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Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869.

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fangen, verhöhnen grausam-gründlich die Halbheiten, Schwächen und Erbärm¬
lichkeiten ihrer ersten Versuche, scheinen ihren Gegner nur niederzuwerfen,
damit er neue Kräfte aus der Erde sauge und sich riesenhafter ihnen gegen¬
über wieder aufrichte, schrecken stets von Neuem zurück vor der unbestimmten
Ungeheuerlichkeit ihrer eignen Zwecke, bis die Situation geschaffen ist, die
jede Umkehr unmöglich macht, und die Verhältnisse selbst rufen:

Hic Rhodus, hic salta!
Hier ist die Rose, hier tanze!

Jeder erträgliche Beobachter übrigens, selbst wenn er nicht Schritt vor
Schritt dem Gang der französischen Entwicklung gefolgt war, mußte ahnen,
daß der Revolution eine unerhörte Blamage bevorstehe. Es genügte das
selbstgefällige Siegsgekläffe zu hören, womit die Herren Demokraten sich wech¬
selweis zu den Gnadenwirkungen des 2. Mai 1852 beglückwünschten. Der
2. Mai 1852 war in ihren Köpfen zur fixen Idee geworden, zum Dogma,
wie der Tag, an dem Christus wiedererscheinen und das tausendjährige Reich
beginnen sollte, in den Köpfen der Chiliasten. Die Schwäche hatte sich wie
immer in den Wunderglauben gerettet, glaubte den Feind überwunden, wenn
sie ihn in der Phantasie weghexte, und verlor alles Verständniß der Gegen¬
wart über der thatlosen Verhimmelung der Zukunft, die ihr bevorstehe, und
der Thaten, die sie in petto habe, aber nur noch nicht an den Mann bringen
wolle. Jene Helden, die ihre bewiesene Unfähigkeit dadurch zu widerlegen
suchen, daß sie sich wechselseitig ihr Mitleiden schenken und sich zu einem
Haufen zusammenthun, hatten ihre Bündel geschnürt, strichen ihre Lorbeer¬
kronen auf Vorschuß ein und waren eben damit beschäftigt, auf dem Wechsel¬
markt die Republiken in partibus diskontiren zu lassen, für die sie bereits in
aller Stille ihres anspruchslosen Gemüths das Regierungspersonal vorsorg¬
lich organisirt hatten. Der 2. Dezember traf sie wie ein Blitzstrahl aus
heiterm Himmel, und die Völker, die in Epochen kleinmüthiger Verstimmung
sich gern ihre innere Angst von den lautesten Schreiern übertäuben lassen,
werden sich vielleicht überzeugt haben, daß die Zeiten vorüber sind, wo das
Geschnatter von Gänsen das Kapitol retten konnte.

Die Konstitution, die Nationalversammlung, die dynastischen Partheien,
die blauen und die rothen Republikaner, die Helden von Afrika, der Donner
der Tribüne, das Wetterleuchten der Tagespresse, die gesammte Literatur, die
politischen Namen und die geistigen Renommeen, das bürgerliche Gesetz und
das peinliche Recht, die liberte, egalite, fraternite und der 2. Mai 1852 --

fangen, verhöhnen grauſam-gründlich die Halbheiten, Schwächen und Erbärm¬
lichkeiten ihrer erſten Verſuche, ſcheinen ihren Gegner nur niederzuwerfen,
damit er neue Kräfte aus der Erde ſauge und ſich rieſenhafter ihnen gegen¬
über wieder aufrichte, ſchrecken ſtets von Neuem zurück vor der unbeſtimmten
Ungeheuerlichkeit ihrer eignen Zwecke, bis die Situation geſchaffen iſt, die
jede Umkehr unmöglich macht, und die Verhältniſſe ſelbſt rufen:

Hic Rhodus, hic salta!
Hier iſt die Roſe, hier tanze!

