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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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§ 39. Verleihung besonderer Nutzungen.
ausweichen müssen12. Ältere Nutzungsrechte, welche noch auf civil-
rechtlichem Titel beruhen, aber ihrem Inhalt nach den heut zu Tage
durch Verleihung zu begründenden gleichstehen, werden in Bezug auf
die Widerruflichkeit wie verliehene behandelt13.

Für den Widerruf, wie für die thatsächlichen Beeinträchtigungen
ist grundsätzlich Entschädigung geschuldet, die natürlich im einen
und andern Falle verschieden bemessen wird. Grundlage des An-
spruchs giebt wieder das bekannte allgemeine Rechtsinstitut (unten
§ 53). Sie kann ausgeschlossen sein, wenn von vornherein die Ver-
leihung nur in Voraussicht solcher Möglichkeiten und mit dem ent-
sprechenden Vorbehalt erteilt wurde. Das ist der Sinn des Vor-
behalts des freien Widerrufs, der kraft Gesetzes oder vermöge einer
besonderen Klausel der Verleihung beigefügt wurde. Daß das öffent-
liche Interesse der Verwaltung der Sache den Widerruf erheische,
ist deshalb trotz dieser Klausel Voraussetzung seiner Rechts-
gültigkeit14.

12 R.G. 5. Mai 1882 (Samml. VII, S. 136) nennt das "kirchenpolizeiliche
Befugnisse", ein nicht unbedenklicher Ausdruck. -- Die Widerruflichkeit der
Verleihung hat man auch so erklären wollen, daß man sagt: es bestehe über-
haupt kein dingliches Recht auf den bestimmten Platz, sondern nur ein Anspruch
gegen den Herrn der öffentlichen Sache auf Einräumung eines Platzes. O.Tr.
25. Mai 1877 (Str. 99, S. 173); R.G. 9. Nov. 1889 (Samml. 24, S. 174); Mejer,
Kirch.R. S. 416, Note 11. Allein diese Auffassung entspricht nur den gesetzlich
zugesicherten Gebrauchserlaubnissen, wie die Marktsitze u. dergl. (oben § 38, I,
n. 4), nicht der Verleihung. Bei dieser ist die Anweisung eines anderen Kirch-
stuhles u. s. w. nur gestattet, sofern eine bestimmte Notwendigkeit des öffentlichen
Interesses vorliegt; liegt das aber vor, so ist auch die gänzliche Unterdrückung
dieses Rechtes gestattet. Das Recht selbst ist zweifellos dinglicher Natur (oben
Note 8); eine obligatorische Verpflichtung des Verleihenden zu Ersatzverleihungen
wird neben diesem dinglichen Recht durch die Verleihung nicht begründet.
13 So in dem oben erwähnten Fall der Berliner Schlächterscharren (O.Tr.
8. Febr. 1856, Str. 19 S. 336), welche nachträglich durch die Straßenbehörde
beschränkt werden. Ebenso hat nach C.C.H. 9. Juni 1866 (J.M.Bl. S. 222) die
Stadt Stettin, welcher ein altes Nutzungsrecht an einem Teil der Oder zuerkannt
worden war, sich "strompolizeiliche" Einschränkungen dieses Rechtes gefallen
lassen müssen zur Herstellung der Freiheit des Fahrwassers.
14 Manche Gesetzgebungen lassen besondere Nutzungsrechte an öffentlichen
Flüssen überhaupt nur mit dieser Klausel verleihen, die also immer stillschweigend
vorhanden ist. So nach französischem, badischem, württembergischem Recht.
Nach bayrischem und preußischem Rechte dagegen würde die Unwiderruflichkeit
die Regel sein. Das bedeutet aber nicht, daß das verliehene Recht den neuen
Verfügungen, welche im öffentlichen Interesse des Stromes getroffen werden, nicht
weichen mußte; es bedeutet nur einen Entschädigungsanspruch für diesen Fall.
Poezl, Bayr. Wassergesetze S. 71. Die Klausel des freien Widerrufs, welche

§ 39. Verleihung besonderer Nutzungen.
ausweichen müssen12. Ältere Nutzungsrechte, welche noch auf civil-
rechtlichem Titel beruhen, aber ihrem Inhalt nach den heut zu Tage
durch Verleihung zu begründenden gleichstehen, werden in Bezug auf
die Widerruflichkeit wie verliehene behandelt13.

