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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Bildung der Buchstaben.
das r übrig; wir erwähnen es hier, weil es als ein Glied aller drei
Gruppen aufgeführt werden kann, indem wir ein r labiale, linguale
und gutturale bilden können. Charakteristisch für seine Bildung ist
es, dass wir einen der leichtschwingenden Mundtheile mittelst des
Luftstroms in Wellenbewegungen versetzen, deren einzelne Stösse
so langsam auf einander folgen, dass wir sie gesondert unterschei-
den. -- Das r labiale entsteht demgemäss, wenn wir unsere Lippen
lose wie zum b aneinanderlegen und durch den Luftstrom in Bewe-
gung versetzen. -- Das r linguale ist der hörbare Ausdruck der Vi-
brationen, in welche die Zunge geräth, wenn dieselbe wie zum t ge-
stellt und durch den Luftstrom vom Gaumen abgedrängt wird; das
r gutturale oder uvulare endlich entsteht durch Schwingungen des
Zäpfchens, wenn man die Zunge wie zur Bildung des ch stellt, aber
in der Mitte entsprechend der Lage des Zäpfchens eine Rinne bildet.

Ausser diesen einfachen Consonanten bildet das menschliche
Sprachwerkzeug noch zusammengesetzte, welche entstehen wenn
die Mundwerkzeuge gleichzeitig zwei Stellungen einnehmen, von
denen jede für sich der Bildung eines Consonanten entspricht; hierher
gehört sch, sf u. s. w. Mit diesen dürfen begreiflich nicht zwei ge-
sondert gesprochene, aber rasch aufeinanderfolgende Consonanten
verwechselt werden, was um so leichter geschieht, wenn diese aus
Bequemlichkeit von der Schrift in einen Buchstaben zusammengefasst
sind, wie das deutsche z und das griechische x und ps.

Vorstehende fragmentarische Betrachtung der Laute, bei der
wir vorzugsweise den ausgezeichneten Beobachtungen von E. Brücke
gefolgt sind, kann nur als ein Anregungsmittel zu weiteren Literaturstu-
dien betrachtet werden. Die Beschränkung auf das Gegebene erschien
um so mehr geboten, als sonst auch andere erlernte Fähigkeiten un-
serer Bewegungsorgane -- denn eine solche ist die Sprache -- eine
Berechtigung zur Besprechung erhielten. Es versteht sich von selbst,
dass die rationelle Grammatik den hier abgebrochenen Faden aufnimmt
und auf das Gründlichste verfolgt.

3. Nerven der Sprachwerkzeuge.

Zu ihnen zählen wir den n. facialis, welcher sich in den m. or-
bicularis oris, die mm. incisivi, m. stylohyoideus und m. digastricus
posterior begibt, und den n. hypoglossus, welcher in die Zungen-
muskeln, m. geniohyoideus und den m. hyothyreoideus eindringt. --
Welcher der Gaumennerven, ob n. vagus, accessorius oder facialis
als Sprechnerv des Gaumens aufzufassen sei, bleibt ungewiss.

Ueber die Stellung dieser Nerven zu den Seelenorganen gelten
die bei den Stimmnerven erwähnten Bemerkungen um so eher, als
das schon vorhandene Vermögen zu sprechen in Folge von Hirnver-
letzungen zu Grunde gehen kann, ohne dass die Schlingfunktionen
der Zunge etc. gelähmt sind.


Bildung der Buchstaben.
das r übrig; wir erwähnen es hier, weil es als ein Glied aller drei
Gruppen aufgeführt werden kann, indem wir ein r labiale, linguale
und gutturale bilden können. Charakteristisch für seine Bildung ist
es, dass wir einen der leichtschwingenden Mundtheile mittelst des
Luftstroms in Wellenbewegungen versetzen, deren einzelne Stösse
so langsam auf einander folgen, dass wir sie gesondert unterschei-
den. — Das r labiale entsteht demgemäss, wenn wir unsere Lippen
lose wie zum b aneinanderlegen und durch den Luftstrom in Bewe-
gung versetzen. — Das r linguale ist der hörbare Ausdruck der Vi-
brationen, in welche die Zunge geräth, wenn dieselbe wie zum t ge-
stellt und durch den Luftstrom vom Gaumen abgedrängt wird; das
r gutturale oder uvulare endlich entsteht durch Schwingungen des
Zäpfchens, wenn man die Zunge wie zur Bildung des ch stellt, aber
in der Mitte entsprechend der Lage des Zäpfchens eine Rinne bildet.

Ausser diesen einfachen Consonanten bildet das menschliche
Sprachwerkzeug noch zusammengesetzte, welche entstehen wenn
die Mundwerkzeuge gleichzeitig zwei Stellungen einnehmen, von
denen jede für sich der Bildung eines Consonanten entspricht; hierher
gehört sch, sf u. s. w. Mit diesen dürfen begreiflich nicht zwei ge-
sondert gesprochene, aber rasch aufeinanderfolgende Consonanten
verwechselt werden, was um so leichter geschieht, wenn diese aus
Bequemlichkeit von der Schrift in einen Buchstaben zusammengefasst
sind, wie das deutsche z und das griechische ξ und ψ.

