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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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Recht der besonderen Schuldverhältnisse.

Der Dienstvorgesetzte seinerseits kann auch auf Grund des Ge-
waltverhältnisses nicht schlechthin befehlen, was er will. Sein Befehls-
recht hat gewisse Grenzen, innerhalb deren allein es rechtswirksam
ist. Ob sie eingehalten sind, darüber steht dem Dienstpflichtigen ein
Prüfungsrecht zu. Sie sind zugleich die Grenzen des dienst-
lichen Gehorsams
5.

Die Frage ist, wie sie zu ziehen sind.

1. Damit die dienstliche Gehorsamspflicht entstehe, ist notwendig,
daß der Befehl, der vorliegt, überhaupt in Gestalt eines Dienstbefehls
für diesen Pflichtigen auftrete6. Dazu gehört:

daß er ausgehe von seinem Dienstvorgesetzten; dar-
über kann ein Bedenken nicht entstehen. Und sodann:

daß er dem Inhalt nach das dienstliche Verhalten be-
treffe,
d. h. etwas vorschreibe, was denkbarerweise noch in der
Dienstpflicht begriffen ist7.

In letzterer Beziehung sind ausgeschlossen Dienstleistungen, welche
der Art der obliegenden Geschäfte ganz fern stehen, oder die nur im
persönlichen Interesse des Befehlenden verlangt sind. Andererseits
ist auch das Privatleben des Dienstpflichtigen kein möglicher Gegen-
stand: sein Verhalten darin ist dienstlich nicht gleichgültig, aber es

5 Soweit kein Prüfungsrecht besteht, die Gehorsamspflicht also schlechthin
begründet ist, deckt auch der Befehl zu ungesetzlichen Handlungen den Unter-
gebenen gegen Verantwortlichkeit nach außen (Bd. I § 17, I n. 1), und ist die
Amtshandlung gegenüber dem Widerstande als eine rechtmäßige angesehen (Bd. I
§ 25, I n. 2). Wir geben also hier zugleich eine Ergänzung zu diesen beiden
Lehren; Binding, Stf.R. I S. 805.
6 Seydel, Bayr. St.R. III S. 391: "In diesem formellen Sinne hat sonach
derjenige, dem ein Befehl als Dienstbefehl erteilt wird, das Recht und die Pflicht
zu prüfen, ob ein Dienstbefehl vorliege."
7 Laband, St.R. I S. 442 (3. Aufl. S. 420), führt drei Punkte an, worauf es
ankommt: der Befehl muß in vorschriftsmäßiger Form erteilt sein, der Befehlende
muß im allgemeinen zuständig sein zum Befehl und der Untergebene zu der auf-
getragenen Handlung. Formen des Dienstbefehls werden kaum nachzuweisen sein.
Auch würden wir nicht sagen: der Untergebene habe seine eigene Zuständigkeit
zu prüfen und ob er "zur Vornahme derartiger Handlungen überhaupt befugt ist".
Es kommen doch nicht bloß Wirksamkeiten nach außen in Betracht, sondern
ebensowohl Geschäftsbesorgungen im inneren Betrieb: eine Ausarbeitung machen,
ein Amtszimmer aufräumen, beim Soldaten Marschübungen und Griffe. Das sind
ebenfalls Gegenstände eines möglicherweise zu prüfenden Dienstbefehls, aber von
Zuständigkeit und Befugnis des Untergebenen ist keine Rede. Hinter diesen
äußerlichen Verschiedenheiten der Ausdrucksweise steckt aber ein innerer Gegen-
satz, auf den wir zurückkommen werden. -- Wie Laband auch Rehm in Annalen
1885 S. 83; Zorn, St.R. I S. 237; Freund in Arch. f. öff. R. I S. 135 ff.;
Seydel, Bayr. St.R. III S. 391; im wesentlichen auch G. Meyer, St.R. S. 450.
Recht der besonderen Schuldverhältnisse.

Der Dienstvorgesetzte seinerseits kann auch auf Grund des Ge-
waltverhältnisses nicht schlechthin befehlen, was er will. Sein Befehls-
recht hat gewisse Grenzen, innerhalb deren allein es rechtswirksam
ist. Ob sie eingehalten sind, darüber steht dem Dienstpflichtigen ein
Prüfungsrecht zu. Sie sind zugleich die Grenzen des dienst-
lichen Gehorsams
5.

Die Frage ist, wie sie zu ziehen sind.

1. Damit die dienstliche Gehorsamspflicht entstehe, ist notwendig,
daß der Befehl, der vorliegt, überhaupt in Gestalt eines Dienstbefehls
für diesen Pflichtigen auftrete6. Dazu gehört:

daß er ausgehe von seinem Dienstvorgesetzten; dar-
über kann ein Bedenken nicht entstehen. Und sodann:

daß er dem Inhalt nach das dienstliche Verhalten be-
treffe,
d. h. etwas vorschreibe, was denkbarerweise noch in der
Dienstpflicht begriffen ist7.