Für den Widerruf, wie für die thatsächlichen Beeinträchtigungen
ist grundsätzlich Entschädigung geschuldet, die natürlich im einen
und andern Falle verschieden bemessen wird. Grundlage des An-
spruchs giebt wieder das bekannte allgemeine Rechtsinstitut (unten
§ 53). Sie kann ausgeschlossen sein, wenn von vornherein die Ver-
leihung nur in Voraussicht solcher Möglichkeiten und mit dem ent-
sprechenden Vorbehalt erteilt wurde. Das ist der Sinn des Vor-
behalts des freien Widerrufs, der kraft Gesetzes oder vermöge einer
besonderen Klausel der Verleihung beigefügt wurde. Daß das öffent-
liche Interesse der Verwaltung der Sache den Widerruf erheische,
ist deshalb trotz dieser Klausel Voraussetzung seiner Rechts-
gültigkeit14.

12 R.G. 5. Mai 1882 (Samml. VII, S. 136) nennt das „kirchenpolizeiliche
Befugnisse“, ein nicht unbedenklicher Ausdruck. — Die Widerruflichkeit der
Verleihung hat man auch so erklären wollen, daß man sagt: es bestehe über-
haupt kein dingliches Recht auf den bestimmten Platz, sondern nur ein Anspruch
gegen den Herrn der öffentlichen Sache auf Einräumung eines Platzes. O.Tr.
25. Mai 1877 (Str. 99, S. 173); R.G. 9. Nov. 1889 (Samml. 24, S. 174); Mejer,
Kirch.R. S. 416, Note 11. Allein diese Auffassung entspricht nur den gesetzlich
zugesicherten Gebrauchserlaubnissen, wie die Marktsitze u. dergl. (oben § 38, I,
n. 4), nicht der Verleihung. Bei dieser ist die Anweisung eines anderen Kirch-
stuhles u. s. w. nur gestattet, sofern eine bestimmte Notwendigkeit des öffentlichen
Interesses vorliegt; liegt das aber vor, so ist auch die gänzliche Unterdrückung
dieses Rechtes gestattet. Das Recht selbst ist zweifellos dinglicher Natur (oben
Note 8); eine obligatorische Verpflichtung des Verleihenden zu Ersatzverleihungen
wird neben diesem dinglichen Recht durch die Verleihung nicht begründet.
13 So in dem oben erwähnten Fall der Berliner Schlächterscharren (O.Tr.
8. Febr. 1856, Str. 19 S. 336), welche nachträglich durch die Straßenbehörde
beschränkt werden. Ebenso hat nach C.C.H. 9. Juni 1866 (J.M.Bl. S. 222) die
Stadt Stettin, welcher ein altes Nutzungsrecht an einem Teil der Oder zuerkannt
worden war, sich „strompolizeiliche“ Einschränkungen dieses Rechtes gefallen
lassen müssen zur Herstellung der Freiheit des Fahrwassers.
14 Manche Gesetzgebungen lassen besondere Nutzungsrechte an öffentlichen
Flüssen überhaupt nur mit dieser Klausel verleihen, die also immer stillschweigend
vorhanden ist. So nach französischem, badischem, württembergischem Recht.
Nach bayrischem und preußischem Rechte dagegen würde die Unwiderruflichkeit
die Regel sein. Das bedeutet aber nicht, daß das verliehene Recht den neuen
Verfügungen, welche im öffentlichen Interesse des Stromes getroffen werden, nicht
weichen mußte; es bedeutet nur einen Entschädigungsanspruch für diesen Fall.
Poezl, Bayr. Wassergesetze S. 71. Die Klausel des freien Widerrufs, welche
