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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Lösung.
Theilchen des in Auflösung befindlichen festen Stoffes sich noch fort-
während in einer gegenseitigen Anziehung befinden, so dass zu jeder
weitern Entfernung derselben ein Aufwand von freien Kräften erfor-
derlich ist.

Für den Anfänger muss zur Abwehr gegen Missverständnisse noch angegeben
werden, dass es nur scheinbar ist, wenn bei der Lösung eines Stoffes weniger Wärme
latent wird, als bei der Schmelzung. Freilich wird häufig durch die Lösung der Um-
gebung sehr wenig Wärme entzogen; dieses geschieht aber nur darum, weil in Folge
der Lösung auch Wärme frei wird, welche zu der Verflüssigung des Salzes benutzt
werden kann. Die Quellen, aus welchen jene Wärme fliesst, liegen theils in der ein-
tretenden Verdichtung, theils darin, dass die Wärmecapacität der Lösung geringer
ist, als diejenige des Wassers und des flüssigen Salzes für sich. Besondere Beweise
hiefür siehe bei Person.

b) Das spezifische Gewicht (die Dichtigkeit) der Lösung ist nicht
das mittlere aus demjenigen des festen Stoffes und der Flüssigkeit;
es ist stets höher als das hypothetische mittlere.

c) Der Siede- und Gefrierpunkt des Lösungswassers hat sich er-
höht, beziehungsweise erniedrigt, ebenso wie die Ausdehnungsfähig-
keit der Lösung durch die Wärme geringer ist als die mittlere zwischen
der des festen Stoffes und der Flüssigkeit. Diese letzen beiden allge-
mein gültigen Thatsachenreihen beweissen als eine Erweiterung zu der
unter a) erwähnten, dass auch die Theilchen des Lösungsmittels und des
aufgelösten Stoffes sich gegenseitig innig binden, weil namentlich nur
unter dieser Voraussetzung verständlich wird, dass das Wasser in der
Lösung seinen flüssigen Zustand Temperaturen gegenüber bewahrt,
welche das freie Wasser schon in Dampf oder Eis verwandelt hätten.
Wenn nun auch im Allgemeinen die die Auflösung begünstigenden, resp.
sie hemmenden Einflüsse dargestellt werden durch die Cohäsion des
festen Stoffes für sich und des Wassers für sich (mit andern Worten,
durch die Menge von Wärme, welche gebunden werden muss, wenn
eine dem Verdünnungsgrad der Lösung entsprechende Ausdehnung der
flüssigen und festen Stoffe herbeigeführt werden soll), ferner durch
die Menge der freien verwendbaren Wärme (sei es, dass sie von aus-
sen zugeführt oder in der Lösung selbst entwickelt werde), und end-
lich durch die Lösungsverwandtschaft der festen und flüssigen Theile
zu einander (oder den Widerstand, den die Masse bei Einwirkung der
Wärme dem Verdunsten entgegensetzt), so ist es dennoch aus Man-
gel an guten Versuchen unmöglich, Angaben darüber zu machen, wie
mit dem Werth der bezeichneten Umstände die Geschwindigkeit der
Verflüssigung, die Menge und die Energie der Bindung des aufgelösten
Stoffes wachse. Bevor dieses Fundament gelegt ist, wird die Lehre
von der Diffusion keinen besondern theoretischen Fortschritt zu machen
im Stande sein.

2. Diffusion einer Lösung in Wasser. Dieser Vorgang
ist dem so eben geschilderten so analog, dass die Behauptung, alle

Lösung.
Theilchen des in Auflösung befindlichen festen Stoffes sich noch fort-
während in einer gegenseitigen Anziehung befinden, so dass zu jeder
weitern Entfernung derselben ein Aufwand von freien Kräften erfor-
derlich ist.

Für den Anfänger muss zur Abwehr gegen Missverständnisse noch angegeben
werden, dass es nur scheinbar ist, wenn bei der Lösung eines Stoffes weniger Wärme
latent wird, als bei der Schmelzung. Freilich wird häufig durch die Lösung der Um-
gebung sehr wenig Wärme entzogen; dieses geschieht aber nur darum, weil in Folge
der Lösung auch Wärme frei wird, welche zu der Verflüssigung des Salzes benutzt
werden kann. Die Quellen, aus welchen jene Wärme fliesst, liegen theils in der ein-
tretenden Verdichtung, theils darin, dass die Wärmecapacität der Lösung geringer
ist, als diejenige des Wassers und des flüssigen Salzes für sich. Besondere Beweise
hiefür siehe bei Person.

b) Das spezifische Gewicht (die Dichtigkeit) der Lösung ist nicht
das mittlere aus demjenigen des festen Stoffes und der Flüssigkeit;
es ist stets höher als das hypothetische mittlere.

