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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Geschwindigkeit und Spannung in denselben.
was, wie wir erwähuten, herrührt von dem viel geringeren Durchmesser der Röhren,
welche Poiseuille anwendete.

Für die Theorie und für unsere spätern Betrachtungen ist es von Interesse, zu
wissen, dass die Formel für den geradlinigen Strom in Röhren eine etwas andere
Gestalt annimmt, wenn die Flüssigkeit die Wandung nicht benetzt; es ist durch
Girard empirisch festgestellt, dass dann der Widerstand proportional dem Quadrat
der Geschwindigkeit geht, wobei der Coeffizient a zugleich seinen Werth ändert.
Nennen wir diesen Coeffizient b, so wird also jetzt die Formel b v2 = [Formel 1] .

Diese Verschiedenheit des Ergebnisses erklärt man sich dermassen. Zufolge
einer Untersuchung von Coulomb *) glaubt man sich zu der Annahme berechtigt,
dass die verzögernde Kraft zu gleicher Zeit wachse wie die Geschwindigkeiten und
wie die Quadrate der Geschwindigkeiten. Denn einmal müssen sich die Molekeln,
welche in dem Flüssigkeitsfaden verschiedener Geschwindigkeit laufen, um so häufiger
voneinander losreissen, je geschwinder der Strom geht; somit muss also, wenn a der
Widerstand genannt wird, der sich dieser Trennung entgegensetzt, die Summe die-
ser Widerstände bei der Geschwindigkeit v = a v sein; zugleich aber wird sich die
Flüssigkeit an den Erhabenheiten der Röhre stossen und zwar um so stärker mit, je-
mehr Kraft, resp. Geschwindigkeit, sie strömt und auch um so häufiger, je grösser
die Geschwindigkeit ist. Bedeutet also b die Hemmung eines einzigen Stosses bei
der Geschwindigkeit, so wird sie bei v = b v2 sein. Der Gesammtwerth der Hem-
mungen w müsste also durch die Summe w = a v + b v2 ausgedrückt werden. In
einem geraden Rohre, das so lang ist, dass die Bewegung paralell mit den Wan-
dungen geht, muss das zweite Glied wegfallen, vorausgesetzt, dass an den Wandun-
gen des Rohrs die Flüssigkeit unbeweglich anhängt, so dass die bewegte Flüssigkeit
eigentlich nur in einem Mantel von unbewegter läuft; wenn dagegen die Flüssigkeit
den Wandungen nicht anhängt, so werden annähernd alle Molekeln, die auf einem
Querschnitt des Rohrs befindlich sind, gleiche Geschwindigkeit haben, und es wird
somit das erste Glied (a v) wegfallen, dagegen werden die Stösse der Flüssigkeit an
der Wandung vorhanden sein und somit das zweite Glied (b v2) bestehen bleiben.

b. Die Spannung der Flüssigkeit beim Strömen in den bis dahin betrachteten
Röhren muss, entsprechend unserer früheren allgemeinen Bemerkung, zunehmen vom
Ende zum Anfang der Röhre. Stellt man also auf ein Rohr, A B (Fig. 16), in wel-

[Abbildung] Fig. 16.
chem ein Strom nach
der Richtung des Pfeils
geht, mehrere Mano-
meter 1, 2, 3 auf, so
wird sich das Niveau
der in den verschiede-
nen Druckmessern auf-
gestiegenen Flüssigkeit
durch eine gerade Li-
nie a b c verbinden las-
sen. -- Die Steilheit
dieser Linie ist, wie
nach dem Frühern
selbstverständlich, be-
deutender in engen, als
in weiten Röhren, bei rascher Strömung bedeutender als bei langsamer; sie steht end-
lich in inniger Beziehung zum chemischen und thermischen Verhalten der Flüssig-

*) Experiences destinees a determiner etc. Memoires de l'Institut. 3. Bd.

Geschwindigkeit und Spannung in denselben.
was, wie wir erwähuten, herrührt von dem viel geringeren Durchmesser der Röhren,
welche Poiseuille anwendete.

Für die Theorie und für unsere spätern Betrachtungen ist es von Interesse, zu
wissen, dass die Formel für den geradlinigen Strom in Röhren eine etwas andere
Gestalt annimmt, wenn die Flüssigkeit die Wandung nicht benetzt; es ist durch
Girard empirisch festgestellt, dass dann der Widerstand proportional dem Quadrat
der Geschwindigkeit geht, wobei der Coeffizient a zugleich seinen Werth ändert.
Nennen wir diesen Coeffizient b, so wird also jetzt die Formel b v2 = [Formel 1] .

Diese Verschiedenheit des Ergebnisses erklärt man sich dermassen. Zufolge
einer Untersuchung von Coulomb *) glaubt man sich zu der Annahme berechtigt,
dass die verzögernde Kraft zu gleicher Zeit wachse wie die Geschwindigkeiten und
wie die Quadrate der Geschwindigkeiten. Denn einmal müssen sich die Molekeln,
welche in dem Flüssigkeitsfaden verschiedener Geschwindigkeit laufen, um so häufiger
voneinander losreissen, je geschwinder der Strom geht; somit muss also, wenn a der
Widerstand genannt wird, der sich dieser Trennung entgegensetzt, die Summe die-
ser Widerstände bei der Geschwindigkeit v = a v sein; zugleich aber wird sich die
Flüssigkeit an den Erhabenheiten der Röhre stossen und zwar um so stärker mit, je-
mehr Kraft, resp. Geschwindigkeit, sie strömt und auch um so häufiger, je grösser
die Geschwindigkeit ist. Bedeutet also b die Hemmung eines einzigen Stosses bei
der Geschwindigkeit, so wird sie bei v = b v2 sein. Der Gesammtwerth der Hem-
mungen w müsste also durch die Summe w = a v + b v2 ausgedrückt werden. In
einem geraden Rohre, das so lang ist, dass die Bewegung paralell mit den Wan-
dungen geht, muss das zweite Glied wegfallen, vorausgesetzt, dass an den Wandun-
gen des Rohrs die Flüssigkeit unbeweglich anhängt, so dass die bewegte Flüssigkeit
eigentlich nur in einem Mantel von unbewegter läuft; wenn dagegen die Flüssigkeit
den Wandungen nicht anhängt, so werden annähernd alle Molekeln, die auf einem
Querschnitt des Rohrs befindlich sind, gleiche Geschwindigkeit haben, und es wird
somit das erste Glied (a v) wegfallen, dagegen werden die Stösse der Flüssigkeit an
der Wandung vorhanden sein und somit das zweite Glied (b v2) bestehen bleiben.

