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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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§ 37. Der Gemeingebrauch.

Daß derartig Vorausgesetztes vielfach in unsere formulierte Rechts-
ordnung hereinragt, ist eine nicht wegzuleugnende Thatsache, mag sie
auch bei dem wohlgeschulten Juristen einer erklärlichen Abneigung
begegnen. Es läßt sich gar manches nur so erklären.

Das Civilrecht setzt in seiner Deliktslehre eine solche geschützte
Rechtssphäre voraus, ein Recht der Persönlichkeit und ihrer Einzel-
wirtschaft, in welches einzugreifen Unrecht ist. Der Schädiger ist ge-
deckt, wenn er ein Recht dazu nachweist; als solches Recht wird ihm
aber wieder alles angerechnet, was nach unserer gesellschaftlichen
Ordnung in der jedem zustehenden freien Bewegung begriffen
ist. Und umgekehrt, wer Schadensersatz verlangt, weil er von dem
Anderen "in seinen Rechten" verletzt sei, braucht kein formulirtes
Recht darzuthun. Auch bloße Interessen sind geschützt, die um die
Person herum sich entfalten. Welche und wie weit? Die Grenze
findet der Richter ohne einen Rechtssatz, der ihn anleitet, aus der
gegebenen Anschauung von dem, was in unserer bürgerlichen Gesell
schaft als ein solcher zu achtender Interessenkreis des Einzelnen gegen-
über den Anderen gilt. Im Bedürfnis nach Formulierung sucht ja
unsere Wissenschaft daraus wieder besondere Individualrechte
zurechtzuschneiden; mehr als ein bloßer Name ist damit kaum ge-
wonnen. Aber von dieser Art und in dieser Weise geschützt ist
auch der Gemeingebrauch11.

Ebenso rechnen wir im öffentlichen Rechte mit einem feststehen-
den gegebenen Kreise der freien Bewegung und der geschützten
Interessen des Einzelnen. Der Verfassungsstaat hat uns daran gewöhnt,
daß Eingriffe in die Freiheit und das Eigentum nur zulässig sind auf
Grund des Gesetzes. Wie weit geht der geschützte Kreis? Was ist
die Freiheit? Teilweise mag es ja wieder durch Verfassungs-
bestimmungen und gesetzliche Rechtssätze ausdrücklich formuliert
sein. Diese Bestimmungen sind aber selbst erst geschöpft aus gewissen
allgemeinen Anschauungen über das, was der Mensch als selbst-
verständliches Freiheitsgebiet in unserem Staate mit auf die Welt
bringt, und über die natürliche Grenze davon. Und diese Anschauungen

lichen Wege, des öffentlichen Wassers u. s. w." Geschieht der Ausschluß des
Einzelnen durch Verfügung der Verwaltungsbehörde, so ist das "eine Verletzung
seiner Persönlichkeit", "ein rechtlich unbegründeter Eingriff in ein subjektives
Recht". Hierin ist die ganze Grundidee des Rechts des Gemeingebrauchs ent-
halten; wegen des Ausdruckes "ein subjektives Recht" dürfen wir ja unsere Vor-
behalte machen.
11 Kohler, der eifrigste Vertreter des "Individualrechts", nimmt denn auch
ganz folgerichtig den Gemeingebrauch mit darunter: Autorrecht S. 130, 133.
§ 37. Der Gemeingebrauch.

Daß derartig Vorausgesetztes vielfach in unsere formulierte Rechts-
ordnung hereinragt, ist eine nicht wegzuleugnende Thatsache, mag sie
auch bei dem wohlgeschulten Juristen einer erklärlichen Abneigung
begegnen. Es läßt sich gar manches nur so erklären.

Das Civilrecht setzt in seiner Deliktslehre eine solche geschützte
Rechtssphäre voraus, ein Recht der Persönlichkeit und ihrer Einzel-
wirtschaft, in welches einzugreifen Unrecht ist. Der Schädiger ist ge-
deckt, wenn er ein Recht dazu nachweist; als solches Recht wird ihm
aber wieder alles angerechnet, was nach unserer gesellschaftlichen
Ordnung in der jedem zustehenden freien Bewegung begriffen
ist. Und umgekehrt, wer Schadensersatz verlangt, weil er von dem
Anderen „in seinen Rechten“ verletzt sei, braucht kein formulirtes
Recht darzuthun. Auch bloße Interessen sind geschützt, die um die
Person herum sich entfalten. Welche und wie weit? Die Grenze
findet der Richter ohne einen Rechtssatz, der ihn anleitet, aus der
gegebenen Anschauung von dem, was in unserer bürgerlichen Gesell
schaft als ein solcher zu achtender Interessenkreis des Einzelnen gegen-
über den Anderen gilt. Im Bedürfnis nach Formulierung sucht ja
unsere Wissenschaft daraus wieder besondere Individualrechte
zurechtzuschneiden; mehr als ein bloßer Name ist damit kaum ge-
wonnen. Aber von dieser Art und in dieser Weise geschützt ist
auch der Gemeingebrauch11.

