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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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Das öffentliche Sachenrecht.
so und in gleichem Maße gegenüber jedermann. Von jeder-
mann kann ich fordern, daß er mich nicht hindere, die öffentliche
Sache zu gebrauchen, auf der öffentlichen Straße zu gehen und zu
fahren u. s. w. Das Gegenteil wäre ein rechtswidriger Eingriff in
meine Rechte, dem ich mit Selbsthülfe, durch Anrufung des Schutzes
der Polizeigewalt, durch civilrechtliche Klage auf Unterlassung und
Schadensersatz begegnen kann9. Also ein absolutes Recht ist in
Frage. Dieses absolute Recht kann seinen Mittelpunkt aber nicht
haben in der dinglichen Herrschaft über eine bestimmte Sache; denn
eine solche besteht ja nicht, sondern einzig und allein in der Persön-
lichkeit dessen, der es ausübt. Und zwar ist dieses Recht von vorn-
herein und selbstverständlich verbunden mit jeder Persönlichkeit, mit
jedem rechtsfähigen Subjekt. Es kann auch von dieser nicht gelöst
werden: es ist kein Gegenstand der Vererbung noch der Veräußerung,
es ist unübertragbar und unverzichtbar.

So ist das Recht des Gemeingebrauchs gestaltet, das wir hier
vor uns haben. Was es aber demnach für eine Art von Recht ist,
kann nicht in Zweifel stehen. Es paßt darauf keine von den fest
ausgeprägten Formen civilrechtlicher Befugnisse, auch ein subjektives
öffentliches Recht im strengen Sinne des Wortes (oben § 9, III) ist
nicht darin gegeben. Der Anspruch, öffentliche Sachen in gewissem
Maße zu gebrauchen, ist nichts anderes als ein Stück der persönlichen
und wirtschaftlichen Freiheit, mit welcher der Mensch in unserer
bürgerlichen Gesellschaft, der öffentlichen Gewalt wie den Mitmenschen
gegenüber, ausgestattet erscheint, mit welcher er darin auf-
genommen ist, als der Voraussetzung für alles Übrige10.

9 Landsberg, Injuria und Beleidigung S. 104: "noch heute ist mit der
actio injuriarum aestimatoria verfolgbar, wer irgend jemanden im Genusse oder
Gebrauche der öffentlicher Benützung unterworfener Sachen stört". Ubbelohde
a. a. O. S. 201 hält die Injurienklage für überflüssig, da heut zu Tage jede Störung
des Gemeingebrauchs immer unter irgend eine Bestimmung des Strafgesetzbuchs
falle; wenn sonst gar nichts paßt, wird man "doch in solchem Treiben immer
einen groben Unfug erblicken". Gerade an die Strafbarkeit würde sich aber erst
recht eine Schadensersatzklage des Verletzten anschließen müssen. Im einzelnen
hängt natürlich alles davon ab, ob das Civilrecht die Schadensersatzpflicht ex delicto
freier oder enger bestimmt. Über diese Frage vor allem die trefflichen Aus-
führungen bei v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 427 ff., 501 ff.
10 Das Beste, was darüber gesagt ist, findet sich wohl bei v. Sarwey, Öff.
R. u. V.R.Pfl. S. 429 ff.: "wenn jemand von der Teilnahme an den Einrichtungen
des menschlichen Lebens, die allgemein jeder Person als solcher zustehn, ohne zu-
reichenden Grund ausgeschlossen wird", ist das Nichtanerkennung der Persönlich-
keit und als solche Rechtsverletzung. "Es gehört dahin der Gebrauch der öffent-

Das öffentliche Sachenrecht.
so und in gleichem Maße gegenüber jedermann. Von jeder-
mann kann ich fordern, daß er mich nicht hindere, die öffentliche
Sache zu gebrauchen, auf der öffentlichen Straße zu gehen und zu
fahren u. s. w. Das Gegenteil wäre ein rechtswidriger Eingriff in
meine Rechte, dem ich mit Selbsthülfe, durch Anrufung des Schutzes
der Polizeigewalt, durch civilrechtliche Klage auf Unterlassung und
Schadensersatz begegnen kann9. Also ein absolutes Recht ist in
Frage. Dieses absolute Recht kann seinen Mittelpunkt aber nicht
haben in der dinglichen Herrschaft über eine bestimmte Sache; denn
eine solche besteht ja nicht, sondern einzig und allein in der Persön-
lichkeit dessen, der es ausübt. Und zwar ist dieses Recht von vorn-
herein und selbstverständlich verbunden mit jeder Persönlichkeit, mit
jedem rechtsfähigen Subjekt. Es kann auch von dieser nicht gelöst
werden: es ist kein Gegenstand der Vererbung noch der Veräußerung,
es ist unübertragbar und unverzichtbar.

So ist das Recht des Gemeingebrauchs gestaltet, das wir hier
vor uns haben. Was es aber demnach für eine Art von Recht ist,
kann nicht in Zweifel stehen. Es paßt darauf keine von den fest
ausgeprägten Formen civilrechtlicher Befugnisse, auch ein subjektives
öffentliches Recht im strengen Sinne des Wortes (oben § 9, III) ist
nicht darin gegeben. Der Anspruch, öffentliche Sachen in gewissem
Maße zu gebrauchen, ist nichts anderes als ein Stück der persönlichen
und wirtschaftlichen Freiheit, mit welcher der Mensch in unserer
bürgerlichen Gesellschaft, der öffentlichen Gewalt wie den Mitmenschen
gegenüber, ausgestattet erscheint, mit welcher er darin auf-
genommen ist, als der Voraussetzung für alles Übrige10.

