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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte.
lebendig geblieben1. Die germanischen Völker vermochten dieses Erb-
stück der alten Kultur nicht zu bewahren. Das fränkische Königtum
hatte noch im Zusammenhange damit eine bedeutende Machtfülle ge-
wonnen, die es über die Stellung des alten Stammeshauptes weit
hinaus hob2. Unter den Karolingern beginnt schon die Zersetzung.
Das deutsche Kaisertum, obwohl es ausdrücklich die Nachfolge bean-
sprucht und hier und da Anläufe nimmt, aus seinem Vorbild neue
Kraft zu ziehen, wird ihm fremd und fremder, zugleich auch immer
schwächer. Mit Ausgang des Mittelalters ist entschieden, dass der
Schwerpunkt der staatlichen Entwicklung des deutschen Volkes in
die Einzelländer verlegt ist. In diesen aber baut sich die Staats-
gewalt auf ohne alle Anknüpfung an das Altertum, ohne Tradition.
Mühsam und langsam sammelt sie sich aus allerlei Stücken und in
der deutlich ausgeprägten Gestalt eines solchen Sammelwerkes stellt
sie sich uns zuerst dar. Aus dieser ihrer Natur bestimmt sich aber
auch ihr Verhältnis zum Unterthanen.

Es ist nicht der Staat, der den Unterthanen da gegenüber steht;
dieses Abstraktum hält erst später seinen Einzug und äussert dann
alsbald auch gewaltige Wirkung. Der Landesherr persönlich
ist allein in Frage. Der Landesherr hat seine Rechte wie ein anderer
Mensch. Er hat aber auch eine besondere Art von Rechten, die ihm
eigentümlich sind. Das sind solche, die Angelegenheiten des Gemein-
wesens betreffen und seine Stellung über dem Lande und den Unter-
thanen zum Ausdruck bringen. Sie heissen Hoheitsrechte und
ihre Gesamtheit bildet die Landeshoheit.

Diese Rechte sind nicht etwa, so wie wir jetzt von Rechten der
Staatsgewalt sprechen, Entfaltungen einer grossen allgemeinen Macht-
stellung, sondern sie sind jedes besonders erworben, nach und nach auf
verschiedene Titel, erworben einerseits dem Reiche gegenüber durch
Abzweigung von der ursprünglich umfassenden Kaiserlichen Gewalt,
andererseits den Unterthanen gegenüber, welche gedacht sind als frei
und unbelastet von Haus aus und zu Gunsten des Landesherrn nur
beschränkt, soweit ein Rechtstitel für ihn vorliegt. Eben deshalb,
weil sie in solcher Weise Stück für Stück zusammen erworben ist,
hat auch die Landeshoheit thatsächlich hier und dort einen sehr ver-
schiedenen Umfang3.

1 Mommsen, Abriss des Röm. St.R. S. 81; derselbe, Röm. St.R. II
S. 726 ff.
2 Brunner, D.R.Gesch. II S. 8.
3 Pütter, Beitr. I n. 6; Seckendorff, Teutsch. Fürsten-R. addit. § 19
Ziff. 4 und 5.

§ 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte.
lebendig geblieben1. Die germanischen Völker vermochten dieses Erb-
stück der alten Kultur nicht zu bewahren. Das fränkische Königtum
hatte noch im Zusammenhange damit eine bedeutende Machtfülle ge-
wonnen, die es über die Stellung des alten Stammeshauptes weit
hinaus hob2. Unter den Karolingern beginnt schon die Zersetzung.
Das deutsche Kaisertum, obwohl es ausdrücklich die Nachfolge bean-
sprucht und hier und da Anläufe nimmt, aus seinem Vorbild neue
Kraft zu ziehen, wird ihm fremd und fremder, zugleich auch immer
schwächer. Mit Ausgang des Mittelalters ist entschieden, daſs der
Schwerpunkt der staatlichen Entwicklung des deutschen Volkes in
die Einzelländer verlegt ist. In diesen aber baut sich die Staats-
gewalt auf ohne alle Anknüpfung an das Altertum, ohne Tradition.
Mühsam und langsam sammelt sie sich aus allerlei Stücken und in
der deutlich ausgeprägten Gestalt eines solchen Sammelwerkes stellt
sie sich uns zuerst dar. Aus dieser ihrer Natur bestimmt sich aber
auch ihr Verhältnis zum Unterthanen.

