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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Eiweissartige Stoffe.
lichen Körper einleiten, sind so weit bekannt: die Umwandlung einer
Modifikation eines Eiweissstoffes in eine andere; die der Stärke in
Dextrin und Traubenzucker; die des Traubenzuckers in Milchsäure;
die der milchsauren Salze in Kohlensäure, Wasserstoffgas und Butter-
säure (Dünn- und Dickdarm); die der neutralen Fette in Glycerin und
Fettsäuren; die der Gallensäure in Taurin, Glycocoll, Chol- und Cho-
loidinsäure; die des Harnstoffs in kohlensaures Ammoniak, und end-
lich die vieler organischer Säuren *) in Kohlensäure und Wasser. Zur
Einleitung eines jeden dieser mannigfaltigen Prozesse ist es Bedin-
gung, dass ein ganz besonderer eiweissartiger Stoff, der noch dazu
in ganz besonderer Zersetzung begriffen ist, vorhanden sei, wie
C. Schmidt **) gezeigt hat. Denn das Ferment, welches Zucker zer-
setzte, konnte keine Harnstoffgährung veranlassen u. s. w. Das Fer-
ment wird, wie es den Stoff, mit dem es in Berührung gebracht ist,
umändert, so auch durch diesen in seinem Umsetzungsprozess modifi-
zirt, wie daraus hervorgeht, dass stark in Fäulniss übergegangene
Massen, in Zuckerlösung gebracht, ihren fauligen Geruch verlieren,
wenn sie Alkoholgährung einleiten. Ausserdem gehören zur Unter-
haltung der Gährung noch Alkalien, vorausgesetzt, dass durch eine
in dem Prozesse gebildete Säure die Gährung gestört wird. Da die
obige Aufzählung zeigt, dass einzelne Gährungen nur in Zerlegungen
bestehen, andere aber mit Sauerstoffaufnahme verbunden sind, so ist
einleuchtend, dass die letztern nicht ohne Gegenwart von Sauerstoff
geschehen können, während die ersteren keines solchen Stoffes be-
dürfen. -- Die auffallende Erscheinung, dass durch die Zerfällung einer
Atomgruppe eine andere verändert werden kann, ohne dass die Be-
standtheile beider Atomgruppen Verbindungen eingehen, und die noch
merkwürdigere, dass durch eine beschränkte Masse des Fermentes
eine so grosse Masse des gährenden Körpers zersetzt werden kann,
dürfte bei der Verschiedenheit der Prozesse schwerlich auf einen Er-
klärungsgrund zurückgeführt werden können.

Ausser den im Text erwähnten Gährungen, werden mit einiger Wahrscheinlich-
keit als gegenwärtig noch vorausgesetzt: die Umwandlung des Glycerins in Pro-
pionsäure, der Oelsäure in die niederen Glieder der C[2]n H (2n-1) O3; HOgruppe; des
Traubenzuckers in Alkohol (wegen der Gegenwart der Gährungspilze im Darmka-
nal, Mitscherlich); des Taurins in Schwefelsäure, Ammoniak und Essigsäure.

Unter den Hypothesen, welche zur Erläuterung der Gährungserscheinungen er-
sonnen sind, schliessen sich die von Bunsen und Schönbein gegebenen, den That-
sachen am besten an, und widersprechen nicht den mechanischen Prinzipien. Die
erstere von beiden erläutert vorzugsweise die einfachen Umsetzungen, die andere
aber die mit der Umsetzung verbundene Oxydation. Bunsen schliesst folgender-
massen:

*) Buchner, Ueber einige neue Gährungs- und Verwesungserscheinungen. Liebigs Annalen
78. Bd.
**) Charakteristik der epid. Cholera. 58 u. f.

Eiweissartige Stoffe.
lichen Körper einleiten, sind so weit bekannt: die Umwandlung einer
Modifikation eines Eiweissstoffes in eine andere; die der Stärke in
Dextrin und Traubenzucker; die des Traubenzuckers in Milchsäure;
die der milchsauren Salze in Kohlensäure, Wasserstoffgas und Butter-
säure (Dünn- und Dickdarm); die der neutralen Fette in Glycerin und
Fettsäuren; die der Gallensäure in Taurin, Glycocoll, Chol- und Cho-
loidinsäure; die des Harnstoffs in kohlensaures Ammoniak, und end-
lich die vieler organischer Säuren *) in Kohlensäure und Wasser. Zur
Einleitung eines jeden dieser mannigfaltigen Prozesse ist es Bedin-
gung, dass ein ganz besonderer eiweissartiger Stoff, der noch dazu
in ganz besonderer Zersetzung begriffen ist, vorhanden sei, wie
C. Schmidt **) gezeigt hat. Denn das Ferment, welches Zucker zer-
setzte, konnte keine Harnstoffgährung veranlassen u. s. w. Das Fer-
ment wird, wie es den Stoff, mit dem es in Berührung gebracht ist,
umändert, so auch durch diesen in seinem Umsetzungsprozess modifi-
zirt, wie daraus hervorgeht, dass stark in Fäulniss übergegangene
Massen, in Zuckerlösung gebracht, ihren fauligen Geruch verlieren,
wenn sie Alkoholgährung einleiten. Ausserdem gehören zur Unter-
haltung der Gährung noch Alkalien, vorausgesetzt, dass durch eine
in dem Prozesse gebildete Säure die Gährung gestört wird. Da die
obige Aufzählung zeigt, dass einzelne Gährungen nur in Zerlegungen
bestehen, andere aber mit Sauerstoffaufnahme verbunden sind, so ist
einleuchtend, dass die letztern nicht ohne Gegenwart von Sauerstoff
geschehen können, während die ersteren keines solchen Stoffes be-
dürfen. — Die auffallende Erscheinung, dass durch die Zerfällung einer
Atomgruppe eine andere verändert werden kann, ohne dass die Be-
standtheile beider Atomgruppen Verbindungen eingehen, und die noch
merkwürdigere, dass durch eine beschränkte Masse des Fermentes
eine so grosse Masse des gährenden Körpers zersetzt werden kann,
dürfte bei der Verschiedenheit der Prozesse schwerlich auf einen Er-
klärungsgrund zurückgeführt werden können.

