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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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Das öffentliche Sachenrecht.
schädigungspunktes. Dieser Zeitpunkt kann aber verschieden gewählt
sein, und die Sache bekommt je nachdem eine sehr verschiedene
Rechtsgestalt; die Fälle sind also wohl auseinander zu halten. Der
früheste Zeitpunkt, den das Gesetz wählen kann, ist der, wo im all-
mählichen Vorwärtsschreiten des Enteignungsverfahrens die Sache so
weit gediehen ist, daß die einzelnen Grundstücke und Grundstücks-
teile feststehen, welche die Verwaltung für das Unternehmen in An-
spruch nehmen will, und nur das letzte Wort noch nicht gesprochen
ist, an welches die Wirkung der Eigentumsentziehung sich knüpft:
der förmliche Verwaltungsakt des Enteignungsausspruches steht bevor.
Das Gesetz kann verlangen, daß da inne gehalten und vorerst die
Entschädigungsfrage erledigt werde21. Hier schiebt sich also dieser
Punkt in das Enteignungsverfahren selbst hinein; die vorgängige Ent-
schädigungsleistung wird Bedingung der Gültigkeit des Ent-
eignungsausspruches
. Er soll vorher nicht stattfinden; wird er

21 So Preuß. Enteignungsges. § 32; Bayr. Ausf.Ges. zu C.Pr.O. Art. 51; Sächs.
Enteignungsges. v. 15. Aug. 1855 § 75, 77. An diese Einrichtung knüpfen sich
mancherlei Mißverständnisse über die Frage der Perfektion der Enteignung. Das
Natürlichste wäre nämlich, daß die Entschädigung bemessen würde auf Grundlage
des Wertes, den die Sache hat im Augenblick des Eigentumsübergangs, also der
Perfektion der Enteignung. Das ist aber beim Grundsatze der vorgängigen Ent-
schädigung nicht möglich: der Augenblick des Eigentumsübergangs ist ja noch gar
nicht bekannt, es kommt darauf an, wann der Unternehmer leistet und dann das
Verfahren fertig wird. Man wird also für die Wertsbemessung einfach den Zeit-
punkt nehmen, in welchem die Entschädigungsfestsetzung erfolgt. Das ist nicht
unbillig, weder gegen den Unternehmer, noch gegen den Eigentümer, insofern ihnen
beiden Mittel gegeben sind, die Sache alsbald zur Erledigung zu bringen (unten
III n. 2). Deshalb ist es aber gar nicht nötig, dieses Verfahren auch noch da-
durch zu rechtfertigen, daß man die Perfektion der Enteignung in den Zeitpunkt
der Entschädigungsfestsetzung verlegt, wie R.G. 17. März 1891 (Samml. 27 S. 265)
thut. Die Billigkeit kann erfordern, noch weiter zurückzugehen. Es können im
Laufe des Verfahrens dem Eigentümer schon Verfügungsbeschränkungen auferlegt
worden sein, welche ihn hinderten, von einem höhern Wert, den die Sache damals
vielleicht hatte, Nutzen zu ziehen. Solche Beschränkungen knüpfen sich an die
Feststellung des Enteignungsgegenstandes, oder auch schon an die Veröffent-
lichung des vorläufigen Enteignungsplanes; also mag man diese Zeitpunkte für den
zu berechnenden Wert die Grundlage liefern lassen. Deshalb braucht man aber
wiederum nicht zu sagen: die Enteignung sei damals schon perfekt gewesen, was
ja thatsächlich doch nicht wahr ist. Beispiel in R.G. 21. Sept. 1882 (Samml. 7
S. 258); in diesem Sinne auch Schelcher, Rechtswirkungen S. 273. -- Gleim
in Arch. f. Eisenbahnwesen V S. 64 wendet umgekehrt sich gegen diese Be-
rechnungsweise mit der Begründung, "daß durch die Planfeststellung eine privat-
rechtliche Verpflichtung auf keiner Seite begründet wird". Das ist aber auch gar
nicht notwendig, damit man die Entschädigung so bemesse.

