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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Zusammenziehung der Herzkammern.
zeugen, die sich von dem Herzen gegen die Peripherie fortpflanzt. Diese
Beugungswelle soll später behandelt werden.

b. Herzkammern. Bei der Betrachtung der Ventrikel gehen wir
von dem Zeitpunkt aus, in welchem sie durch die Vorhofskontraktion
in das Maximum ihrer Anfüllung gebracht waren und in welchem zu-
gleich die Klappen der venösen Mündung horizontal von derselben aus-
gespannt sind, so dass die winkelförmig gebogenen Sehnen, welche aus
den Papillarmuskeln in das Klappensegel treten, ausgespannt sind. In
diesem Augenblick sind während des Lebens auch die halbmondför-
migen Klappen geschlossen, da von der Arterienseite her noch ein
stärkerer Druck auf ihnen lastet, als von der Herzseite. So wie dieser
Zustand eingetreten ist, beginnt aber sogleich auch die Zusammenziehung
der Kammermuskeln, welche dem Inhalt von überall her, mit Aus-
nahme der arteriellen Mündung, einen erhöhten Druck mittheilt. Diese
Pressung öffnet bald die halbmondförmigen Klappen, worauf der Inhalt
in die Arterie geschleudert wird; ob sich hierbei der Ventrikel ganz ent-
leert, wird abhängig sein einerseits von dem Umfang oder der Kraft sei-
ner Zusammenziehung und andrerseits von dem Widerstand, den das
Blut in der Arterienmündung findet. Wenn dann die Zusammenziehung
nachlässt, so werden, weil in den Arterien nun die Spannung des Bluts
grösser, als in den Ventrikelhöhlen ist, die Semilunarklappen zum Schluss
kommen, so dass aus den Arterien kein Rückfluss in den Ventrikel ge-
schieht. Von Seiten der Vorhöfe wird dagegen mit dem Eintritt der
Erschlaffung des Ventrikels ein Strom in dieselben gelangen; denn ein-
mal haben sich die Zipfelklappen, nachdem das ausspannende, von den
Ventrikeln gegen die Vorhöfe drängende Blut entfernt ist, geöffnet, und
dann hat sich das Blut in den Vorhöfen während der Ventrikularkon-
traktion angesammelt, so dass jene nur im Maximum ihrer Füllung sich
befinden. Die ausgedehnten Vorhöfe treiben somit das Blut in den schlaf-
fen, widerstandslosen Ventrikel ein.

Die Annahme, dass sich die Höhle der Herzventrikel, bevor diese in die Todten-
starre übergegangen sind, beim Eintritt der Diastole auch ohne Beihilfe des einströ-
menden Bluts, etwa in Folge der Elastizität ihrer Wandungen, erweitern kann, ist
am bündigsten durch L. Fick *) widerlegt. Im wahren Wortsinn genommen, giebt
es also keine Aspiration der Vorhöfe. Die Erscheinung, welche zu ihrer Annahme
führt, und die neuerdings genauer von Weyrich und Bidder untersucht wurde,
wird noch Berücksichtigung finden. -- Das tuberculum Loweri, ein Muskelhöcker, der
an der Scheidewandsfläche zwischen vena cava superior und inferior liegt, soll
durch Ablenkung des ursprünglich senkrechten Stroms beider Venen aufeinander be-
deutsam sein; er soll verhüten, dass wenn, wie wahrscheinlich, eine Ungleichheit in
der Geschwindigkeit und Spannung des Bluts in den beiden Strömen besteht, ihre
Resultane der Geschwindigkeit nicht in eine der beiden Venenlumina, sondern gegen
den Vorhof gerichtet ist. Diese Annahme steht auf zweifelhafter Basis. --

*) L. Fick, Müllers Archiv. 1849. p. 283,

Zusammenziehung der Herzkammern.
zeugen, die sich von dem Herzen gegen die Peripherie fortpflanzt. Diese
Beugungswelle soll später behandelt werden.

b. Herzkammern. Bei der Betrachtung der Ventrikel gehen wir
von dem Zeitpunkt aus, in welchem sie durch die Vorhofskontraktion
in das Maximum ihrer Anfüllung gebracht waren und in welchem zu-
gleich die Klappen der venösen Mündung horizontal von derselben aus-
gespannt sind, so dass die winkelförmig gebogenen Sehnen, welche aus
den Papillarmuskeln in das Klappensegel treten, ausgespannt sind. In
diesem Augenblick sind während des Lebens auch die halbmondför-
migen Klappen geschlossen, da von der Arterienseite her noch ein
stärkerer Druck auf ihnen lastet, als von der Herzseite. So wie dieser
Zustand eingetreten ist, beginnt aber sogleich auch die Zusammenziehung
der Kammermuskeln, welche dem Inhalt von überall her, mit Aus-
nahme der arteriellen Mündung, einen erhöhten Druck mittheilt. Diese
Pressung öffnet bald die halbmondförmigen Klappen, worauf der Inhalt
in die Arterie geschleudert wird; ob sich hierbei der Ventrikel ganz ent-
leert, wird abhängig sein einerseits von dem Umfang oder der Kraft sei-
ner Zusammenziehung und andrerseits von dem Widerstand, den das
Blut in der Arterienmündung findet. Wenn dann die Zusammenziehung
nachlässt, so werden, weil in den Arterien nun die Spannung des Bluts
grösser, als in den Ventrikelhöhlen ist, die Semilunarklappen zum Schluss
kommen, so dass aus den Arterien kein Rückfluss in den Ventrikel ge-
schieht. Von Seiten der Vorhöfe wird dagegen mit dem Eintritt der
Erschlaffung des Ventrikels ein Strom in dieselben gelangen; denn ein-
mal haben sich die Zipfelklappen, nachdem das ausspannende, von den
Ventrikeln gegen die Vorhöfe drängende Blut entfernt ist, geöffnet, und
dann hat sich das Blut in den Vorhöfen während der Ventrikularkon-
traktion angesammelt, so dass jene nur im Maximum ihrer Füllung sich
befinden. Die ausgedehnten Vorhöfe treiben somit das Blut in den schlaf-
fen, widerstandslosen Ventrikel ein.

