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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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§ 45. Die Dienstgewalt.
kann nicht durch Dienstbefehl näher bestimmt werden. Vor allem
hat die dienstliche Gehorsamspflicht ihre Grenze am Strafgesetze:
eine Handlung, durch welche der Dienstpflichtige sich strafbar machte,
kann nie in seiner Dienstpflicht liegen, also ist ein Dienstbefehl in
dieser Richtung unmöglich8.

Alles, was nicht in solcher Weise aus dem Rahmen der Dienst-
pflicht überhaupt herausfällt, kann dem Dienstpflichtigen rechtsver-
bindlich befohlen werden. Es genügt, daß der Dienstvorgesetzte mit
seinen Befehlen ihm gegenüber noch innerhalb jener allgemeinen Zu-
ständigkeit sich befinde; dann ist für die Frage der Angemessenheit
und Zulässigkeit des Befehls seine Willensmeinung allein maßgebend
und muß es vernünftigerweise sein9.

2. Das Prüfungsrecht des Untergebenen gegenüber dem Dienst-
befehl soll sich aber noch auf mehr erstrecken. Dieses Maß richtig
abzugrenzen, ist die Schwierigkeit.

Mit dem Aufkommen des neuen Staatsrechts hat sich erklärlicher-
weise zunächst überall eine gewisse Sucht zur Überbietung seiner
Grundsätze entwickelt. So entstand der Satz, daß jeder Beamte für
die Gesetzmäßigkeit auch der von ihm ausgeführten Anordnungen
seiner Vorgesetzten verantwortlich, folglich befugt, ja verpflichtet ist,
diese nachzuprüfen und den Gehorsam zu verweigern, wenn er findet,
daß es damit nicht in Ordnung sei. Auf diese Weise glaubt man
eine neue Garantie für die unbedingte Herrschaft des Gesetzes ge-
funden zu haben: jeder Beamte ist ja nun zum Hüter desselben be-
stellt seinem Vorgesetzten gegenüber10.

8 Goenner, Staatsdienst S. 208; Seydel, Bayr. St.R. III S. 390 Anm. 3;
R.G. Stf.S. VI S. 439. -- Eine Form, die Gehorsamspflicht zu erweitern, ist es
daher, wenn das Gesetz den Befehl als Strafausschließungsgrund bei sonst straf-
baren Handlungen giebt. So Mil.Stf.G.B. § 47. Die Kraft des militärischen Dienst-
befehls beruht gerade darauf, daß alle die oben angeführten Grenzen bei ihm
zurückweichen; die Dienstpflicht des Soldaten geht nicht nur über das Strafgesetz
hinaus, sondern ist auch sonst in ihrem Umfang schwer begrenzbar und läßt von
Privatleben wenig übrig.
9 Laband, St.R. I S. 442 (3. Aufl. S. 420), betont in diesem Sinne das
"Formelle" des Dienstbefehls als den einzigen Gegenstand der Prüfung. Hierin
erscheint übrigens am Dienstbefehl nur wieder die Eigentümlichkeit des Ver-
waltungsaktes überhaupt; vgl. Bd. I § 8 S. 100 und Note 7, § 20 S. 281. 282.
10 Perthes, Der Staatsdienst S. 126: "Keine Behörde darf das bestehende
Recht durch eine ihm widersprechende Anordnung aufheben. Geschieht es dennoch,
so darf kein Beamter einer solchen Anordnung Folge leisten". Von Neueren:
Loening, V.R. S. 122 Anm. 5; v. Stengel, Preuß. St.R. S. 146. Auch
G. Meyer muß dahin gerechnet werden, wenn er (St.R. S. 450) unter den un-
verbindlichen Dienstbefehlen aufzählt "Verfügungen, welche dem klaren Wortlaute

§ 45. Die Dienstgewalt.
kann nicht durch Dienstbefehl näher bestimmt werden. Vor allem
hat die dienstliche Gehorsamspflicht ihre Grenze am Strafgesetze:
eine Handlung, durch welche der Dienstpflichtige sich strafbar machte,
kann nie in seiner Dienstpflicht liegen, also ist ein Dienstbefehl in
dieser Richtung unmöglich8.

Alles, was nicht in solcher Weise aus dem Rahmen der Dienst-
pflicht überhaupt herausfällt, kann dem Dienstpflichtigen rechtsver-
bindlich befohlen werden. Es genügt, daß der Dienstvorgesetzte mit
seinen Befehlen ihm gegenüber noch innerhalb jener allgemeinen Zu-
ständigkeit sich befinde; dann ist für die Frage der Angemessenheit
und Zulässigkeit des Befehls seine Willensmeinung allein maßgebend
und muß es vernünftigerweise sein9.

2. Das Prüfungsrecht des Untergebenen gegenüber dem Dienst-
befehl soll sich aber noch auf mehr erstrecken. Dieses Maß richtig
abzugrenzen, ist die Schwierigkeit.

Mit dem Aufkommen des neuen Staatsrechts hat sich erklärlicher-
weise zunächst überall eine gewisse Sucht zur Überbietung seiner
Grundsätze entwickelt. So entstand der Satz, daß jeder Beamte für
die Gesetzmäßigkeit auch der von ihm ausgeführten Anordnungen
seiner Vorgesetzten verantwortlich, folglich befugt, ja verpflichtet ist,
diese nachzuprüfen und den Gehorsam zu verweigern, wenn er findet,
daß es damit nicht in Ordnung sei. Auf diese Weise glaubt man
eine neue Garantie für die unbedingte Herrschaft des Gesetzes ge-
funden zu haben: jeder Beamte ist ja nun zum Hüter desselben be-
stellt seinem Vorgesetzten gegenüber10.