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[159/0171] § 39. Verleihung besonderer Nutzungen. ausweichen müssen 12. Ältere Nutzungsrechte, welche noch auf civil- rechtlichem Titel beruhen, aber ihrem Inhalt nach den heut zu Tage durch Verleihung zu begründenden gleichstehen, werden in Bezug auf die Widerruflichkeit wie verliehene behandelt 13. Für den Widerruf, wie für die thatsächlichen Beeinträchtigungen ist grundsätzlich Entschädigung geschuldet, die natürlich im einen und andern Falle verschieden bemessen wird. Grundlage des An- spruchs giebt wieder das bekannte allgemeine Rechtsinstitut (unten § 53). Sie kann ausgeschlossen sein, wenn von vornherein die Ver- leihung nur in Voraussicht solcher Möglichkeiten und mit dem ent- sprechenden Vorbehalt erteilt wurde. Das ist der Sinn des Vor- behalts des freien Widerrufs, der kraft Gesetzes oder vermöge einer besonderen Klausel der Verleihung beigefügt wurde. Daß das öffent- liche Interesse der Verwaltung der Sache den Widerruf erheische, ist deshalb trotz dieser Klausel Voraussetzung seiner Rechts- gültigkeit 14. 12 R.G. 5. Mai 1882 (Samml. VII, S. 136) nennt das „kirchenpolizeiliche Befugnisse“, ein nicht unbedenklicher Ausdruck. — Die Widerruflichkeit der Verleihung hat man auch so erklären wollen, daß man sagt: es bestehe über- haupt kein dingliches Recht auf den bestimmten Platz, sondern nur ein Anspruch gegen den Herrn der öffentlichen Sache auf Einräumung eines Platzes. O.Tr. 25. Mai 1877 (Str. 99, S. 173); R.G. 9. Nov. 1889 (Samml. 24, S. 174); Mejer, Kirch.R. S. 416, Note 11. Allein diese Auffassung entspricht nur den gesetzlich zugesicherten Gebrauchserlaubnissen, wie die Marktsitze u. dergl. (oben § 38, I, n. 4), nicht der Verleihung. Bei dieser ist die Anweisung eines anderen Kirch- stuhles u. s. w. nur gestattet, sofern eine bestimmte Notwendigkeit des öffentlichen Interesses vorliegt; liegt das aber vor, so ist auch die gänzliche Unterdrückung dieses Rechtes gestattet. Das Recht selbst ist zweifellos dinglicher Natur (oben Note 8); eine obligatorische Verpflichtung des Verleihenden zu Ersatzverleihungen wird neben diesem dinglichen Recht durch die Verleihung nicht begründet. 13 So in dem oben erwähnten Fall der Berliner Schlächterscharren (O.Tr. 8. Febr. 1856, Str. 19 S. 336), welche nachträglich durch die Straßenbehörde beschränkt werden. Ebenso hat nach C.C.H. 9. Juni 1866 (J.M.Bl. S. 222) die Stadt Stettin, welcher ein altes Nutzungsrecht an einem Teil der Oder zuerkannt worden war, sich „strompolizeiliche“ Einschränkungen dieses Rechtes gefallen lassen müssen zur Herstellung der Freiheit des Fahrwassers. 14 Manche Gesetzgebungen lassen besondere Nutzungsrechte an öffentlichen Flüssen überhaupt nur mit dieser Klausel verleihen, die also immer stillschweigend vorhanden ist. So nach französischem, badischem, württembergischem Recht. Nach bayrischem und preußischem Rechte dagegen würde die Unwiderruflichkeit die Regel sein. Das bedeutet aber nicht, daß das verliehene Recht den neuen Verfügungen, welche im öffentlichen Interesse des Stromes getroffen werden, nicht weichen mußte; es bedeutet nur einen Entschädigungsanspruch für diesen Fall. Poezl, Bayr. Wassergesetze S. 71. Die Klausel des freien Widerrufs, welche

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/171>, abgerufen am 24.04.2024.