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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Unterkiefergelenk.
dieselben noch knorpelig elastische Massen, die Menisci, einfügen. Aus
dieser Angabe folgt, dass die Zahl der Berührungspunkte beider Ge-
lenkflächen je nach ihrer Stellung sehr wechseln muss. Ueber ihre
Beweglichkeit lässt sich im Allgemeinen nichts aussagen.

2. Die folgende Betrachtung der Gelenke im Einzelnen soll durch
ihre Lückenhaftigkeit zu neuen Untersuchungen auffordern.

Unterkiefergelenk.

Seine Schädelfläche a a stellt hinten eine Grube und vorn einen
Höcker dar; die Fläche des Gelenkkopfes b ist wenigstens keinem Um-
drehungskörper angehörig; auf dem Kopf schleift ein Meniscus der

[Abbildung] Fig. 96.
vorn und hinten a, a an der Schädel-
fläche, rechts und links an dem Ge-
lenkkopfe befestigt ist. Das Gelenk
ist in seinen zwei ihm zukommenden
Stellungen verschieden beweglich.
a. Der Kopf steht in der hintern Grube,
der Meniscus klemmt sich fest zwi-
schen tuberculum articulare und den
Gelenkkopf, so dass er die vordere
Wand der Gelenkfläche bildet; sein
vorderes Verbindungsstück mit der
Schläfenfläche ist stark genug ge-
spannt, um sich bei der Bewegung des
Gelenkkopfes nicht zu verrücken. Die
Bewegung geschieht in dieser Stellung
um eine Achse, die durch die längste Ausdehnung (von rechts nach links)
des Gelenkkopfes geht, nach Art derjenigen eines Säulen- oder Cylinder-
gelenks. Hemmungen für die Bewegungen geben die Zähne, das Gelenk
der entgegengesetzten Seite, und die zwischen process. mastoideus und
dem Unterkieferast eingeklemmten Theile ab. -- b. Der Gelenkkopf steht
auf dem tubercul. articulare, der Meniscus legt sich gegen die hintere
Fläche des Kopfes, und ist durch seine hintere Verbindung mit der Schlä-
fenfläche festgestellt; bei den Bewegungen folgt er dem Gelenkkopfe.
Die Bewegung selbst geschieht durch Verrückung des ganzen Gelenk-
kopfs nach vorn oder nach aussen und nicht durch Abwicklung sei-
ner Flächen indem die Achse um welche die Drehung geschieht durch
das gespannte lig. laterale externum bestimmt ist; H. Meyer. Die Hem-
mung geschieht durch das ligamentum laterale extern., den Meniscus,
die hintern Backenzähne und die mm. masseter und pterygoideus in-
ternus. -- Durch allmäligen Uebergang beider Bewegungsweisen in
einander entsteht der Anschein einer Rotation um eine auf die längste
Ausdehnung des Kopfes senkrechte Achse. -- Beide Kiefergelenke
gehen entweder in ihrer Bewegung gleichzeitig und gleichstark, oder es

Ludwig, Physiologie I. 24

Unterkiefergelenk.
dieselben noch knorpelig elastische Massen, die Menisci, einfügen. Aus
dieser Angabe folgt, dass die Zahl der Berührungspunkte beider Ge-
lenkflächen je nach ihrer Stellung sehr wechseln muss. Ueber ihre
Beweglichkeit lässt sich im Allgemeinen nichts aussagen.

2. Die folgende Betrachtung der Gelenke im Einzelnen soll durch
ihre Lückenhaftigkeit zu neuen Untersuchungen auffordern.

Unterkiefergelenk.

Seine Schädelfläche a a stellt hinten eine Grube und vorn einen
Höcker dar; die Fläche des Gelenkkopfes b ist wenigstens keinem Um-
drehungskörper angehörig; auf dem Kopf schleift ein Meniscus der