9 Landsberg, Injuria und Beleidigung S. 104: „noch heute ist mit der
actio injuriarum aestimatoria verfolgbar, wer irgend jemanden im Genusse oder
Gebrauche der öffentlicher Benützung unterworfener Sachen stört“. Ubbelohde
a. a. O. S. 201 hält die Injurienklage für überflüssig, da heut zu Tage jede Störung
des Gemeingebrauchs immer unter irgend eine Bestimmung des Strafgesetzbuchs
falle; wenn sonst gar nichts paßt, wird man „doch in solchem Treiben immer
einen groben Unfug erblicken“. Gerade an die Strafbarkeit würde sich aber erst
recht eine Schadensersatzklage des Verletzten anschließen müssen. Im einzelnen
hängt natürlich alles davon ab, ob das Civilrecht die Schadensersatzpflicht ex delicto
freier oder enger bestimmt. Über diese Frage vor allem die trefflichen Aus-
führungen bei v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 427 ff., 501 ff.
10 Das Beste, was darüber gesagt ist, findet sich wohl bei v. Sarwey, Öff.
R. u. V.R.Pfl. S. 429 ff.: „wenn jemand von der Teilnahme an den Einrichtungen
des menschlichen Lebens, die allgemein jeder Person als solcher zustehn, ohne zu-
reichenden Grund ausgeschlossen wird“, ist das Nichtanerkennung der Persönlich-
keit und als solche Rechtsverletzung. „Es gehört dahin der Gebrauch der öffent-
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[116/0128] Das öffentliche Sachenrecht. so und in gleichem Maße gegenüber jedermann. Von jeder- mann kann ich fordern, daß er mich nicht hindere, die öffentliche Sache zu gebrauchen, auf der öffentlichen Straße zu gehen und zu fahren u. s. w. Das Gegenteil wäre ein rechtswidriger Eingriff in meine Rechte, dem ich mit Selbsthülfe, durch Anrufung des Schutzes der Polizeigewalt, durch civilrechtliche Klage auf Unterlassung und Schadensersatz begegnen kann 9. Also ein absolutes Recht ist in Frage. Dieses absolute Recht kann seinen Mittelpunkt aber nicht haben in der dinglichen Herrschaft über eine bestimmte Sache; denn eine solche besteht ja nicht, sondern einzig und allein in der Persön- lichkeit dessen, der es ausübt. Und zwar ist dieses Recht von vorn- herein und selbstverständlich verbunden mit jeder Persönlichkeit, mit jedem rechtsfähigen Subjekt. Es kann auch von dieser nicht gelöst werden: es ist kein Gegenstand der Vererbung noch der Veräußerung, es ist unübertragbar und unverzichtbar. So ist das Recht des Gemeingebrauchs gestaltet, das wir hier vor uns haben. Was es aber demnach für eine Art von Recht ist, kann nicht in Zweifel stehen. Es paßt darauf keine von den fest ausgeprägten Formen civilrechtlicher Befugnisse, auch ein subjektives öffentliches Recht im strengen Sinne des Wortes (oben § 9, III) ist nicht darin gegeben. Der Anspruch, öffentliche Sachen in gewissem Maße zu gebrauchen, ist nichts anderes als ein Stück der persönlichen und wirtschaftlichen Freiheit, mit welcher der Mensch in unserer bürgerlichen Gesellschaft, der öffentlichen Gewalt wie den Mitmenschen gegenüber, ausgestattet erscheint, mit welcher er darin auf- genommen ist, als der Voraussetzung für alles Übrige 10. 9 Landsberg, Injuria und Beleidigung S. 104: „noch heute ist mit der actio injuriarum aestimatoria verfolgbar, wer irgend jemanden im Genusse oder Gebrauche der öffentlicher Benützung unterworfener Sachen stört“. Ubbelohde a. a. O. S. 201 hält die Injurienklage für überflüssig, da heut zu Tage jede Störung des Gemeingebrauchs immer unter irgend eine Bestimmung des Strafgesetzbuchs falle; wenn sonst gar nichts paßt, wird man „doch in solchem Treiben immer einen groben Unfug erblicken“. Gerade an die Strafbarkeit würde sich aber erst recht eine Schadensersatzklage des Verletzten anschließen müssen. Im einzelnen hängt natürlich alles davon ab, ob das Civilrecht die Schadensersatzpflicht ex delicto freier oder enger bestimmt. Über diese Frage vor allem die trefflichen Aus- führungen bei v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 427 ff., 501 ff. 10 Das Beste, was darüber gesagt ist, findet sich wohl bei v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 429 ff.: „wenn jemand von der Teilnahme an den Einrichtungen des menschlichen Lebens, die allgemein jeder Person als solcher zustehn, ohne zu- reichenden Grund ausgeschlossen wird“, ist das Nichtanerkennung der Persönlich- keit und als solche Rechtsverletzung. „Es gehört dahin der Gebrauch der öffent-

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/128>, abgerufen am 29.03.2024.