In letzterer Beziehung sind ausgeschlossen Dienstleistungen, welche
der Art der obliegenden Geschäfte ganz fern stehen, oder die nur im
persönlichen Interesse des Befehlenden verlangt sind. Andererseits
ist auch das Privatleben des Dienstpflichtigen kein möglicher Gegen-
stand: sein Verhalten darin ist dienstlich nicht gleichgültig, aber es

5 Soweit kein Prüfungsrecht besteht, die Gehorsamspflicht also schlechthin
begründet ist, deckt auch der Befehl zu ungesetzlichen Handlungen den Unter-
gebenen gegen Verantwortlichkeit nach außen (Bd. I § 17, I n. 1), und ist die
Amtshandlung gegenüber dem Widerstande als eine rechtmäßige angesehen (Bd. I
§ 25, I n. 2). Wir geben also hier zugleich eine Ergänzung zu diesen beiden
Lehren; Binding, Stf.R. I S. 805.
6 Seydel, Bayr. St.R. III S. 391: „In diesem formellen Sinne hat sonach
derjenige, dem ein Befehl als Dienstbefehl erteilt wird, das Recht und die Pflicht
zu prüfen, ob ein Dienstbefehl vorliege.“
7 Laband, St.R. I S. 442 (3. Aufl. S. 420), führt drei Punkte an, worauf es
ankommt: der Befehl muß in vorschriftsmäßiger Form erteilt sein, der Befehlende
muß im allgemeinen zuständig sein zum Befehl und der Untergebene zu der auf-
getragenen Handlung. Formen des Dienstbefehls werden kaum nachzuweisen sein.
Auch würden wir nicht sagen: der Untergebene habe seine eigene Zuständigkeit
zu prüfen und ob er „zur Vornahme derartiger Handlungen überhaupt befugt ist“.
Es kommen doch nicht bloß Wirksamkeiten nach außen in Betracht, sondern
ebensowohl Geschäftsbesorgungen im inneren Betrieb: eine Ausarbeitung machen,
ein Amtszimmer aufräumen, beim Soldaten Marschübungen und Griffe. Das sind
ebenfalls Gegenstände eines möglicherweise zu prüfenden Dienstbefehls, aber von
Zuständigkeit und Befugnis des Untergebenen ist keine Rede. Hinter diesen
äußerlichen Verschiedenheiten der Ausdrucksweise steckt aber ein innerer Gegen-
satz, auf den wir zurückkommen werden. — Wie Laband auch Rehm in Annalen
1885 S. 83; Zorn, St.R. I S. 237; Freund in Arch. f. öff. R. I S. 135 ff.;
Seydel, Bayr. St.R. III S. 391; im wesentlichen auch G. Meyer, St.R. S. 450.
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[236/0248] Recht der besonderen Schuldverhältnisse. Der Dienstvorgesetzte seinerseits kann auch auf Grund des Ge- waltverhältnisses nicht schlechthin befehlen, was er will. Sein Befehls- recht hat gewisse Grenzen, innerhalb deren allein es rechtswirksam ist. Ob sie eingehalten sind, darüber steht dem Dienstpflichtigen ein Prüfungsrecht zu. Sie sind zugleich die Grenzen des dienst- lichen Gehorsams 5. Die Frage ist, wie sie zu ziehen sind. 1. Damit die dienstliche Gehorsamspflicht entstehe, ist notwendig, daß der Befehl, der vorliegt, überhaupt in Gestalt eines Dienstbefehls für diesen Pflichtigen auftrete 6. Dazu gehört: daß er ausgehe von seinem Dienstvorgesetzten; dar- über kann ein Bedenken nicht entstehen. Und sodann: daß er dem Inhalt nach das dienstliche Verhalten be- treffe, d. h. etwas vorschreibe, was denkbarerweise noch in der Dienstpflicht begriffen ist 7. In letzterer Beziehung sind ausgeschlossen Dienstleistungen, welche der Art der obliegenden Geschäfte ganz fern stehen, oder die nur im persönlichen Interesse des Befehlenden verlangt sind. Andererseits ist auch das Privatleben des Dienstpflichtigen kein möglicher Gegen- stand: sein Verhalten darin ist dienstlich nicht gleichgültig, aber es 5 Soweit kein Prüfungsrecht besteht, die Gehorsamspflicht also schlechthin begründet ist, deckt auch der Befehl zu ungesetzlichen Handlungen den Unter- gebenen gegen Verantwortlichkeit nach außen (Bd. I § 17, I n. 1), und ist die Amtshandlung gegenüber dem Widerstande als eine rechtmäßige angesehen (Bd. I § 25, I n. 2). Wir geben also hier zugleich eine Ergänzung zu diesen beiden Lehren; Binding, Stf.R. I S. 805. 6 Seydel, Bayr. St.R. III S. 391: „In diesem formellen Sinne hat sonach derjenige, dem ein Befehl als Dienstbefehl erteilt wird, das Recht und die Pflicht zu prüfen, ob ein Dienstbefehl vorliege.“ 7 Laband, St.R. I S. 442 (3. Aufl. S. 420), führt drei Punkte an, worauf es ankommt: der Befehl muß in vorschriftsmäßiger Form erteilt sein, der Befehlende muß im allgemeinen zuständig sein zum Befehl und der Untergebene zu der auf- getragenen Handlung. Formen des Dienstbefehls werden kaum nachzuweisen sein. Auch würden wir nicht sagen: der Untergebene habe seine eigene Zuständigkeit zu prüfen und ob er „zur Vornahme derartiger Handlungen überhaupt befugt ist“. Es kommen doch nicht bloß Wirksamkeiten nach außen in Betracht, sondern ebensowohl Geschäftsbesorgungen im inneren Betrieb: eine Ausarbeitung machen, ein Amtszimmer aufräumen, beim Soldaten Marschübungen und Griffe. Das sind ebenfalls Gegenstände eines möglicherweise zu prüfenden Dienstbefehls, aber von Zuständigkeit und Befugnis des Untergebenen ist keine Rede. Hinter diesen äußerlichen Verschiedenheiten der Ausdrucksweise steckt aber ein innerer Gegen- satz, auf den wir zurückkommen werden. — Wie Laband auch Rehm in Annalen 1885 S. 83; Zorn, St.R. I S. 237; Freund in Arch. f. öff. R. I S. 135 ff.; Seydel, Bayr. St.R. III S. 391; im wesentlichen auch G. Meyer, St.R. S. 450.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/248>, abgerufen am 28.03.2024.