b. Die Spannung der Flüssigkeit beim Strömen in den bis dahin betrachteten
Röhren muss, entsprechend unserer früheren allgemeinen Bemerkung, zunehmen vom
Ende zum Anfang der Röhre. Stellt man also auf ein Rohr, A B (Fig. 16), in wel-

[Abbildung] Fig. 16.
chem ein Strom nach
der Richtung des Pfeils
geht, mehrere Mano-
meter 1, 2, 3 auf, so
wird sich das Niveau
der in den verschiede-
nen Druckmessern auf-
gestiegenen Flüssigkeit
durch eine gerade Li-
nie a b c verbinden las-
sen. — Die Steilheit
dieser Linie ist, wie
nach dem Frühern
selbstverständlich, be-
deutender in engen, als
in weiten Röhren, bei rascher Strömung bedeutender als bei langsamer; sie steht end-
lich in inniger Beziehung zum chemischen und thermischen Verhalten der Flüssig-

*) Expériences destinées à déterminer etc. Memoires de l’Institut. 3. Bd.
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[41/0057] Geschwindigkeit und Spannung in denselben. was, wie wir erwähuten, herrührt von dem viel geringeren Durchmesser der Röhren, welche Poiseuille anwendete. Für die Theorie und für unsere spätern Betrachtungen ist es von Interesse, zu wissen, dass die Formel für den geradlinigen Strom in Röhren eine etwas andere Gestalt annimmt, wenn die Flüssigkeit die Wandung nicht benetzt; es ist durch Girard empirisch festgestellt, dass dann der Widerstand proportional dem Quadrat der Geschwindigkeit geht, wobei der Coeffizient a zugleich seinen Werth ändert. Nennen wir diesen Coeffizient b, so wird also jetzt die Formel b v2 = [FORMEL]. Diese Verschiedenheit des Ergebnisses erklärt man sich dermassen. Zufolge einer Untersuchung von Coulomb *) glaubt man sich zu der Annahme berechtigt, dass die verzögernde Kraft zu gleicher Zeit wachse wie die Geschwindigkeiten und wie die Quadrate der Geschwindigkeiten. Denn einmal müssen sich die Molekeln, welche in dem Flüssigkeitsfaden verschiedener Geschwindigkeit laufen, um so häufiger voneinander losreissen, je geschwinder der Strom geht; somit muss also, wenn a der Widerstand genannt wird, der sich dieser Trennung entgegensetzt, die Summe die- ser Widerstände bei der Geschwindigkeit v = a v sein; zugleich aber wird sich die Flüssigkeit an den Erhabenheiten der Röhre stossen und zwar um so stärker mit, je- mehr Kraft, resp. Geschwindigkeit, sie strömt und auch um so häufiger, je grösser die Geschwindigkeit ist. Bedeutet also b die Hemmung eines einzigen Stosses bei der Geschwindigkeit, so wird sie bei v = b v2 sein. Der Gesammtwerth der Hem- mungen w müsste also durch die Summe w = a v + b v2 ausgedrückt werden. In einem geraden Rohre, das so lang ist, dass die Bewegung paralell mit den Wan- dungen geht, muss das zweite Glied wegfallen, vorausgesetzt, dass an den Wandun- gen des Rohrs die Flüssigkeit unbeweglich anhängt, so dass die bewegte Flüssigkeit eigentlich nur in einem Mantel von unbewegter läuft; wenn dagegen die Flüssigkeit den Wandungen nicht anhängt, so werden annähernd alle Molekeln, die auf einem Querschnitt des Rohrs befindlich sind, gleiche Geschwindigkeit haben, und es wird somit das erste Glied (a v) wegfallen, dagegen werden die Stösse der Flüssigkeit an der Wandung vorhanden sein und somit das zweite Glied (b v2) bestehen bleiben. b. Die Spannung der Flüssigkeit beim Strömen in den bis dahin betrachteten Röhren muss, entsprechend unserer früheren allgemeinen Bemerkung, zunehmen vom Ende zum Anfang der Röhre. Stellt man also auf ein Rohr, A B (Fig. 16), in wel- [Abbildung Fig. 16.] chem ein Strom nach der Richtung des Pfeils geht, mehrere Mano- meter 1, 2, 3 auf, so wird sich das Niveau der in den verschiede- nen Druckmessern auf- gestiegenen Flüssigkeit durch eine gerade Li- nie a b c verbinden las- sen. — Die Steilheit dieser Linie ist, wie nach dem Frühern selbstverständlich, be- deutender in engen, als in weiten Röhren, bei rascher Strömung bedeutender als bei langsamer; sie steht end- lich in inniger Beziehung zum chemischen und thermischen Verhalten der Flüssig- *) Expériences destinées à déterminer etc. Memoires de l’Institut. 3. Bd.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/57>, abgerufen am 23.04.2024.