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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Empfindung.
ben zur Empfindung und zwar in der Gestalt, dass mit Vermehrung
der erregten Nervenröhren die Intensität der Empfindung steigt. Die-
ser Satz leitet sich nicht allein aus der bekannten Erfahrung ab, dass
eine Lichtquelle deren Strahlen das halbverdeckte Auge gerade noch
ertragen kann, sogleich auf das heftigste blendet, wenn man sie mit
dem ganz geöffneten Auge ansieht, sondern auf eine noch viel schär-
fere Art aus den Beobachtungen an den Hautnerven von E. H. Weber.
Heisses Wasser erzeugt nämlich um so heftigere Schmerzen in je
grösserer Ausdehnung dasselbe die Haut trifft. Diese Summirung der
Erregungen der einzelnen Nervenröhren in dem Hirn geschieht aber
nicht unter allen Umständen gleich leicht, indem die Ausbreitung der
Erregung über benachbarte Hautstellen die Empfindung beträchtlicher
steigert, als wenn gleichzeitig weiter von einander entfernte gleich-
grosse und gleichnervenreiche Stellen der Einwirkung der heissen
Flüssigkeit ausgesetzt sind.

Hier ist nun noch einmal auf viele bei den Sinnen schon abge-
handelte Punkte, mit der ausgesprochenen Absicht, sie den experi-
mentirenden Psychologen zu empfehlen, hinzuweisen; wie z. B. auf
die Thatsache, dass die Empfindung der Grösse von gesehenen Ge-
genständen auf einem Quotienten oder einer Differenz beruht, welche
gebildet wird aus der Summe gleichzeitig erregter Sehnervenfasern
und der Erregungsintensität der Nerven für den Einrichtungsapparat
des Auges und den m. rectus internus bulbi; denn es nahm ja die
Grösse des gesehenen Gegenstandes zu mit der Summe gleichzeitig
erregter Opticusröhren und ab mit der Stärke der Erregung der erwähn-
ten Muskeln. -- Ferner, dass der Ort und die Richtung des Gesehe-
nen, Gehörten und Gefühlten bedingt war von dem Orte des gleichzei-
tig erregten Empfindungs- und Muskelnerven. -- Ferner, dass die Vor-
stellung von der Intensität einer beliebigen Empfindung in der Errine-
rung rasch absinkt nach dem Aufhören der Nervenerregung, welche
sie erweckte, wie aus dem bemerkenswerthen Versuche von E. H. We-
ber
über relative Grössenschätzung hervorgeht u. s. w. -- Bevor
nicht diese und ähnliche tiefgreifende Erscheinungen genauer zerglie-
dert und durch weitere Versuche ins Klare gesetzt sind, lässt sich an
einen theoretischen Fortschritt der Empfindungslehre nicht denken. --

5. Von der Stellung des blinden Flecks, bezüglich der ihn um-
gebenden Nervenröhren zu der Empfindung. Aus den physiologisch
bemerkenswerthen Thatsachen, welche Ad. Fick und der jüngere
du Bois-Reymond beobachtet haben, ergibt sich, dass uns eine Vor-
stellung gegeben ist von dem Abstand der den blinden Fleck umge-
benden Grenzen, und ferner, dass wir in der Empfindung den vom
blinden Fleck erfüllten Raum der Retina ergänzen, wenn die Umge-
bungen erregt sind.

Wenn man nach den erwähnten Beobachtern a. das Auge auf einen schwarzen

Empfindung.
ben zur Empfindung und zwar in der Gestalt, dass mit Vermehrung
der erregten Nervenröhren die Intensität der Empfindung steigt. Die-
ser Satz leitet sich nicht allein aus der bekannten Erfahrung ab, dass
eine Lichtquelle deren Strahlen das halbverdeckte Auge gerade noch
ertragen kann, sogleich auf das heftigste blendet, wenn man sie mit
dem ganz geöffneten Auge ansieht, sondern auf eine noch viel schär-
fere Art aus den Beobachtungen an den Hautnerven von E. H. Weber.
Heisses Wasser erzeugt nämlich um so heftigere Schmerzen in je
grösserer Ausdehnung dasselbe die Haut trifft. Diese Summirung der
Erregungen der einzelnen Nervenröhren in dem Hirn geschieht aber
nicht unter allen Umständen gleich leicht, indem die Ausbreitung der
Erregung über benachbarte Hautstellen die Empfindung beträchtlicher
steigert, als wenn gleichzeitig weiter von einander entfernte gleich-
grosse und gleichnervenreiche Stellen der Einwirkung der heissen
Flüssigkeit ausgesetzt sind.