c) Der Siede- und Gefrierpunkt des Lösungswassers hat sich er-
höht, beziehungsweise erniedrigt, ebenso wie die Ausdehnungsfähig-
keit der Lösung durch die Wärme geringer ist als die mittlere zwischen
der des festen Stoffes und der Flüssigkeit. Diese letzen beiden allge-
mein gültigen Thatsachenreihen beweissen als eine Erweiterung zu der
unter a) erwähnten, dass auch die Theilchen des Lösungsmittels und des
aufgelösten Stoffes sich gegenseitig innig binden, weil namentlich nur
unter dieser Voraussetzung verständlich wird, dass das Wasser in der
Lösung seinen flüssigen Zustand Temperaturen gegenüber bewahrt,
welche das freie Wasser schon in Dampf oder Eis verwandelt hätten.
Wenn nun auch im Allgemeinen die die Auflösung begünstigenden, resp.
sie hemmenden Einflüsse dargestellt werden durch die Cohäsion des
festen Stoffes für sich und des Wassers für sich (mit andern Worten,
durch die Menge von Wärme, welche gebunden werden muss, wenn
eine dem Verdünnungsgrad der Lösung entsprechende Ausdehnung der
flüssigen und festen Stoffe herbeigeführt werden soll), ferner durch
die Menge der freien verwendbaren Wärme (sei es, dass sie von aus-
sen zugeführt oder in der Lösung selbst entwickelt werde), und end-
lich durch die Lösungsverwandtschaft der festen und flüssigen Theile
zu einander (oder den Widerstand, den die Masse bei Einwirkung der
Wärme dem Verdunsten entgegensetzt), so ist es dennoch aus Man-
gel an guten Versuchen unmöglich, Angaben darüber zu machen, wie
mit dem Werth der bezeichneten Umstände die Geschwindigkeit der
Verflüssigung, die Menge und die Energie der Bindung des aufgelösten
Stoffes wachse. Bevor dieses Fundament gelegt ist, wird die Lehre
von der Diffusion keinen besondern theoretischen Fortschritt zu machen
im Stande sein.

2. Diffusion einer Lösung in Wasser. Dieser Vorgang
ist dem so eben geschilderten so analog, dass die Behauptung, alle

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[56/0070] Lösung. Theilchen des in Auflösung befindlichen festen Stoffes sich noch fort- während in einer gegenseitigen Anziehung befinden, so dass zu jeder weitern Entfernung derselben ein Aufwand von freien Kräften erfor- derlich ist. Für den Anfänger muss zur Abwehr gegen Missverständnisse noch angegeben werden, dass es nur scheinbar ist, wenn bei der Lösung eines Stoffes weniger Wärme latent wird, als bei der Schmelzung. Freilich wird häufig durch die Lösung der Um- gebung sehr wenig Wärme entzogen; dieses geschieht aber nur darum, weil in Folge der Lösung auch Wärme frei wird, welche zu der Verflüssigung des Salzes benutzt werden kann. Die Quellen, aus welchen jene Wärme fliesst, liegen theils in der ein- tretenden Verdichtung, theils darin, dass die Wärmecapacität der Lösung geringer ist, als diejenige des Wassers und des flüssigen Salzes für sich. Besondere Beweise hiefür siehe bei Person. b) Das spezifische Gewicht (die Dichtigkeit) der Lösung ist nicht das mittlere aus demjenigen des festen Stoffes und der Flüssigkeit; es ist stets höher als das hypothetische mittlere. c) Der Siede- und Gefrierpunkt des Lösungswassers hat sich er- höht, beziehungsweise erniedrigt, ebenso wie die Ausdehnungsfähig- keit der Lösung durch die Wärme geringer ist als die mittlere zwischen der des festen Stoffes und der Flüssigkeit. Diese letzen beiden allge- mein gültigen Thatsachenreihen beweissen als eine Erweiterung zu der unter a) erwähnten, dass auch die Theilchen des Lösungsmittels und des aufgelösten Stoffes sich gegenseitig innig binden, weil namentlich nur unter dieser Voraussetzung verständlich wird, dass das Wasser in der Lösung seinen flüssigen Zustand Temperaturen gegenüber bewahrt, welche das freie Wasser schon in Dampf oder Eis verwandelt hätten. Wenn nun auch im Allgemeinen die die Auflösung begünstigenden, resp. sie hemmenden Einflüsse dargestellt werden durch die Cohäsion des festen Stoffes für sich und des Wassers für sich (mit andern Worten, durch die Menge von Wärme, welche gebunden werden muss, wenn eine dem Verdünnungsgrad der Lösung entsprechende Ausdehnung der flüssigen und festen Stoffe herbeigeführt werden soll), ferner durch die Menge der freien verwendbaren Wärme (sei es, dass sie von aus- sen zugeführt oder in der Lösung selbst entwickelt werde), und end- lich durch die Lösungsverwandtschaft der festen und flüssigen Theile zu einander (oder den Widerstand, den die Masse bei Einwirkung der Wärme dem Verdunsten entgegensetzt), so ist es dennoch aus Man- gel an guten Versuchen unmöglich, Angaben darüber zu machen, wie mit dem Werth der bezeichneten Umstände die Geschwindigkeit der Verflüssigung, die Menge und die Energie der Bindung des aufgelösten Stoffes wachse. Bevor dieses Fundament gelegt ist, wird die Lehre von der Diffusion keinen besondern theoretischen Fortschritt zu machen im Stande sein. 2. Diffusion einer Lösung in Wasser. Dieser Vorgang ist dem so eben geschilderten so analog, dass die Behauptung, alle

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/70>, abgerufen am 29.03.2024.