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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Knorpel.

Zu den über Chondrin mitgetheilten Thatsachen ist nach neuern Beobachtungen
noch mitzutheilen: durch SO3 kann aus ihm Leucin, aber kein Glycocoll erhalten
werden. Beim Behandeln mit Kalilösung soll es dagegen unter Ammoniakentwick-
lung Glycocoll liefern. Im schmelzenden Kali soll es sich in Leucin, Oxalsäure und
eine neue Säure zersetzen, durch Chromsäure ist aus ihm Blausäure, aber keine
Ameisen- und Essigsäure zu gewinnen; bei der Fäulniss entsteht ausser einem an-
dern krystallinischen Körper Leucin. Salpetersäure giebt zur Entstehung von Xan-
thoproteinsäure Veranlassung (Hoppe). Da die erwähnten Stoffe nicht durch die
Elementaranalyse als solche festgestellt sind, so verdient die Untersuchung eine
Wiederholung. -- Durch längeres Kochen wandelt sich das Chondrin in eine nicht
gerinnbare Modifikation um (Hoppe). Die Reaktionen der Chondrinlösung seien
nicht immer dieselben, behauptet Zellinsky; insbesondere soll dieses der
Fall sein mit verschiedenen Portionen löslicher Substanz, die man aus dem Knorpel
je nach der Dauer des Kochens gewinnt.

3. Wachsthum und Ernährung. In der Fötalperiode werden die
einfachen Bildungszellen an den Orten, die späterhin Knorpel enthalten,
allmählig grösser, und nehmen statt der kugeligen eine Eiform an, zu-
gleich verdickt sich die Wand. Die Veränderungen im wachsenden Knor-
pel sind nun nicht an allen Oertlichkeiten übereinstimmend. -- Ver-
gleicht man die Rippenknorpel eines Neugeborenen und Erwachsenen,
so zeigt sich, dass die Gesammtsumme der Höhlen im erwachsenen
Knorpel abgenommen, die Höhlungen selbst grösser geworden und durch
eine stärkere Einlagerung von Grundgewebe auseinander gedrängt sind
(Harting)*). Macht man zu diesen Erfahrungen die allerdings noch
zu beweisende Voraussetzung, dass die einmal gebildete Knorpelzelle
während der ganzen Lebensdauer Bestand hat, so würde gefolgert werden
müssen, dass Zellenraum und Grundgewebe gleichzeitig an Ausdehnung
zunehmen; zugleich aber darf die Einlagerung auf der einen und die Auf-
lösung auf der andern Seite nicht gleichen Schritt halten; namentlich
muss die Auflösung öfter so weit sich erstrecken, dass zwei Knorpel-
höhlen miteinander verschmelzen, weil sonst die Zahl derselben im Er-
wachsenen nicht geringer als in der Jugend sein könnte. Neben den
geschilderten Wachsthumserscheinungen treten in den hyalinen Knorpeln
noch andere sichtbare Veränderungen auf. Insbesondere wird die Grund-
substanz körnig, faserig, zuweilen auch so erweicht, dass sich grössere
oder kleinere unregelmässige Höhlen bilden, die sich mit Fetttröpfchen,
Blutgefässen, Bindegewebe füllen (H. Meyer, Donders). Dazu kommt,
dass an einzelnen Orten die Knorpelhöhlen sich wiederum verkleinern,
wobei es das Ansehen gewinnt, als sei eine Scheidewand durch eine
grössere Höhlung gewachsen, welche einen Raum in zwei getheilt habe. --
In den Faserknorpeln dagegen, namentlich in der lig. intervertebralia und
den Synchondrosen sind ausnahmslos die Zellenhöhlen des spätern Le-
bens kleiner als die des frühern, da die ältere Wand aus conzentrischen

*) Recherches micrometr. p. 76.
Knorpel.

Zu den über Chondrin mitgetheilten Thatsachen ist nach neuern Beobachtungen
noch mitzutheilen: durch SO3 kann aus ihm Leucin, aber kein Glycocoll erhalten
werden. Beim Behandeln mit Kalilösung soll es dagegen unter Ammoniakentwick-
lung Glycocoll liefern. Im schmelzenden Kali soll es sich in Leucin, Oxalsäure und
eine neue Säure zersetzen, durch Chromsäure ist aus ihm Blausäure, aber keine
Ameisen- und Essigsäure zu gewinnen; bei der Fäulniss entsteht ausser einem an-
dern krystallinischen Körper Leucin. Salpetersäure giebt zur Entstehung von Xan-
thoproteinsäure Veranlassung (Hoppe). Da die erwähnten Stoffe nicht durch die
Elementaranalyse als solche festgestellt sind, so verdient die Untersuchung eine
Wiederholung. — Durch längeres Kochen wandelt sich das Chondrin in eine nicht
gerinnbare Modifikation um (Hoppe). Die Reaktionen der Chondrinlösung seien
nicht immer dieselben, behauptet Zellinsky; insbesondere soll dieses der
Fall sein mit verschiedenen Portionen löslicher Substanz, die man aus dem Knorpel
je nach der Dauer des Kochens gewinnt.