Hier ist nun noch einmal auf viele bei den Sinnen schon abge-
handelte Punkte, mit der ausgesprochenen Absicht, sie den experi-
mentirenden Psychologen zu empfehlen, hinzuweisen; wie z. B. auf
die Thatsache, dass die Empfindung der Grösse von gesehenen Ge-
genständen auf einem Quotienten oder einer Differenz beruht, welche
gebildet wird aus der Summe gleichzeitig erregter Sehnervenfasern
und der Erregungsintensität der Nerven für den Einrichtungsapparat
des Auges und den m. rectus internus bulbi; denn es nahm ja die
Grösse des gesehenen Gegenstandes zu mit der Summe gleichzeitig
erregter Opticusröhren und ab mit der Stärke der Erregung der erwähn-
ten Muskeln. — Ferner, dass der Ort und die Richtung des Gesehe-
nen, Gehörten und Gefühlten bedingt war von dem Orte des gleichzei-
tig erregten Empfindungs- und Muskelnerven. — Ferner, dass die Vor-
stellung von der Intensität einer beliebigen Empfindung in der Errine-
rung rasch absinkt nach dem Aufhören der Nervenerregung, welche
sie erweckte, wie aus dem bemerkenswerthen Versuche von E. H. We-
ber
über relative Grössenschätzung hervorgeht u. s. w. — Bevor
nicht diese und ähnliche tiefgreifende Erscheinungen genauer zerglie-
dert und durch weitere Versuche ins Klare gesetzt sind, lässt sich an
einen theoretischen Fortschritt der Empfindungslehre nicht denken. —

5. Von der Stellung des blinden Flecks, bezüglich der ihn um-
gebenden Nervenröhren zu der Empfindung. Aus den physiologisch
bemerkenswerthen Thatsachen, welche Ad. Fick und der jüngere
du Bois-Reymond beobachtet haben, ergibt sich, dass uns eine Vor-
stellung gegeben ist von dem Abstand der den blinden Fleck umge-
benden Grenzen, und ferner, dass wir in der Empfindung den vom
blinden Fleck erfüllten Raum der Retina ergänzen, wenn die Umge-
bungen erregt sind.

Wenn man nach den erwähnten Beobachtern a. das Auge auf einen schwarzen

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[445/0459] Empfindung. ben zur Empfindung und zwar in der Gestalt, dass mit Vermehrung der erregten Nervenröhren die Intensität der Empfindung steigt. Die- ser Satz leitet sich nicht allein aus der bekannten Erfahrung ab, dass eine Lichtquelle deren Strahlen das halbverdeckte Auge gerade noch ertragen kann, sogleich auf das heftigste blendet, wenn man sie mit dem ganz geöffneten Auge ansieht, sondern auf eine noch viel schär- fere Art aus den Beobachtungen an den Hautnerven von E. H. Weber. Heisses Wasser erzeugt nämlich um so heftigere Schmerzen in je grösserer Ausdehnung dasselbe die Haut trifft. Diese Summirung der Erregungen der einzelnen Nervenröhren in dem Hirn geschieht aber nicht unter allen Umständen gleich leicht, indem die Ausbreitung der Erregung über benachbarte Hautstellen die Empfindung beträchtlicher steigert, als wenn gleichzeitig weiter von einander entfernte gleich- grosse und gleichnervenreiche Stellen der Einwirkung der heissen Flüssigkeit ausgesetzt sind. Hier ist nun noch einmal auf viele bei den Sinnen schon abge- handelte Punkte, mit der ausgesprochenen Absicht, sie den experi- mentirenden Psychologen zu empfehlen, hinzuweisen; wie z. B. auf die Thatsache, dass die Empfindung der Grösse von gesehenen Ge- genständen auf einem Quotienten oder einer Differenz beruht, welche gebildet wird aus der Summe gleichzeitig erregter Sehnervenfasern und der Erregungsintensität der Nerven für den Einrichtungsapparat des Auges und den m. rectus internus bulbi; denn es nahm ja die Grösse des gesehenen Gegenstandes zu mit der Summe gleichzeitig erregter Opticusröhren und ab mit der Stärke der Erregung der erwähn- ten Muskeln. — Ferner, dass der Ort und die Richtung des Gesehe- nen, Gehörten und Gefühlten bedingt war von dem Orte des gleichzei- tig erregten Empfindungs- und Muskelnerven. — Ferner, dass die Vor- stellung von der Intensität einer beliebigen Empfindung in der Errine- rung rasch absinkt nach dem Aufhören der Nervenerregung, welche sie erweckte, wie aus dem bemerkenswerthen Versuche von E. H. We- ber über relative Grössenschätzung hervorgeht u. s. w. — Bevor nicht diese und ähnliche tiefgreifende Erscheinungen genauer zerglie- dert und durch weitere Versuche ins Klare gesetzt sind, lässt sich an einen theoretischen Fortschritt der Empfindungslehre nicht denken. — 5. Von der Stellung des blinden Flecks, bezüglich der ihn um- gebenden Nervenröhren zu der Empfindung. Aus den physiologisch bemerkenswerthen Thatsachen, welche Ad. Fick und der jüngere du Bois-Reymond beobachtet haben, ergibt sich, dass uns eine Vor- stellung gegeben ist von dem Abstand der den blinden Fleck umge- benden Grenzen, und ferner, dass wir in der Empfindung den vom blinden Fleck erfüllten Raum der Retina ergänzen, wenn die Umge- bungen erregt sind. Wenn man nach den erwähnten Beobachtern a. das Auge auf einen schwarzen

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/459>, abgerufen am 19.04.2024.