Das öffentliche Sachenrecht.
schädigungspunktes. Dieser Zeitpunkt kann aber verschieden gewählt
sein, und die Sache bekommt je nachdem eine sehr verschiedene
Rechtsgestalt; die Fälle sind also wohl auseinander zu halten. Der
früheste Zeitpunkt, den das Gesetz wählen kann, ist der, wo im all-
mählichen Vorwärtsschreiten des Enteignungsverfahrens die Sache so
weit gediehen ist, daß die einzelnen Grundstücke und Grundstücks-
teile feststehen, welche die Verwaltung für das Unternehmen in An-
spruch nehmen will, und nur das letzte Wort noch nicht gesprochen
ist, an welches die Wirkung der Eigentumsentziehung sich knüpft:
der förmliche Verwaltungsakt des Enteignungsausspruches steht bevor.
Das Gesetz kann verlangen, daß da inne gehalten und vorerst die
Entschädigungsfrage erledigt werde21. Hier schiebt sich also dieser
Punkt in das Enteignungsverfahren selbst hinein; die vorgängige Ent-
schädigungsleistung wird Bedingung der Gültigkeit des Ent-
eignungsausspruches
. Er soll vorher nicht stattfinden; wird er

21 So Preuß. Enteignungsges. § 32; Bayr. Ausf.Ges. zu C.Pr.O. Art. 51; Sächs.
Enteignungsges. v. 15. Aug. 1855 § 75, 77. An diese Einrichtung knüpfen sich
mancherlei Mißverständnisse über die Frage der Perfektion der Enteignung. Das
Natürlichste wäre nämlich, daß die Entschädigung bemessen würde auf Grundlage
des Wertes, den die Sache hat im Augenblick des Eigentumsübergangs, also der
Perfektion der Enteignung. Das ist aber beim Grundsatze der vorgängigen Ent-
schädigung nicht möglich: der Augenblick des Eigentumsübergangs ist ja noch gar
nicht bekannt, es kommt darauf an, wann der Unternehmer leistet und dann das
Verfahren fertig wird. Man wird also für die Wertsbemessung einfach den Zeit-
punkt nehmen, in welchem die Entschädigungsfestsetzung erfolgt. Das ist nicht
unbillig, weder gegen den Unternehmer, noch gegen den Eigentümer, insofern ihnen
beiden Mittel gegeben sind, die Sache alsbald zur Erledigung zu bringen (unten
III n. 2). Deshalb ist es aber gar nicht nötig, dieses Verfahren auch noch da-
durch zu rechtfertigen, daß man die Perfektion der Enteignung in den Zeitpunkt
der Entschädigungsfestsetzung verlegt, wie R.G. 17. März 1891 (Samml. 27 S. 265)
thut. Die Billigkeit kann erfordern, noch weiter zurückzugehen. Es können im
Laufe des Verfahrens dem Eigentümer schon Verfügungsbeschränkungen auferlegt
worden sein, welche ihn hinderten, von einem höhern Wert, den die Sache damals
vielleicht hatte, Nutzen zu ziehen. Solche Beschränkungen knüpfen sich an die
Feststellung des Enteignungsgegenstandes, oder auch schon an die Veröffent-
lichung des vorläufigen Enteignungsplanes; also mag man diese Zeitpunkte für den
zu berechnenden Wert die Grundlage liefern lassen. Deshalb braucht man aber
wiederum nicht zu sagen: die Enteignung sei damals schon perfekt gewesen, was
ja thatsächlich doch nicht wahr ist. Beispiel in R.G. 21. Sept. 1882 (Samml. 7
S. 258); in diesem Sinne auch Schelcher, Rechtswirkungen S. 273. — Gleim
in Arch. f. Eisenbahnwesen V S. 64 wendet umgekehrt sich gegen diese Be-
rechnungsweise mit der Begründung, „daß durch die Planfeststellung eine privat-
rechtliche Verpflichtung auf keiner Seite begründet wird“. Das ist aber auch gar
nicht notwendig, damit man die Entschädigung so bemesse.