Jeder erträgliche Beobachter übrigens, ſelbſt wenn er nicht Schritt vor
Schritt dem Gang der franzöſiſchen Entwicklung gefolgt war, mußte ahnen,
daß der Revolution eine unerhörte Blamage bevorſtehe. Es genügte das
ſelbſtgefällige Siegsgekläffe zu hören, womit die Herren Demokraten ſich wech¬
ſelweis zu den Gnadenwirkungen des 2. Mai 1852 beglückwünſchten. Der
2. Mai 1852 war in ihren Köpfen zur fixen Idee geworden, zum Dogma,
wie der Tag, an dem Chriſtus wiedererſcheinen und das tauſendjährige Reich
beginnen ſollte, in den Köpfen der Chiliaſten. Die Schwäche hatte ſich wie
immer in den Wunderglauben gerettet, glaubte den Feind überwunden, wenn
ſie ihn in der Phantaſie weghexte, und verlor alles Verſtändniß der Gegen¬
wart über der thatloſen Verhimmelung der Zukunft, die ihr bevorſtehe, und
der Thaten, die ſie in petto habe, aber nur noch nicht an den Mann bringen
wolle. Jene Helden, die ihre bewieſene Unfähigkeit dadurch zu widerlegen
ſuchen, daß ſie ſich wechſelſeitig ihr Mitleiden ſchenken und ſich zu einem
Haufen zuſammenthun, hatten ihre Bündel geſchnürt, ſtrichen ihre Lorbeer¬
kronen auf Vorſchuß ein und waren eben damit beſchäftigt, auf dem Wechſel¬
markt die Republiken in partibus diskontiren zu laſſen, für die ſie bereits in
aller Stille ihres anſpruchsloſen Gemüths das Regierungsperſonal vorſorg¬
lich organiſirt hatten. Der 2. Dezember traf ſie wie ein Blitzſtrahl aus
heiterm Himmel, und die Völker, die in Epochen kleinmüthiger Verſtimmung
ſich gern ihre innere Angſt von den lauteſten Schreiern übertäuben laſſen,
werden ſich vielleicht überzeugt haben, daß die Zeiten vorüber ſind, wo das
Geſchnatter von Gänſen das Kapitol retten konnte.

Die Konſtitution, die Nationalverſammlung, die dynaſtiſchen Partheien,
die blauen und die rothen Republikaner, die Helden von Afrika, der Donner
der Tribüne, das Wetterleuchten der Tagespreſſe, die geſammte Literatur, die
politiſchen Namen und die geiſtigen Renomméen, das bürgerliche Geſetz und
das peinliche Recht, die liberté, égalité, fraternité und der 2. Mai 1852

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[5/0017] fangen, verhöhnen grauſam-gründlich die Halbheiten, Schwächen und Erbärm¬ lichkeiten ihrer erſten Verſuche, ſcheinen ihren Gegner nur niederzuwerfen, damit er neue Kräfte aus der Erde ſauge und ſich rieſenhafter ihnen gegen¬ über wieder aufrichte, ſchrecken ſtets von Neuem zurück vor der unbeſtimmten Ungeheuerlichkeit ihrer eignen Zwecke, bis die Situation geſchaffen iſt, die jede Umkehr unmöglich macht, und die Verhältniſſe ſelbſt rufen: Hic Rhodus, hic salta! Hier iſt die Roſe, hier tanze! Jeder erträgliche Beobachter übrigens, ſelbſt wenn er nicht Schritt vor Schritt dem Gang der franzöſiſchen Entwicklung gefolgt war, mußte ahnen, daß der Revolution eine unerhörte Blamage bevorſtehe. Es genügte das ſelbſtgefällige Siegsgekläffe zu hören, womit die Herren Demokraten ſich wech¬ ſelweis zu den Gnadenwirkungen des 2. Mai 1852 beglückwünſchten. Der 2. Mai 1852 war in ihren Köpfen zur fixen Idee geworden, zum Dogma, wie der Tag, an dem Chriſtus wiedererſcheinen und das tauſendjährige Reich beginnen ſollte, in den Köpfen der Chiliaſten. Die Schwäche hatte ſich wie immer in den Wunderglauben gerettet, glaubte den Feind überwunden, wenn ſie ihn in der Phantaſie weghexte, und verlor alles Verſtändniß der Gegen¬ wart über der thatloſen Verhimmelung der Zukunft, die ihr bevorſtehe, und der Thaten, die ſie in petto habe, aber nur noch nicht an den Mann bringen wolle. Jene Helden, die ihre bewieſene Unfähigkeit dadurch zu widerlegen ſuchen, daß ſie ſich wechſelſeitig ihr Mitleiden ſchenken und ſich zu einem Haufen zuſammenthun, hatten ihre Bündel geſchnürt, ſtrichen ihre Lorbeer¬ kronen auf Vorſchuß ein und waren eben damit beſchäftigt, auf dem Wechſel¬ markt die Republiken in partibus diskontiren zu laſſen, für die ſie bereits in aller Stille ihres anſpruchsloſen Gemüths das Regierungsperſonal vorſorg¬ lich organiſirt hatten. Der 2. Dezember traf ſie wie ein Blitzſtrahl aus heiterm Himmel, und die Völker, die in Epochen kleinmüthiger Verſtimmung ſich gern ihre innere Angſt von den lauteſten Schreiern übertäuben laſſen, werden ſich vielleicht überzeugt haben, daß die Zeiten vorüber ſind, wo das Geſchnatter von Gänſen das Kapitol retten konnte. Die Konſtitution, die Nationalverſammlung, die dynaſtiſchen Partheien, die blauen und die rothen Republikaner, die Helden von Afrika, der Donner der Tribüne, das Wetterleuchten der Tagespreſſe, die geſammte Literatur, die politiſchen Namen und die geiſtigen Renomméen, das bürgerliche Geſetz und das peinliche Recht, die liberté, égalité, fraternité und der 2. Mai 1852 —

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_bonaparte_1869/17>, abgerufen am 28.03.2024.