Es ist nicht der Staat, der den Unterthanen da gegenüber steht;
dieses Abstraktum hält erst später seinen Einzug und äuſsert dann
alsbald auch gewaltige Wirkung. Der Landesherr persönlich
ist allein in Frage. Der Landesherr hat seine Rechte wie ein anderer
Mensch. Er hat aber auch eine besondere Art von Rechten, die ihm
eigentümlich sind. Das sind solche, die Angelegenheiten des Gemein-
wesens betreffen und seine Stellung über dem Lande und den Unter-
thanen zum Ausdruck bringen. Sie heiſsen Hoheitsrechte und
ihre Gesamtheit bildet die Landeshoheit.

Diese Rechte sind nicht etwa, so wie wir jetzt von Rechten der
Staatsgewalt sprechen, Entfaltungen einer groſsen allgemeinen Macht-
stellung, sondern sie sind jedes besonders erworben, nach und nach auf
verschiedene Titel, erworben einerseits dem Reiche gegenüber durch
Abzweigung von der ursprünglich umfassenden Kaiserlichen Gewalt,
andererseits den Unterthanen gegenüber, welche gedacht sind als frei
und unbelastet von Haus aus und zu Gunsten des Landesherrn nur
beschränkt, soweit ein Rechtstitel für ihn vorliegt. Eben deshalb,
weil sie in solcher Weise Stück für Stück zusammen erworben ist,
hat auch die Landeshoheit thatsächlich hier und dort einen sehr ver-
schiedenen Umfang3.

1 Mommsen, Abriſs des Röm. St.R. S. 81; derselbe, Röm. St.R. II
S. 726 ff.
2 Brunner, D.R.Gesch. II S. 8.
3 Pütter, Beitr. I n. 6; Seckendorff, Teutsch. Fürsten-R. addit. § 19
Ziff. 4 und 5.
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[25/0045] § 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte. lebendig geblieben 1. Die germanischen Völker vermochten dieses Erb- stück der alten Kultur nicht zu bewahren. Das fränkische Königtum hatte noch im Zusammenhange damit eine bedeutende Machtfülle ge- wonnen, die es über die Stellung des alten Stammeshauptes weit hinaus hob 2. Unter den Karolingern beginnt schon die Zersetzung. Das deutsche Kaisertum, obwohl es ausdrücklich die Nachfolge bean- sprucht und hier und da Anläufe nimmt, aus seinem Vorbild neue Kraft zu ziehen, wird ihm fremd und fremder, zugleich auch immer schwächer. Mit Ausgang des Mittelalters ist entschieden, daſs der Schwerpunkt der staatlichen Entwicklung des deutschen Volkes in die Einzelländer verlegt ist. In diesen aber baut sich die Staats- gewalt auf ohne alle Anknüpfung an das Altertum, ohne Tradition. Mühsam und langsam sammelt sie sich aus allerlei Stücken und in der deutlich ausgeprägten Gestalt eines solchen Sammelwerkes stellt sie sich uns zuerst dar. Aus dieser ihrer Natur bestimmt sich aber auch ihr Verhältnis zum Unterthanen. Es ist nicht der Staat, der den Unterthanen da gegenüber steht; dieses Abstraktum hält erst später seinen Einzug und äuſsert dann alsbald auch gewaltige Wirkung. Der Landesherr persönlich ist allein in Frage. Der Landesherr hat seine Rechte wie ein anderer Mensch. Er hat aber auch eine besondere Art von Rechten, die ihm eigentümlich sind. Das sind solche, die Angelegenheiten des Gemein- wesens betreffen und seine Stellung über dem Lande und den Unter- thanen zum Ausdruck bringen. Sie heiſsen Hoheitsrechte und ihre Gesamtheit bildet die Landeshoheit. Diese Rechte sind nicht etwa, so wie wir jetzt von Rechten der Staatsgewalt sprechen, Entfaltungen einer groſsen allgemeinen Macht- stellung, sondern sie sind jedes besonders erworben, nach und nach auf verschiedene Titel, erworben einerseits dem Reiche gegenüber durch Abzweigung von der ursprünglich umfassenden Kaiserlichen Gewalt, andererseits den Unterthanen gegenüber, welche gedacht sind als frei und unbelastet von Haus aus und zu Gunsten des Landesherrn nur beschränkt, soweit ein Rechtstitel für ihn vorliegt. Eben deshalb, weil sie in solcher Weise Stück für Stück zusammen erworben ist, hat auch die Landeshoheit thatsächlich hier und dort einen sehr ver- schiedenen Umfang 3. 1 Mommsen, Abriſs des Röm. St.R. S. 81; derselbe, Röm. St.R. II S. 726 ff. 2 Brunner, D.R.Gesch. II S. 8. 3 Pütter, Beitr. I n. 6; Seckendorff, Teutsch. Fürsten-R. addit. § 19 Ziff. 4 und 5.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/45>, abgerufen am 28.03.2024.