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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Gefässräumlichkeit; ihr Verhältniss in Arterien und Venen.
Stoffen vorkommt, die einem constanten Druck ausgesetzt sind; denn
während einer Zusammenziehung der Muskeln werden die elastischen
Gewebe gleichsam entlastet, und es wird ihnen somit Zeit gegeben, sich
wieder auf ihre wahre Länge zu verkürzen. Alle Gefässe, deren Mus-
keln, respektive Nerven, den natürlichen Erregern entzogen sind, wer-
den darum sich allmählig erweitern.

Gefässräumlichkeit; Umfang derselben. Die Frage nach
dem Gesammtraum, den die Gefässwandungen einschliessen, und in wel-
cher Weise mit dem steigenden Druck und zunehmender Muskelzusam-
menziehung das von ihm umfasste Volum veränderlich sei, ist noch nie-
mals Gegenstand einer Untersuchung gewesen; auf diese Frage und
namentlich auf den ersten Theil derselben, würde man auch bei den
zahllosen individuellen Abweichungen keine allgemein giltige Antwort er-
halten. -- Wichtiger dürfte es sein, diese Fragen dahin zu richten: wie
verhält sich der Inhalt der einzelnen Gefässarten, der Arterien zu den
Capillaren, zu den Venen; oder wie stellt sich zueinander die Räumlich-
keit der einzelnen Abtheilungen des Gefässsystems, z. B. der Lungen- zu
den Körpergefässen, zu den Darm-, den Nieren-, Leber-, Hirn- u. s. w.
Gefässen; in welchem Verhältniss variirt die Räumlichkeit der einzelnen
Gefässarten und Abtheilungen mit dem veränderlichen Drucke der ein-
strömenden Flüssigkeit.

Die hier berührten Fragen sind wiederholt aufgeworfen, zum Theil ist sogar
ihre Lösung versucht, aber mit nicht hinreichenden Hilfsmitteln. Namentlich hat
man öfter die Gefässe mit erstarrenden Massen ausgesprützt und aus der Menge und
dem spezifischen Gewicht des hierzu verbrauchten Materials das erfüllte Volum be-
rechnet. Diese Versuche, die man meist zu andern Zwecken angestellt hat, würden
für den vorliegenden brauchbar sein, wenn man darauf bedacht gewesen wäre, ent-
weder das ganze, oder nur eine bestimmte Abtheilung des Gefässsystems vollkom-
men zu füllen und wenn man den Druck, unter dem die Füllung geschehen wäre,
gemessen hätte *). --

Dem Augenschein nach ist im Körperkreislauf ganz unzweifelhaft
das Gesammtlumen der venösen Gefässe ausserordentlich dem der Arte-
rien überlegen, da die Länge der beiden Abtheilungen zukommenden Ge-
fässe mindestens gleich, die Stämme und Aeste im Venenbereich aber zahl-
reicher vorhanden und zugleich von grösserem Durchmesser sind; da die
Venen, mit den Arterien verglichen, dünnwändiger sind, und da ein sehr
beträchtlicher Theil derselben in der Haut, d. h. in ein sehr nachgiebiges
Gewebe eingebettet ist, so werden hydrostatische Drücke von gleichem
Werth die Venen weiter ausdehnen, als die Arterien. -- Im Lungenkreis-
lauf sind dem Augenschein nach die Unterschiede zwischen dem Venen-
und Arterieninhalt nicht so beträchtlich; nach den Messungen von Abegg

*) Litteratur siehe bei Valentin, Lehrbuch. I. Bd. 2. Aufl. p. 494 u. 495. und Abegg in Va-
lentins
Jahresbericht über Physiologie für 1848. p. 120.

Gefässräumlichkeit; ihr Verhältniss in Arterien und Venen.
Stoffen vorkommt, die einem constanten Druck ausgesetzt sind; denn
während einer Zusammenziehung der Muskeln werden die elastischen
Gewebe gleichsam entlastet, und es wird ihnen somit Zeit gegeben, sich
wieder auf ihre wahre Länge zu verkürzen. Alle Gefässe, deren Mus-
keln, respektive Nerven, den natürlichen Erregern entzogen sind, wer-
den darum sich allmählig erweitern.

Gefässräumlichkeit; Umfang derselben. Die Frage nach
dem Gesammtraum, den die Gefässwandungen einschliessen, und in wel-
cher Weise mit dem steigenden Druck und zunehmender Muskelzusam-
menziehung das von ihm umfasste Volum veränderlich sei, ist noch nie-
mals Gegenstand einer Untersuchung gewesen; auf diese Frage und
namentlich auf den ersten Theil derselben, würde man auch bei den
zahllosen individuellen Abweichungen keine allgemein giltige Antwort er-
halten. — Wichtiger dürfte es sein, diese Fragen dahin zu richten: wie
verhält sich der Inhalt der einzelnen Gefässarten, der Arterien zu den
Capillaren, zu den Venen; oder wie stellt sich zueinander die Räumlich-
keit der einzelnen Abtheilungen des Gefässsystems, z. B. der Lungen- zu
den Körpergefässen, zu den Darm-, den Nieren-, Leber-, Hirn- u. s. w.
Gefässen; in welchem Verhältniss variirt die Räumlichkeit der einzelnen
Gefässarten und Abtheilungen mit dem veränderlichen Drucke der ein-
strömenden Flüssigkeit.