[Abbildung] Fig. 96.
vorn und hinten a, a an der Schädel-
fläche, rechts und links an dem Ge-
lenkkopfe befestigt ist. Das Gelenk
ist in seinen zwei ihm zukommenden
Stellungen verschieden beweglich.
a. Der Kopf steht in der hintern Grube,
der Meniscus klemmt sich fest zwi-
schen tuberculum articulare und den
Gelenkkopf, so dass er die vordere
Wand der Gelenkfläche bildet; sein
vorderes Verbindungsstück mit der
Schläfenfläche ist stark genug ge-
spannt, um sich bei der Bewegung des
Gelenkkopfes nicht zu verrücken. Die
Bewegung geschieht in dieser Stellung
um eine Achse, die durch die längste Ausdehnung (von rechts nach links)
des Gelenkkopfes geht, nach Art derjenigen eines Säulen- oder Cylinder-
gelenks. Hemmungen für die Bewegungen geben die Zähne, das Gelenk
der entgegengesetzten Seite, und die zwischen process. mastoideus und
dem Unterkieferast eingeklemmten Theile ab. — b. Der Gelenkkopf steht
auf dem tubercul. articulare, der Meniscus legt sich gegen die hintere
Fläche des Kopfes, und ist durch seine hintere Verbindung mit der Schlä-
fenfläche festgestellt; bei den Bewegungen folgt er dem Gelenkkopfe.
Die Bewegung selbst geschieht durch Verrückung des ganzen Gelenk-
kopfs nach vorn oder nach aussen und nicht durch Abwicklung sei-
ner Flächen indem die Achse um welche die Drehung geschieht durch
das gespannte lig. laterale externum bestimmt ist; H. Meyer. Die Hem-
mung geschieht durch das ligamentum laterale extern., den Meniscus,
die hintern Backenzähne und die mm. masseter und pterygoideus in-
ternus. — Durch allmäligen Uebergang beider Bewegungsweisen in
einander entsteht der Anschein einer Rotation um eine auf die längste
Ausdehnung des Kopfes senkrechte Achse. — Beide Kiefergelenke
gehen entweder in ihrer Bewegung gleichzeitig und gleichstark, oder es

Ludwig, Physiologie I. 24
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[369/0383] Unterkiefergelenk. dieselben noch knorpelig elastische Massen, die Menisci, einfügen. Aus dieser Angabe folgt, dass die Zahl der Berührungspunkte beider Ge- lenkflächen je nach ihrer Stellung sehr wechseln muss. Ueber ihre Beweglichkeit lässt sich im Allgemeinen nichts aussagen. 2. Die folgende Betrachtung der Gelenke im Einzelnen soll durch ihre Lückenhaftigkeit zu neuen Untersuchungen auffordern. Unterkiefergelenk. Seine Schädelfläche a a stellt hinten eine Grube und vorn einen Höcker dar; die Fläche des Gelenkkopfes b ist wenigstens keinem Um- drehungskörper angehörig; auf dem Kopf schleift ein Meniscus der [Abbildung Fig. 96.] vorn und hinten a, a an der Schädel- fläche, rechts und links an dem Ge- lenkkopfe befestigt ist. Das Gelenk ist in seinen zwei ihm zukommenden Stellungen verschieden beweglich. a. Der Kopf steht in der hintern Grube, der Meniscus klemmt sich fest zwi- schen tuberculum articulare und den Gelenkkopf, so dass er die vordere Wand der Gelenkfläche bildet; sein vorderes Verbindungsstück mit der Schläfenfläche ist stark genug ge- spannt, um sich bei der Bewegung des Gelenkkopfes nicht zu verrücken. Die Bewegung geschieht in dieser Stellung um eine Achse, die durch die längste Ausdehnung (von rechts nach links) des Gelenkkopfes geht, nach Art derjenigen eines Säulen- oder Cylinder- gelenks. Hemmungen für die Bewegungen geben die Zähne, das Gelenk der entgegengesetzten Seite, und die zwischen process. mastoideus und dem Unterkieferast eingeklemmten Theile ab. — b. Der Gelenkkopf steht auf dem tubercul. articulare, der Meniscus legt sich gegen die hintere Fläche des Kopfes, und ist durch seine hintere Verbindung mit der Schlä- fenfläche festgestellt; bei den Bewegungen folgt er dem Gelenkkopfe. Die Bewegung selbst geschieht durch Verrückung des ganzen Gelenk- kopfs nach vorn oder nach aussen und nicht durch Abwicklung sei- ner Flächen indem die Achse um welche die Drehung geschieht durch das gespannte lig. laterale externum bestimmt ist; H. Meyer. Die Hem- mung geschieht durch das ligamentum laterale extern., den Meniscus, die hintern Backenzähne und die mm. masseter und pterygoideus in- ternus. — Durch allmäligen Uebergang beider Bewegungsweisen in einander entsteht der Anschein einer Rotation um eine auf die längste Ausdehnung des Kopfes senkrechte Achse. — Beide Kiefergelenke gehen entweder in ihrer Bewegung gleichzeitig und gleichstark, oder es Ludwig, Physiologie I. 24

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/383>, abgerufen am 28.03.2024.