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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte.

Langsamer geht es mit dem jus sequelae, dem Recht auf
Fronden, vor allem mit dem Recht der Steuerauflage. Hier
finden die Gerichte gern noch irgend eine Rücksichtnahme her-
aus, an welche das Recht gebunden, irgend eine Bedingung, unter
der allein es gegeben ist9. Aber im grossen und ganzen ist an
Bestand und Umfang der Hoheitsrechte selbst schliesslich nicht mehr
viel zu bestreiten und zu prüfen; es kann in dieser Beziehung alles
beansprucht werden, was man in gutem Glauben für notwendig
halten mag10.

Desto strenger wachen die Gerichte darüber, dass wenigstens eine
andere Grenze innegehalten werde, die für jedes Recht gilt: auch
das beste Recht darf nicht missbraucht werden; sonst ist es kein
Recht mehr. Die Hoheitsrechte sind gerade in dieser Beziehung be-
sonders empfindlich. Sie sind allesamt gemäss naturrechtlicher Auf-
fassung dem Landesherrn nur gegeben zu dem Zweck des allgemeinen
Wohles; er darf sie nur dafür verwenden, sonst missbraucht er sie
und handelt rechtswidrig11. Ebenso darf das Verfahren, in welchem
das Recht ausgeübt wird, den schicklichen geordneten Gang nicht ver-

prüfung der Vernünftigkeit als möglich gedacht. Hommelius, Rhapsod. vol. IV
obs. DII klagt aber: "multiplicare solent collegia .. causas politiae, ut liberiorem
aliquid audendi potestatem adipiscantur". Das kennzeichnet die führende Stellung
des jus politiae gegenüber den anderen Hoheitsrechten. v. Cramer, Wetzl. Nebenst.
VII S. 81, bekennt schliesslich: "Was ad politiam .. gerechnet werden kann, davon
ist dem summe imperanti das plenum arbitrium überlassen, dergestalt, dass kein
subditus hierbei sich eines begründeten juris contradicendi anmassen kann."
9 Philoparchus, Der gute Beamte I tit. 28 § 29, tit. 35 § 7; Pütter,
Beitr. I S. 357; v. Cramer, Wetzl. Nebenst. VII S. 85, IC S. 93; C S. 92. Der
Letztere äussert daselbst VI S. 2 noch etwas zurückhaltend: "Wenn man
ein jus territoriale arbitrarium statuiert, so steht es freilich im arbitrio eines
Landesherrn, das Abzugsgeld noviter einzuführen. Es hat aber sothanes jus terri-
toriale Freuer in einer besonderen Abhandlung als ein monstrum dargestellt."
10 Als Beispiel für die Art, wie man schliesst, mag der Fall dienen, den
v. Cramer, Wetzl. Nebenst. XIII S. 1 ff. giebt: Der Bischof von Speier will in
Bruchsal ein Zuchthaus bauen; dafür verlangt er die Abtretung eines Grundstückes;
die Klage des Eigentümers wird abgewiesen: es ist principium, dass ein Landes-
herr alles dasjenige unternehmen könne, was zum gemeinen Besten und Wohlfahrt
des Landes gereichet; Zuchthäuser sind sehr nützlich; "also musste man dem
Herrn Fürsten auch die Befugnis einräumen, den Platz selbst zu wählen und
ein Zuchthaus darauf zu bauen".
11 Lotz, Nachrichten S. 145: "jede das allgemeine Staatswohl verleugnende
Handlung (ist) wider den Zweck, warum die Staatsverwaltung den Regenten an-
vertraut worden, also unerlaubt und rechtswidrig." v. Cramer, Wetzl. Nebenst. I
S. 88 ff.; Pütter, Beitr. I S. 320, S. 354.
§ 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte.

Langsamer geht es mit dem jus sequelae, dem Recht auf
Fronden, vor allem mit dem Recht der Steuerauflage. Hier
finden die Gerichte gern noch irgend eine Rücksichtnahme her-
aus, an welche das Recht gebunden, irgend eine Bedingung, unter
der allein es gegeben ist9. Aber im groſsen und ganzen ist an
Bestand und Umfang der Hoheitsrechte selbst schlieſslich nicht mehr
viel zu bestreiten und zu prüfen; es kann in dieser Beziehung alles
beansprucht werden, was man in gutem Glauben für notwendig
halten mag10.

Desto strenger wachen die Gerichte darüber, daſs wenigstens eine
andere Grenze innegehalten werde, die für jedes Recht gilt: auch
das beste Recht darf nicht miſsbraucht werden; sonst ist es kein
Recht mehr. Die Hoheitsrechte sind gerade in dieser Beziehung be-
sonders empfindlich. Sie sind allesamt gemäſs naturrechtlicher Auf-
fassung dem Landesherrn nur gegeben zu dem Zweck des allgemeinen
Wohles; er darf sie nur dafür verwenden, sonst miſsbraucht er sie
und handelt rechtswidrig11. Ebenso darf das Verfahren, in welchem
das Recht ausgeübt wird, den schicklichen geordneten Gang nicht ver-