Die hier berührten Fragen sind wiederholt aufgeworfen, zum Theil ist sogar
ihre Lösung versucht, aber mit nicht hinreichenden Hilfsmitteln. Namentlich hat
man öfter die Gefässe mit erstarrenden Massen ausgesprützt und aus der Menge und
dem spezifischen Gewicht des hierzu verbrauchten Materials das erfüllte Volum be-
rechnet. Diese Versuche, die man meist zu andern Zwecken angestellt hat, würden
für den vorliegenden brauchbar sein, wenn man darauf bedacht gewesen wäre, ent-
weder das ganze, oder nur eine bestimmte Abtheilung des Gefässsystems vollkom-
men zu füllen und wenn man den Druck, unter dem die Füllung geschehen wäre,
gemessen hätte *). —

Dem Augenschein nach ist im Körperkreislauf ganz unzweifelhaft
das Gesammtlumen der venösen Gefässe ausserordentlich dem der Arte-
rien überlegen, da die Länge der beiden Abtheilungen zukommenden Ge-
fässe mindestens gleich, die Stämme und Aeste im Venenbereich aber zahl-
reicher vorhanden und zugleich von grösserem Durchmesser sind; da die
Venen, mit den Arterien verglichen, dünnwändiger sind, und da ein sehr
beträchtlicher Theil derselben in der Haut, d. h. in ein sehr nachgiebiges
Gewebe eingebettet ist, so werden hydrostatische Drücke von gleichem
Werth die Venen weiter ausdehnen, als die Arterien. — Im Lungenkreis-
lauf sind dem Augenschein nach die Unterschiede zwischen dem Venen-
und Arterieninhalt nicht so beträchtlich; nach den Messungen von Abegg

*) Litteratur siehe bei Valentin, Lehrbuch. I. Bd. 2. Aufl. p. 494 u. 495. und Abegg in Va-
lentins
Jahresbericht über Physiologie für 1848. p. 120.
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[80/0096] Gefässräumlichkeit; ihr Verhältniss in Arterien und Venen. Stoffen vorkommt, die einem constanten Druck ausgesetzt sind; denn während einer Zusammenziehung der Muskeln werden die elastischen Gewebe gleichsam entlastet, und es wird ihnen somit Zeit gegeben, sich wieder auf ihre wahre Länge zu verkürzen. Alle Gefässe, deren Mus- keln, respektive Nerven, den natürlichen Erregern entzogen sind, wer- den darum sich allmählig erweitern. Gefässräumlichkeit; Umfang derselben. Die Frage nach dem Gesammtraum, den die Gefässwandungen einschliessen, und in wel- cher Weise mit dem steigenden Druck und zunehmender Muskelzusam- menziehung das von ihm umfasste Volum veränderlich sei, ist noch nie- mals Gegenstand einer Untersuchung gewesen; auf diese Frage und namentlich auf den ersten Theil derselben, würde man auch bei den zahllosen individuellen Abweichungen keine allgemein giltige Antwort er- halten. — Wichtiger dürfte es sein, diese Fragen dahin zu richten: wie verhält sich der Inhalt der einzelnen Gefässarten, der Arterien zu den Capillaren, zu den Venen; oder wie stellt sich zueinander die Räumlich- keit der einzelnen Abtheilungen des Gefässsystems, z. B. der Lungen- zu den Körpergefässen, zu den Darm-, den Nieren-, Leber-, Hirn- u. s. w. Gefässen; in welchem Verhältniss variirt die Räumlichkeit der einzelnen Gefässarten und Abtheilungen mit dem veränderlichen Drucke der ein- strömenden Flüssigkeit. Die hier berührten Fragen sind wiederholt aufgeworfen, zum Theil ist sogar ihre Lösung versucht, aber mit nicht hinreichenden Hilfsmitteln. Namentlich hat man öfter die Gefässe mit erstarrenden Massen ausgesprützt und aus der Menge und dem spezifischen Gewicht des hierzu verbrauchten Materials das erfüllte Volum be- rechnet. Diese Versuche, die man meist zu andern Zwecken angestellt hat, würden für den vorliegenden brauchbar sein, wenn man darauf bedacht gewesen wäre, ent- weder das ganze, oder nur eine bestimmte Abtheilung des Gefässsystems vollkom- men zu füllen und wenn man den Druck, unter dem die Füllung geschehen wäre, gemessen hätte *). — Dem Augenschein nach ist im Körperkreislauf ganz unzweifelhaft das Gesammtlumen der venösen Gefässe ausserordentlich dem der Arte- rien überlegen, da die Länge der beiden Abtheilungen zukommenden Ge- fässe mindestens gleich, die Stämme und Aeste im Venenbereich aber zahl- reicher vorhanden und zugleich von grösserem Durchmesser sind; da die Venen, mit den Arterien verglichen, dünnwändiger sind, und da ein sehr beträchtlicher Theil derselben in der Haut, d. h. in ein sehr nachgiebiges Gewebe eingebettet ist, so werden hydrostatische Drücke von gleichem Werth die Venen weiter ausdehnen, als die Arterien. — Im Lungenkreis- lauf sind dem Augenschein nach die Unterschiede zwischen dem Venen- und Arterieninhalt nicht so beträchtlich; nach den Messungen von Abegg *) Litteratur siehe bei Valentin, Lehrbuch. I. Bd. 2. Aufl. p. 494 u. 495. und Abegg in Va- lentins Jahresbericht über Physiologie für 1848. p. 120.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/96>, abgerufen am 23.04.2024.