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[44/0056] Das öffentliche Sachenrecht. schädigungspunktes. Dieser Zeitpunkt kann aber verschieden gewählt sein, und die Sache bekommt je nachdem eine sehr verschiedene Rechtsgestalt; die Fälle sind also wohl auseinander zu halten. Der früheste Zeitpunkt, den das Gesetz wählen kann, ist der, wo im all- mählichen Vorwärtsschreiten des Enteignungsverfahrens die Sache so weit gediehen ist, daß die einzelnen Grundstücke und Grundstücks- teile feststehen, welche die Verwaltung für das Unternehmen in An- spruch nehmen will, und nur das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, an welches die Wirkung der Eigentumsentziehung sich knüpft: der förmliche Verwaltungsakt des Enteignungsausspruches steht bevor. Das Gesetz kann verlangen, daß da inne gehalten und vorerst die Entschädigungsfrage erledigt werde 21. Hier schiebt sich also dieser Punkt in das Enteignungsverfahren selbst hinein; die vorgängige Ent- schädigungsleistung wird Bedingung der Gültigkeit des Ent- eignungsausspruches. Er soll vorher nicht stattfinden; wird er 21 So Preuß. Enteignungsges. § 32; Bayr. Ausf.Ges. zu C.Pr.O. Art. 51; Sächs. Enteignungsges. v. 15. Aug. 1855 § 75, 77. An diese Einrichtung knüpfen sich mancherlei Mißverständnisse über die Frage der Perfektion der Enteignung. Das Natürlichste wäre nämlich, daß die Entschädigung bemessen würde auf Grundlage des Wertes, den die Sache hat im Augenblick des Eigentumsübergangs, also der Perfektion der Enteignung. Das ist aber beim Grundsatze der vorgängigen Ent- schädigung nicht möglich: der Augenblick des Eigentumsübergangs ist ja noch gar nicht bekannt, es kommt darauf an, wann der Unternehmer leistet und dann das Verfahren fertig wird. Man wird also für die Wertsbemessung einfach den Zeit- punkt nehmen, in welchem die Entschädigungsfestsetzung erfolgt. Das ist nicht unbillig, weder gegen den Unternehmer, noch gegen den Eigentümer, insofern ihnen beiden Mittel gegeben sind, die Sache alsbald zur Erledigung zu bringen (unten III n. 2). Deshalb ist es aber gar nicht nötig, dieses Verfahren auch noch da- durch zu rechtfertigen, daß man die Perfektion der Enteignung in den Zeitpunkt der Entschädigungsfestsetzung verlegt, wie R.G. 17. März 1891 (Samml. 27 S. 265) thut. Die Billigkeit kann erfordern, noch weiter zurückzugehen. Es können im Laufe des Verfahrens dem Eigentümer schon Verfügungsbeschränkungen auferlegt worden sein, welche ihn hinderten, von einem höhern Wert, den die Sache damals vielleicht hatte, Nutzen zu ziehen. Solche Beschränkungen knüpfen sich an die Feststellung des Enteignungsgegenstandes, oder auch schon an die Veröffent- lichung des vorläufigen Enteignungsplanes; also mag man diese Zeitpunkte für den zu berechnenden Wert die Grundlage liefern lassen. Deshalb braucht man aber wiederum nicht zu sagen: die Enteignung sei damals schon perfekt gewesen, was ja thatsächlich doch nicht wahr ist. Beispiel in R.G. 21. Sept. 1882 (Samml. 7 S. 258); in diesem Sinne auch Schelcher, Rechtswirkungen S. 273. — Gleim in Arch. f. Eisenbahnwesen V S. 64 wendet umgekehrt sich gegen diese Be- rechnungsweise mit der Begründung, „daß durch die Planfeststellung eine privat- rechtliche Verpflichtung auf keiner Seite begründet wird“. Das ist aber auch gar nicht notwendig, damit man die Entschädigung so bemesse.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/56>, abgerufen am 20.04.2024.