prüfung der Vernünftigkeit als möglich gedacht. Hommelius, Rhapsod. vol. IV
obs. DII klagt aber: „multiplicare solent collegia .. causas politiae, ut liberiorem
aliquid audendi potestatem adipiscantur“. Das kennzeichnet die führende Stellung
des jus politiae gegenüber den anderen Hoheitsrechten. v. Cramer, Wetzl. Nebenst.
VII S. 81, bekennt schlieſslich: „Was ad politiam .. gerechnet werden kann, davon
ist dem summe imperanti das plenum arbitrium überlassen, dergestalt, daſs kein
subditus hierbei sich eines begründeten juris contradicendi anmaſsen kann.“
9 Philoparchus, Der gute Beamte I tit. 28 § 29, tit. 35 § 7; Pütter,
Beitr. I S. 357; v. Cramer, Wetzl. Nebenst. VII S. 85, IC S. 93; C S. 92. Der
Letztere äuſsert daselbst VI S. 2 noch etwas zurückhaltend: „Wenn man
ein jus territoriale arbitrarium statuiert, so steht es freilich im arbitrio eines
Landesherrn, das Abzugsgeld noviter einzuführen. Es hat aber sothanes jus terri-
toriale Freuer in einer besonderen Abhandlung als ein monstrum dargestellt.“
10 Als Beispiel für die Art, wie man schlieſst, mag der Fall dienen, den
v. Cramer, Wetzl. Nebenst. XIII S. 1 ff. giebt: Der Bischof von Speier will in
Bruchsal ein Zuchthaus bauen; dafür verlangt er die Abtretung eines Grundstückes;
die Klage des Eigentümers wird abgewiesen: es ist principium, daſs ein Landes-
herr alles dasjenige unternehmen könne, was zum gemeinen Besten und Wohlfahrt
des Landes gereichet; Zuchthäuser sind sehr nützlich; „also muſste man dem
Herrn Fürsten auch die Befugnis einräumen, den Platz selbst zu wählen und
ein Zuchthaus darauf zu bauen“.
11 Lotz, Nachrichten S. 145: „jede das allgemeine Staatswohl verleugnende
Handlung (ist) wider den Zweck, warum die Staatsverwaltung den Regenten an-
vertraut worden, also unerlaubt und rechtswidrig.“ v. Cramer, Wetzl. Nebenst. I
S. 88 ff.; Pütter, Beitr. I S. 320, S. 354.
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[29/0049] § 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte. Langsamer geht es mit dem jus sequelae, dem Recht auf Fronden, vor allem mit dem Recht der Steuerauflage. Hier finden die Gerichte gern noch irgend eine Rücksichtnahme her- aus, an welche das Recht gebunden, irgend eine Bedingung, unter der allein es gegeben ist 9. Aber im groſsen und ganzen ist an Bestand und Umfang der Hoheitsrechte selbst schlieſslich nicht mehr viel zu bestreiten und zu prüfen; es kann in dieser Beziehung alles beansprucht werden, was man in gutem Glauben für notwendig halten mag 10. Desto strenger wachen die Gerichte darüber, daſs wenigstens eine andere Grenze innegehalten werde, die für jedes Recht gilt: auch das beste Recht darf nicht miſsbraucht werden; sonst ist es kein Recht mehr. Die Hoheitsrechte sind gerade in dieser Beziehung be- sonders empfindlich. Sie sind allesamt gemäſs naturrechtlicher Auf- fassung dem Landesherrn nur gegeben zu dem Zweck des allgemeinen Wohles; er darf sie nur dafür verwenden, sonst miſsbraucht er sie und handelt rechtswidrig 11. Ebenso darf das Verfahren, in welchem das Recht ausgeübt wird, den schicklichen geordneten Gang nicht ver- 8 9 Philoparchus, Der gute Beamte I tit. 28 § 29, tit. 35 § 7; Pütter, Beitr. I S. 357; v. Cramer, Wetzl. Nebenst. VII S. 85, IC S. 93; C S. 92. Der Letztere äuſsert daselbst VI S. 2 noch etwas zurückhaltend: „Wenn man ein jus territoriale arbitrarium statuiert, so steht es freilich im arbitrio eines Landesherrn, das Abzugsgeld noviter einzuführen. Es hat aber sothanes jus terri- toriale Freuer in einer besonderen Abhandlung als ein monstrum dargestellt.“ 10 Als Beispiel für die Art, wie man schlieſst, mag der Fall dienen, den v. Cramer, Wetzl. Nebenst. XIII S. 1 ff. giebt: Der Bischof von Speier will in Bruchsal ein Zuchthaus bauen; dafür verlangt er die Abtretung eines Grundstückes; die Klage des Eigentümers wird abgewiesen: es ist principium, daſs ein Landes- herr alles dasjenige unternehmen könne, was zum gemeinen Besten und Wohlfahrt des Landes gereichet; Zuchthäuser sind sehr nützlich; „also muſste man dem Herrn Fürsten auch die Befugnis einräumen, den Platz selbst zu wählen und ein Zuchthaus darauf zu bauen“. 11 Lotz, Nachrichten S. 145: „jede das allgemeine Staatswohl verleugnende Handlung (ist) wider den Zweck, warum die Staatsverwaltung den Regenten an- vertraut worden, also unerlaubt und rechtswidrig.“ v. Cramer, Wetzl. Nebenst. I S. 88 ff.; Pütter, Beitr. I S. 320, S. 354. 8 prüfung der Vernünftigkeit als möglich gedacht. Hommelius, Rhapsod. vol. IV obs. DII klagt aber: „multiplicare solent collegia .. causas politiae, ut liberiorem aliquid audendi potestatem adipiscantur“. Das kennzeichnet die führende Stellung des jus politiae gegenüber den anderen Hoheitsrechten. v. Cramer, Wetzl. Nebenst. VII S. 81, bekennt schlieſslich: „Was ad politiam .. gerechnet werden kann, davon ist dem summe imperanti das plenum arbitrium überlassen, dergestalt, daſs kein subditus hierbei sich eines begründeten juris contradicendi anmaſsen kann.“

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/49>, abgerufen am 19.04.2024.