Ausser den im Text erwähnten Gährungen, werden mit einiger Wahrscheinlich-
keit als gegenwärtig noch vorausgesetzt: die Umwandlung des Glycerins in Pro-
pionsäure, der Oelsäure in die niederen Glieder der C[2]n H (2n-1) O3; HOgruppe; des
Traubenzuckers in Alkohol (wegen der Gegenwart der Gährungspilze im Darmka-
nal, Mitscherlich); des Taurins in Schwefelsäure, Ammoniak und Essigsäure.

Unter den Hypothesen, welche zur Erläuterung der Gährungserscheinungen er-
sonnen sind, schliessen sich die von Bunsen und Schönbein gegebenen, den That-
sachen am besten an, und widersprechen nicht den mechanischen Prinzipien. Die
erstere von beiden erläutert vorzugsweise die einfachen Umsetzungen, die andere
aber die mit der Umsetzung verbundene Oxydation. Bunsen schliesst folgender-
massen:

*) Buchner, Ueber einige neue Gährungs- und Verwesungserscheinungen. Liebigs Annalen
78. Bd.
**) Charakteristik der epid. Cholera. 58 u. f.
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[42/0056] Eiweissartige Stoffe. lichen Körper einleiten, sind so weit bekannt: die Umwandlung einer Modifikation eines Eiweissstoffes in eine andere; die der Stärke in Dextrin und Traubenzucker; die des Traubenzuckers in Milchsäure; die der milchsauren Salze in Kohlensäure, Wasserstoffgas und Butter- säure (Dünn- und Dickdarm); die der neutralen Fette in Glycerin und Fettsäuren; die der Gallensäure in Taurin, Glycocoll, Chol- und Cho- loidinsäure; die des Harnstoffs in kohlensaures Ammoniak, und end- lich die vieler organischer Säuren *) in Kohlensäure und Wasser. Zur Einleitung eines jeden dieser mannigfaltigen Prozesse ist es Bedin- gung, dass ein ganz besonderer eiweissartiger Stoff, der noch dazu in ganz besonderer Zersetzung begriffen ist, vorhanden sei, wie C. Schmidt **) gezeigt hat. Denn das Ferment, welches Zucker zer- setzte, konnte keine Harnstoffgährung veranlassen u. s. w. Das Fer- ment wird, wie es den Stoff, mit dem es in Berührung gebracht ist, umändert, so auch durch diesen in seinem Umsetzungsprozess modifi- zirt, wie daraus hervorgeht, dass stark in Fäulniss übergegangene Massen, in Zuckerlösung gebracht, ihren fauligen Geruch verlieren, wenn sie Alkoholgährung einleiten. Ausserdem gehören zur Unter- haltung der Gährung noch Alkalien, vorausgesetzt, dass durch eine in dem Prozesse gebildete Säure die Gährung gestört wird. Da die obige Aufzählung zeigt, dass einzelne Gährungen nur in Zerlegungen bestehen, andere aber mit Sauerstoffaufnahme verbunden sind, so ist einleuchtend, dass die letztern nicht ohne Gegenwart von Sauerstoff geschehen können, während die ersteren keines solchen Stoffes be- dürfen. — Die auffallende Erscheinung, dass durch die Zerfällung einer Atomgruppe eine andere verändert werden kann, ohne dass die Be- standtheile beider Atomgruppen Verbindungen eingehen, und die noch merkwürdigere, dass durch eine beschränkte Masse des Fermentes eine so grosse Masse des gährenden Körpers zersetzt werden kann, dürfte bei der Verschiedenheit der Prozesse schwerlich auf einen Er- klärungsgrund zurückgeführt werden können. Ausser den im Text erwähnten Gährungen, werden mit einiger Wahrscheinlich- keit als gegenwärtig noch vorausgesetzt: die Umwandlung des Glycerins in Pro- pionsäure, der Oelsäure in die niederen Glieder der C2n H (2n-1) O3; HOgruppe; des Traubenzuckers in Alkohol (wegen der Gegenwart der Gährungspilze im Darmka- nal, Mitscherlich); des Taurins in Schwefelsäure, Ammoniak und Essigsäure. Unter den Hypothesen, welche zur Erläuterung der Gährungserscheinungen er- sonnen sind, schliessen sich die von Bunsen und Schönbein gegebenen, den That- sachen am besten an, und widersprechen nicht den mechanischen Prinzipien. Die erstere von beiden erläutert vorzugsweise die einfachen Umsetzungen, die andere aber die mit der Umsetzung verbundene Oxydation. Bunsen schliesst folgender- massen: *) Buchner, Ueber einige neue Gährungs- und Verwesungserscheinungen. Liebigs Annalen 78. Bd. **) Charakteristik der epid. Cholera. 58 u. f.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/56>, abgerufen am 24.04.2024.