Die Annahme, dass sich die Höhle der Herzventrikel, bevor diese in die Todten-
starre übergegangen sind, beim Eintritt der Diastole auch ohne Beihilfe des einströ-
menden Bluts, etwa in Folge der Elastizität ihrer Wandungen, erweitern kann, ist
am bündigsten durch L. Fick *) widerlegt. Im wahren Wortsinn genommen, giebt
es also keine Aspiration der Vorhöfe. Die Erscheinung, welche zu ihrer Annahme
führt, und die neuerdings genauer von Weyrich und Bidder untersucht wurde,
wird noch Berücksichtigung finden. — Das tuberculum Loweri, ein Muskelhöcker, der
an der Scheidewandsfläche zwischen vena cava superior und inferior liegt, soll
durch Ablenkung des ursprünglich senkrechten Stroms beider Venen aufeinander be-
deutsam sein; er soll verhüten, dass wenn, wie wahrscheinlich, eine Ungleichheit in
der Geschwindigkeit und Spannung des Bluts in den beiden Strömen besteht, ihre
Resultane der Geschwindigkeit nicht in eine der beiden Venenlumina, sondern gegen
den Vorhof gerichtet ist. Diese Annahme steht auf zweifelhafter Basis. —

*) L. Fick, Müllers Archiv. 1849. p. 283,
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[89/0105] Zusammenziehung der Herzkammern. zeugen, die sich von dem Herzen gegen die Peripherie fortpflanzt. Diese Beugungswelle soll später behandelt werden. b. Herzkammern. Bei der Betrachtung der Ventrikel gehen wir von dem Zeitpunkt aus, in welchem sie durch die Vorhofskontraktion in das Maximum ihrer Anfüllung gebracht waren und in welchem zu- gleich die Klappen der venösen Mündung horizontal von derselben aus- gespannt sind, so dass die winkelförmig gebogenen Sehnen, welche aus den Papillarmuskeln in das Klappensegel treten, ausgespannt sind. In diesem Augenblick sind während des Lebens auch die halbmondför- migen Klappen geschlossen, da von der Arterienseite her noch ein stärkerer Druck auf ihnen lastet, als von der Herzseite. So wie dieser Zustand eingetreten ist, beginnt aber sogleich auch die Zusammenziehung der Kammermuskeln, welche dem Inhalt von überall her, mit Aus- nahme der arteriellen Mündung, einen erhöhten Druck mittheilt. Diese Pressung öffnet bald die halbmondförmigen Klappen, worauf der Inhalt in die Arterie geschleudert wird; ob sich hierbei der Ventrikel ganz ent- leert, wird abhängig sein einerseits von dem Umfang oder der Kraft sei- ner Zusammenziehung und andrerseits von dem Widerstand, den das Blut in der Arterienmündung findet. Wenn dann die Zusammenziehung nachlässt, so werden, weil in den Arterien nun die Spannung des Bluts grösser, als in den Ventrikelhöhlen ist, die Semilunarklappen zum Schluss kommen, so dass aus den Arterien kein Rückfluss in den Ventrikel ge- schieht. Von Seiten der Vorhöfe wird dagegen mit dem Eintritt der Erschlaffung des Ventrikels ein Strom in dieselben gelangen; denn ein- mal haben sich die Zipfelklappen, nachdem das ausspannende, von den Ventrikeln gegen die Vorhöfe drängende Blut entfernt ist, geöffnet, und dann hat sich das Blut in den Vorhöfen während der Ventrikularkon- traktion angesammelt, so dass jene nur im Maximum ihrer Füllung sich befinden. Die ausgedehnten Vorhöfe treiben somit das Blut in den schlaf- fen, widerstandslosen Ventrikel ein. Die Annahme, dass sich die Höhle der Herzventrikel, bevor diese in die Todten- starre übergegangen sind, beim Eintritt der Diastole auch ohne Beihilfe des einströ- menden Bluts, etwa in Folge der Elastizität ihrer Wandungen, erweitern kann, ist am bündigsten durch L. Fick *) widerlegt. Im wahren Wortsinn genommen, giebt es also keine Aspiration der Vorhöfe. Die Erscheinung, welche zu ihrer Annahme führt, und die neuerdings genauer von Weyrich und Bidder untersucht wurde, wird noch Berücksichtigung finden. — Das tuberculum Loweri, ein Muskelhöcker, der an der Scheidewandsfläche zwischen vena cava superior und inferior liegt, soll durch Ablenkung des ursprünglich senkrechten Stroms beider Venen aufeinander be- deutsam sein; er soll verhüten, dass wenn, wie wahrscheinlich, eine Ungleichheit in der Geschwindigkeit und Spannung des Bluts in den beiden Strömen besteht, ihre Resultane der Geschwindigkeit nicht in eine der beiden Venenlumina, sondern gegen den Vorhof gerichtet ist. Diese Annahme steht auf zweifelhafter Basis. — *) L. Fick, Müllers Archiv. 1849. p. 283,

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/105>, abgerufen am 28.03.2024.