Vorstehende fragmentarische Betrachtung der Laute, bei der
wir vorzugsweise den ausgezeichneten Beobachtungen von E. Brücke
gefolgt sind, kann nur als ein Anregungsmittel zu weiteren Literaturstu-
dien betrachtet werden. Die Beschränkung auf das Gegebene erschien
um so mehr geboten, als sonst auch andere erlernte Fähigkeiten un-
serer Bewegungsorgane — denn eine solche ist die Sprache — eine
Berechtigung zur Besprechung erhielten. Es versteht sich von selbst,
dass die rationelle Grammatik den hier abgebrochenen Faden aufnimmt
und auf das Gründlichste verfolgt.

3. Nerven der Sprachwerkzeuge.

Zu ihnen zählen wir den n. facialis, welcher sich in den m. or-
bicularis oris, die mm. incisivi, m. stylohyoideus und m. digastricus
posterior begibt, und den n. hypoglossus, welcher in die Zungen-
muskeln, m. geniohyoideus und den m. hyothyreoideus eindringt. —
Welcher der Gaumennerven, ob n. vagus, accessorius oder facialis
als Sprechnerv des Gaumens aufzufassen sei, bleibt ungewiss.

Ueber die Stellung dieser Nerven zu den Seelenorganen gelten
die bei den Stimmnerven erwähnten Bemerkungen um so eher, als
das schon vorhandene Vermögen zu sprechen in Folge von Hirnver-
letzungen zu Grunde gehen kann, ohne dass die Schlingfunktionen
der Zunge etc. gelähmt sind.


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[439/0453] Bildung der Buchstaben. das r übrig; wir erwähnen es hier, weil es als ein Glied aller drei Gruppen aufgeführt werden kann, indem wir ein r labiale, linguale und gutturale bilden können. Charakteristisch für seine Bildung ist es, dass wir einen der leichtschwingenden Mundtheile mittelst des Luftstroms in Wellenbewegungen versetzen, deren einzelne Stösse so langsam auf einander folgen, dass wir sie gesondert unterschei- den. — Das r labiale entsteht demgemäss, wenn wir unsere Lippen lose wie zum b aneinanderlegen und durch den Luftstrom in Bewe- gung versetzen. — Das r linguale ist der hörbare Ausdruck der Vi- brationen, in welche die Zunge geräth, wenn dieselbe wie zum t ge- stellt und durch den Luftstrom vom Gaumen abgedrängt wird; das r gutturale oder uvulare endlich entsteht durch Schwingungen des Zäpfchens, wenn man die Zunge wie zur Bildung des ch stellt, aber in der Mitte entsprechend der Lage des Zäpfchens eine Rinne bildet. Ausser diesen einfachen Consonanten bildet das menschliche Sprachwerkzeug noch zusammengesetzte, welche entstehen wenn die Mundwerkzeuge gleichzeitig zwei Stellungen einnehmen, von denen jede für sich der Bildung eines Consonanten entspricht; hierher gehört sch, sf u. s. w. Mit diesen dürfen begreiflich nicht zwei ge- sondert gesprochene, aber rasch aufeinanderfolgende Consonanten verwechselt werden, was um so leichter geschieht, wenn diese aus Bequemlichkeit von der Schrift in einen Buchstaben zusammengefasst sind, wie das deutsche z und das griechische ξ und ψ. Vorstehende fragmentarische Betrachtung der Laute, bei der wir vorzugsweise den ausgezeichneten Beobachtungen von E. Brücke gefolgt sind, kann nur als ein Anregungsmittel zu weiteren Literaturstu- dien betrachtet werden. Die Beschränkung auf das Gegebene erschien um so mehr geboten, als sonst auch andere erlernte Fähigkeiten un- serer Bewegungsorgane — denn eine solche ist die Sprache — eine Berechtigung zur Besprechung erhielten. Es versteht sich von selbst, dass die rationelle Grammatik den hier abgebrochenen Faden aufnimmt und auf das Gründlichste verfolgt. 3. Nerven der Sprachwerkzeuge. Zu ihnen zählen wir den n. facialis, welcher sich in den m. or- bicularis oris, die mm. incisivi, m. stylohyoideus und m. digastricus posterior begibt, und den n. hypoglossus, welcher in die Zungen- muskeln, m. geniohyoideus und den m. hyothyreoideus eindringt. — Welcher der Gaumennerven, ob n. vagus, accessorius oder facialis als Sprechnerv des Gaumens aufzufassen sei, bleibt ungewiss. Ueber die Stellung dieser Nerven zu den Seelenorganen gelten die bei den Stimmnerven erwähnten Bemerkungen um so eher, als das schon vorhandene Vermögen zu sprechen in Folge von Hirnver- letzungen zu Grunde gehen kann, ohne dass die Schlingfunktionen der Zunge etc. gelähmt sind.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/453>, abgerufen am 29.03.2024.