Ebenso rechnen wir im öffentlichen Rechte mit einem feststehen-
den gegebenen Kreise der freien Bewegung und der geschützten
Interessen des Einzelnen. Der Verfassungsstaat hat uns daran gewöhnt,
daß Eingriffe in die Freiheit und das Eigentum nur zulässig sind auf
Grund des Gesetzes. Wie weit geht der geschützte Kreis? Was ist
die Freiheit? Teilweise mag es ja wieder durch Verfassungs-
bestimmungen und gesetzliche Rechtssätze ausdrücklich formuliert
sein. Diese Bestimmungen sind aber selbst erst geschöpft aus gewissen
allgemeinen Anschauungen über das, was der Mensch als selbst-
verständliches Freiheitsgebiet in unserem Staate mit auf die Welt
bringt, und über die natürliche Grenze davon. Und diese Anschauungen

lichen Wege, des öffentlichen Wassers u. s. w.“ Geschieht der Ausschluß des
Einzelnen durch Verfügung der Verwaltungsbehörde, so ist das „eine Verletzung
seiner Persönlichkeit“, „ein rechtlich unbegründeter Eingriff in ein subjektives
Recht“. Hierin ist die ganze Grundidee des Rechts des Gemeingebrauchs ent-
halten; wegen des Ausdruckes „ein subjektives Recht“ dürfen wir ja unsere Vor-
behalte machen.
11 Kohler, der eifrigste Vertreter des „Individualrechts“, nimmt denn auch
ganz folgerichtig den Gemeingebrauch mit darunter: Autorrecht S. 130, 133.
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[117/0129] § 37. Der Gemeingebrauch. Daß derartig Vorausgesetztes vielfach in unsere formulierte Rechts- ordnung hereinragt, ist eine nicht wegzuleugnende Thatsache, mag sie auch bei dem wohlgeschulten Juristen einer erklärlichen Abneigung begegnen. Es läßt sich gar manches nur so erklären. Das Civilrecht setzt in seiner Deliktslehre eine solche geschützte Rechtssphäre voraus, ein Recht der Persönlichkeit und ihrer Einzel- wirtschaft, in welches einzugreifen Unrecht ist. Der Schädiger ist ge- deckt, wenn er ein Recht dazu nachweist; als solches Recht wird ihm aber wieder alles angerechnet, was nach unserer gesellschaftlichen Ordnung in der jedem zustehenden freien Bewegung begriffen ist. Und umgekehrt, wer Schadensersatz verlangt, weil er von dem Anderen „in seinen Rechten“ verletzt sei, braucht kein formulirtes Recht darzuthun. Auch bloße Interessen sind geschützt, die um die Person herum sich entfalten. Welche und wie weit? Die Grenze findet der Richter ohne einen Rechtssatz, der ihn anleitet, aus der gegebenen Anschauung von dem, was in unserer bürgerlichen Gesell schaft als ein solcher zu achtender Interessenkreis des Einzelnen gegen- über den Anderen gilt. Im Bedürfnis nach Formulierung sucht ja unsere Wissenschaft daraus wieder besondere Individualrechte zurechtzuschneiden; mehr als ein bloßer Name ist damit kaum ge- wonnen. Aber von dieser Art und in dieser Weise geschützt ist auch der Gemeingebrauch 11. Ebenso rechnen wir im öffentlichen Rechte mit einem feststehen- den gegebenen Kreise der freien Bewegung und der geschützten Interessen des Einzelnen. Der Verfassungsstaat hat uns daran gewöhnt, daß Eingriffe in die Freiheit und das Eigentum nur zulässig sind auf Grund des Gesetzes. Wie weit geht der geschützte Kreis? Was ist die Freiheit? Teilweise mag es ja wieder durch Verfassungs- bestimmungen und gesetzliche Rechtssätze ausdrücklich formuliert sein. Diese Bestimmungen sind aber selbst erst geschöpft aus gewissen allgemeinen Anschauungen über das, was der Mensch als selbst- verständliches Freiheitsgebiet in unserem Staate mit auf die Welt bringt, und über die natürliche Grenze davon. Und diese Anschauungen 10 11 Kohler, der eifrigste Vertreter des „Individualrechts“, nimmt denn auch ganz folgerichtig den Gemeingebrauch mit darunter: Autorrecht S. 130, 133. 10 lichen Wege, des öffentlichen Wassers u. s. w.“ Geschieht der Ausschluß des Einzelnen durch Verfügung der Verwaltungsbehörde, so ist das „eine Verletzung seiner Persönlichkeit“, „ein rechtlich unbegründeter Eingriff in ein subjektives Recht“. Hierin ist die ganze Grundidee des Rechts des Gemeingebrauchs ent- halten; wegen des Ausdruckes „ein subjektives Recht“ dürfen wir ja unsere Vor- behalte machen.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/129>, abgerufen am 24.04.2024.