3. Wachsthum und Ernährung. In der Fötalperiode werden die
einfachen Bildungszellen an den Orten, die späterhin Knorpel enthalten,
allmählig grösser, und nehmen statt der kugeligen eine Eiform an, zu-
gleich verdickt sich die Wand. Die Veränderungen im wachsenden Knor-
pel sind nun nicht an allen Oertlichkeiten übereinstimmend. — Ver-
gleicht man die Rippenknorpel eines Neugeborenen und Erwachsenen,
so zeigt sich, dass die Gesammtsumme der Höhlen im erwachsenen
Knorpel abgenommen, die Höhlungen selbst grösser geworden und durch
eine stärkere Einlagerung von Grundgewebe auseinander gedrängt sind
(Harting)*). Macht man zu diesen Erfahrungen die allerdings noch
zu beweisende Voraussetzung, dass die einmal gebildete Knorpelzelle
während der ganzen Lebensdauer Bestand hat, so würde gefolgert werden
müssen, dass Zellenraum und Grundgewebe gleichzeitig an Ausdehnung
zunehmen; zugleich aber darf die Einlagerung auf der einen und die Auf-
lösung auf der andern Seite nicht gleichen Schritt halten; namentlich
muss die Auflösung öfter so weit sich erstrecken, dass zwei Knorpel-
höhlen miteinander verschmelzen, weil sonst die Zahl derselben im Er-
wachsenen nicht geringer als in der Jugend sein könnte. Neben den
geschilderten Wachsthumserscheinungen treten in den hyalinen Knorpeln
noch andere sichtbare Veränderungen auf. Insbesondere wird die Grund-
substanz körnig, faserig, zuweilen auch so erweicht, dass sich grössere
oder kleinere unregelmässige Höhlen bilden, die sich mit Fetttröpfchen,
Blutgefässen, Bindegewebe füllen (H. Meyer, Donders). Dazu kommt,
dass an einzelnen Orten die Knorpelhöhlen sich wiederum verkleinern,
wobei es das Ansehen gewinnt, als sei eine Scheidewand durch eine
grössere Höhlung gewachsen, welche einen Raum in zwei getheilt habe. —
In den Faserknorpeln dagegen, namentlich in der lig. intervertebralia und
den Synchondrosen sind ausnahmslos die Zellenhöhlen des spätern Le-
bens kleiner als die des frühern, da die ältere Wand aus conzentrischen

*) Recherches micrometr. p. 76.
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[191/0207] Knorpel. Zu den über Chondrin mitgetheilten Thatsachen ist nach neuern Beobachtungen noch mitzutheilen: durch SO3 kann aus ihm Leucin, aber kein Glycocoll erhalten werden. Beim Behandeln mit Kalilösung soll es dagegen unter Ammoniakentwick- lung Glycocoll liefern. Im schmelzenden Kali soll es sich in Leucin, Oxalsäure und eine neue Säure zersetzen, durch Chromsäure ist aus ihm Blausäure, aber keine Ameisen- und Essigsäure zu gewinnen; bei der Fäulniss entsteht ausser einem an- dern krystallinischen Körper Leucin. Salpetersäure giebt zur Entstehung von Xan- thoproteinsäure Veranlassung (Hoppe). Da die erwähnten Stoffe nicht durch die Elementaranalyse als solche festgestellt sind, so verdient die Untersuchung eine Wiederholung. — Durch längeres Kochen wandelt sich das Chondrin in eine nicht gerinnbare Modifikation um (Hoppe). Die Reaktionen der Chondrinlösung seien nicht immer dieselben, behauptet Zellinsky; insbesondere soll dieses der Fall sein mit verschiedenen Portionen löslicher Substanz, die man aus dem Knorpel je nach der Dauer des Kochens gewinnt. 3. Wachsthum und Ernährung. In der Fötalperiode werden die einfachen Bildungszellen an den Orten, die späterhin Knorpel enthalten, allmählig grösser, und nehmen statt der kugeligen eine Eiform an, zu- gleich verdickt sich die Wand. Die Veränderungen im wachsenden Knor- pel sind nun nicht an allen Oertlichkeiten übereinstimmend. — Ver- gleicht man die Rippenknorpel eines Neugeborenen und Erwachsenen, so zeigt sich, dass die Gesammtsumme der Höhlen im erwachsenen Knorpel abgenommen, die Höhlungen selbst grösser geworden und durch eine stärkere Einlagerung von Grundgewebe auseinander gedrängt sind (Harting) *). Macht man zu diesen Erfahrungen die allerdings noch zu beweisende Voraussetzung, dass die einmal gebildete Knorpelzelle während der ganzen Lebensdauer Bestand hat, so würde gefolgert werden müssen, dass Zellenraum und Grundgewebe gleichzeitig an Ausdehnung zunehmen; zugleich aber darf die Einlagerung auf der einen und die Auf- lösung auf der andern Seite nicht gleichen Schritt halten; namentlich muss die Auflösung öfter so weit sich erstrecken, dass zwei Knorpel- höhlen miteinander verschmelzen, weil sonst die Zahl derselben im Er- wachsenen nicht geringer als in der Jugend sein könnte. Neben den geschilderten Wachsthumserscheinungen treten in den hyalinen Knorpeln noch andere sichtbare Veränderungen auf. Insbesondere wird die Grund- substanz körnig, faserig, zuweilen auch so erweicht, dass sich grössere oder kleinere unregelmässige Höhlen bilden, die sich mit Fetttröpfchen, Blutgefässen, Bindegewebe füllen (H. Meyer, Donders). Dazu kommt, dass an einzelnen Orten die Knorpelhöhlen sich wiederum verkleinern, wobei es das Ansehen gewinnt, als sei eine Scheidewand durch eine grössere Höhlung gewachsen, welche einen Raum in zwei getheilt habe. — In den Faserknorpeln dagegen, namentlich in der lig. intervertebralia und den Synchondrosen sind ausnahmslos die Zellenhöhlen des spätern Le- bens kleiner als die des frühern, da die ältere Wand aus conzentrischen *) Recherches micrometr. p. 76.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/207>, abgerufen am 18.04.2024.