8 Goenner, Staatsdienst S. 208; Seydel, Bayr. St.R. III S. 390 Anm. 3;
R.G. Stf.S. VI S. 439. — Eine Form, die Gehorsamspflicht zu erweitern, ist es
daher, wenn das Gesetz den Befehl als Strafausschließungsgrund bei sonst straf-
baren Handlungen giebt. So Mil.Stf.G.B. § 47. Die Kraft des militärischen Dienst-
befehls beruht gerade darauf, daß alle die oben angeführten Grenzen bei ihm
zurückweichen; die Dienstpflicht des Soldaten geht nicht nur über das Strafgesetz
hinaus, sondern ist auch sonst in ihrem Umfang schwer begrenzbar und läßt von
Privatleben wenig übrig.
9 Laband, St.R. I S. 442 (3. Aufl. S. 420), betont in diesem Sinne das
„Formelle“ des Dienstbefehls als den einzigen Gegenstand der Prüfung. Hierin
erscheint übrigens am Dienstbefehl nur wieder die Eigentümlichkeit des Ver-
waltungsaktes überhaupt; vgl. Bd. I § 8 S. 100 und Note 7, § 20 S. 281. 282.
10 Perthes, Der Staatsdienst S. 126: „Keine Behörde darf das bestehende
Recht durch eine ihm widersprechende Anordnung aufheben. Geschieht es dennoch,
so darf kein Beamter einer solchen Anordnung Folge leisten“. Von Neueren:
Loening, V.R. S. 122 Anm. 5; v. Stengel, Preuß. St.R. S. 146. Auch
G. Meyer muß dahin gerechnet werden, wenn er (St.R. S. 450) unter den un-
verbindlichen Dienstbefehlen aufzählt „Verfügungen, welche dem klaren Wortlaute
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[237/0249] § 45. Die Dienstgewalt. kann nicht durch Dienstbefehl näher bestimmt werden. Vor allem hat die dienstliche Gehorsamspflicht ihre Grenze am Strafgesetze: eine Handlung, durch welche der Dienstpflichtige sich strafbar machte, kann nie in seiner Dienstpflicht liegen, also ist ein Dienstbefehl in dieser Richtung unmöglich 8. Alles, was nicht in solcher Weise aus dem Rahmen der Dienst- pflicht überhaupt herausfällt, kann dem Dienstpflichtigen rechtsver- bindlich befohlen werden. Es genügt, daß der Dienstvorgesetzte mit seinen Befehlen ihm gegenüber noch innerhalb jener allgemeinen Zu- ständigkeit sich befinde; dann ist für die Frage der Angemessenheit und Zulässigkeit des Befehls seine Willensmeinung allein maßgebend und muß es vernünftigerweise sein 9. 2. Das Prüfungsrecht des Untergebenen gegenüber dem Dienst- befehl soll sich aber noch auf mehr erstrecken. Dieses Maß richtig abzugrenzen, ist die Schwierigkeit. Mit dem Aufkommen des neuen Staatsrechts hat sich erklärlicher- weise zunächst überall eine gewisse Sucht zur Überbietung seiner Grundsätze entwickelt. So entstand der Satz, daß jeder Beamte für die Gesetzmäßigkeit auch der von ihm ausgeführten Anordnungen seiner Vorgesetzten verantwortlich, folglich befugt, ja verpflichtet ist, diese nachzuprüfen und den Gehorsam zu verweigern, wenn er findet, daß es damit nicht in Ordnung sei. Auf diese Weise glaubt man eine neue Garantie für die unbedingte Herrschaft des Gesetzes ge- funden zu haben: jeder Beamte ist ja nun zum Hüter desselben be- stellt seinem Vorgesetzten gegenüber 10. 8 Goenner, Staatsdienst S. 208; Seydel, Bayr. St.R. III S. 390 Anm. 3; R.G. Stf.S. VI S. 439. — Eine Form, die Gehorsamspflicht zu erweitern, ist es daher, wenn das Gesetz den Befehl als Strafausschließungsgrund bei sonst straf- baren Handlungen giebt. So Mil.Stf.G.B. § 47. Die Kraft des militärischen Dienst- befehls beruht gerade darauf, daß alle die oben angeführten Grenzen bei ihm zurückweichen; die Dienstpflicht des Soldaten geht nicht nur über das Strafgesetz hinaus, sondern ist auch sonst in ihrem Umfang schwer begrenzbar und läßt von Privatleben wenig übrig. 9 Laband, St.R. I S. 442 (3. Aufl. S. 420), betont in diesem Sinne das „Formelle“ des Dienstbefehls als den einzigen Gegenstand der Prüfung. Hierin erscheint übrigens am Dienstbefehl nur wieder die Eigentümlichkeit des Ver- waltungsaktes überhaupt; vgl. Bd. I § 8 S. 100 und Note 7, § 20 S. 281. 282. 10 Perthes, Der Staatsdienst S. 126: „Keine Behörde darf das bestehende Recht durch eine ihm widersprechende Anordnung aufheben. Geschieht es dennoch, so darf kein Beamter einer solchen Anordnung Folge leisten“. Von Neueren: Loening, V.R. S. 122 Anm. 5; v. Stengel, Preuß. St.R. S. 146. Auch G. Meyer muß dahin gerechnet werden, wenn er (St.R. S. 450) unter den un- verbindlichen Dienstbefehlen aufzählt „Verfügungen, welche dem klaren Wortlaute

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/249>, abgerufen am 28.03.2024.