und Umfang des öffentlichen Eigentums. dafür fehlt, an der juristischen Person des öffentlichen Rechts, welcher dieses Eigentum zustünde 1. Eine feste Rechtsgestalt mußten ja die öffentlichen Sachen natur- gemäß zuerst erhalten in der ursprünglichsten gesellschaftlichen Form der Verwirklichung öffentlicher Interessen, in den ländlichen Ortsgemeinschaften. Diese sind nicht Gemeinden im heutigen Sinn, sondern Genossenschaften, in welchen Einzelrecht und Gesamt- recht sich verflechten, je nach den Gegenständen bald dieses bald jenes stärker hervortretend. Sie besitzen selbstverständlich Wege, Straßen, Plätze. Der Boden, der dazu benutzt wird, ist Allmend, keinem Einzelnen für sich gehörig, sondern der Gesamtheit und damit jedem Einzelnen dienend zum Verkehr. Über die Instandhaltung und über die Ordnung der Benutzung wacht die Vorstandschaft, sagen wir die Gemeindeobrigkeit. Alles Recht am Wege, so lange er be- steht, erscheint deshalb nur in zweierlei Gestalt: in der Bestim- mung für den Nutzen der Gesamtheit und als Aufsichts- recht der Obrigkeit 2. In größerer Mannigfaltigkeit entwickeln sich derartige gemeinsame Einrichtungen in den Städten. Brunnen, Märkte, Waschhäuser werden dem Gemeingebrauche gestellt; aber der Gesamtheit kann die Sache auch ohne Gemeingebrauch dienen: Thore und Mauern sind ursprüng- lich gleichfalls als Allmend betrachtet 3. 1 Daß der Gedanke der juristischen Persönlichkeit erst einer späteren Ent- wicklungsstufe unserer Gemeinwesen angehört, ist unzweifelhaft (vgl. auch unten § 55). Die Art, wie die geschichtliche Entwicklung vor sich ging, ist in Gierkes großartigem Werke: Das deutsche Genossenschaftsrecht, mit voller Deutlichkeit zur Anschauung gebracht worden. Für die damit zusammenhängende Gestaltung des Sachenrechts giebt uns namentlich der zweite Band des Werkes die maß- gebenden Anknüpfungen. 2 Gierke II S. 229, 234 (Gemeingebrauch an den Wegen, Plätzen, Brücken und Keime der Polizeigewalt der Gesamtheit); S. 235 Note 169 (Wege, Stege, Plätze, Triften u. s. w. erscheinen schon in den alten Pertinenzformeln als Be- standteile der Allmende). Man hat behauptet, daß der gleiche Gedanke ursprüng- lich auch im römischen Rechte zu Grunde liege; Hesse im Jahrb. f. Dogm. VII S. 183 N. 8: „Was zur allgemeinen Benutzung bestimmt war, gehört nach ihrer (der Römer) Auffassung Allen (universitatis esse creditur), ohne daß sie die Ge- samtheit als bestimmte ideale oder juristische Person auffaßten.“ Darüber Ubbe- lohde, Forts. v. Glücks Pand., Buch 43 u. 44 T. IV, 1 S. 36. Vgl. auch unten Note 8. 3 Gierke II S. 667 („Das Recht der Gesamtheit fand seinen Kern und stärksten Ausdruck in dem Recht am unverteilten Lande, und zwar in der Stadt selbst an Straßen, Plätzen, Befestigungen und allen dem gemeinen Gebrauch ge- widmeten Gebietsstücken, im Stadtfeld an Wegen und an Gewässern“); S. 670, 677,

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/73>, abgerufen am 29.03.2024.