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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Form der Knochen.
erleiden haben, nicht allein massiver sind, sondern auch den zerdrück-
kenden Kräften in der Richtung grössten Widerstandes entgegen-
treten, oder dass wenn dieser Regel entgegen starke Drücke senk-
recht gegen grössere dünne Platten gehen, diese nicht aus einem,
sondern einer grösseren Zahl klotzförmiger Knochen bestehen u. s. w.

Die Richtung, nach welcher sich zwei berührende Knochen anein-
ander bewegen lassen, findet eine ihrer wesentlichen Bestimmungen
in der Form der sich treffenden Flächen; je nachdem diese säulen-
artig, kegelförmig, kugelig u. s. w. geformt sind wird der eine auf dem
andern Knochen in dieser oder jener oder in mehrere Ebenen verschieb-
bar sein. Der Umfang möglicher Bewegung wächst sowohl mit der freien
Stellung, die den Flächen an den Knochenenden zukommen, als auch
mit der Zahl der Grade, die ihre Krümmungen umschliessen, vorausge-
setzt dass dieselbe um einen Mittelpunkt gehen, oder wenn dieses nicht
der Fall, mit ihren Ausdehnungen. Die Festigkeit der Verbindung end-
lich, soweit sie vom Knochen selbst abhängt, steigt mit der Vermehrung
der sich berührenden Punkte. Auch diese wichtige Verhältnisse sind
bisher meist ganz oberflächlich behandelt, so dass eine Einordnung der
einzelnen Knochenformen in ein auf die vorliegenden Grundsätze ge-
bautes System unmöglich ist.

Die Längen und namentlich die Abstände der freien und einge-
lenkten Enden eines Knochens, der als Halbmesser um einen Dreh-
punkt oder eine Drehachse einen Kreis beschreibt, bestimmen das
Verhältniss der Geschwindigkeit am Ende und Anfang des Knochens.
Die Richtungen des Knochens gegen den Gelenkfortsatz, insbeson-
dere gegen die Achse der Bewegung, weissen den ziehenden Muskel-
kräften ihren Ansatzwinkel an, d. h. denjenigen, welchen die Richtung
der Muskelkräfte mit ihrem zugehörigen Hebelarm bildet. Je mehr sich
dieser Ansatzwinkel dem rechten nähert, ein um so grösserer Antheil
der Muskelkraft wird zur Ortsveränderung und ein um so kleinerer
zur Zusammenpressung der Gelenkenden verwendet. Je breiter end-
lich die nach einer Richtung hin sehende Fläche ist, welche der Kno-
chen den sich an sie setzenden Muskelfasern bietet, um so weniger
werden die zu einem Muskel zusammengefassten Röhren gegen die-
sen Knochen hin convergiren, so dass grosse Mengen gleich langer
in gleicher Richtung wirkender Muskelröhren hier entspringen können.

Demnächst wäre nun zu untersuchen, welche Folgen aus der Ver-
bindung mehrerer Knochenformen entstehen; d. h. wie sich der folgende
Knochen gestalten muss rücksichtlich seiner Gelenkfläche und der
Grösse und Lage seiner Muskelansatzorte, wenn der vorhergehende
gegeben ist. Unzweifelhaft dürften sich dann allgemeine mathematische
Ausdrücke nicht allein für jeden Knochen, sondern auch für die zu
einem kleineren oder grösseren System verbundenen herausstellen.
Dafür bürgt uns nicht allein die immerhin noch ausserordentliche

Form der Knochen.
erleiden haben, nicht allein massiver sind, sondern auch den zerdrück-
kenden Kräften in der Richtung grössten Widerstandes entgegen-
treten, oder dass wenn dieser Regel entgegen starke Drücke senk-
recht gegen grössere dünne Platten gehen, diese nicht aus einem,
sondern einer grösseren Zahl klotzförmiger Knochen bestehen u. s. w.

Die Richtung, nach welcher sich zwei berührende Knochen anein-
ander bewegen lassen, findet eine ihrer wesentlichen Bestimmungen
in der Form der sich treffenden Flächen; je nachdem diese säulen-
artig, kegelförmig, kugelig u. s. w. geformt sind wird der eine auf dem
andern Knochen in dieser oder jener oder in mehrere Ebenen verschieb-
bar sein. Der Umfang möglicher Bewegung wächst sowohl mit der freien
Stellung, die den Flächen an den Knochenenden zukommen, als auch
mit der Zahl der Grade, die ihre Krümmungen umschliessen, vorausge-
setzt dass dieselbe um einen Mittelpunkt gehen, oder wenn dieses nicht
der Fall, mit ihren Ausdehnungen. Die Festigkeit der Verbindung end-
lich, soweit sie vom Knochen selbst abhängt, steigt mit der Vermehrung
der sich berührenden Punkte. Auch diese wichtige Verhältnisse sind
bisher meist ganz oberflächlich behandelt, so dass eine Einordnung der
einzelnen Knochenformen in ein auf die vorliegenden Grundsätze ge-
bautes System unmöglich ist.

Die Längen und namentlich die Abstände der freien und einge-
lenkten Enden eines Knochens, der als Halbmesser um einen Dreh-
punkt oder eine Drehachse einen Kreis beschreibt, bestimmen das
Verhältniss der Geschwindigkeit am Ende und Anfang des Knochens.
Die Richtungen des Knochens gegen den Gelenkfortsatz, insbeson-
dere gegen die Achse der Bewegung, weissen den ziehenden Muskel-
kräften ihren Ansatzwinkel an, d. h. denjenigen, welchen die Richtung
der Muskelkräfte mit ihrem zugehörigen Hebelarm bildet. Je mehr sich
dieser Ansatzwinkel dem rechten nähert, ein um so grösserer Antheil
der Muskelkraft wird zur Ortsveränderung und ein um so kleinerer
zur Zusammenpressung der Gelenkenden verwendet. Je breiter end-
lich die nach einer Richtung hin sehende Fläche ist, welche der Kno-
chen den sich an sie setzenden Muskelfasern bietet, um so weniger
werden die zu einem Muskel zusammengefassten Röhren gegen die-
sen Knochen hin convergiren, so dass grosse Mengen gleich langer
in gleicher Richtung wirkender Muskelröhren hier entspringen können.

Demnächst wäre nun zu untersuchen, welche Folgen aus der Ver-
bindung mehrerer Knochenformen entstehen; d. h. wie sich der folgende
Knochen gestalten muss rücksichtlich seiner Gelenkfläche und der
Grösse und Lage seiner Muskelansatzorte, wenn der vorhergehende
gegeben ist. Unzweifelhaft dürften sich dann allgemeine mathematische
Ausdrücke nicht allein für jeden Knochen, sondern auch für die zu
einem kleineren oder grösseren System verbundenen herausstellen.
Dafür bürgt uns nicht allein die immerhin noch ausserordentliche

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[365/0379] Form der Knochen. erleiden haben, nicht allein massiver sind, sondern auch den zerdrück- kenden Kräften in der Richtung grössten Widerstandes entgegen- treten, oder dass wenn dieser Regel entgegen starke Drücke senk- recht gegen grössere dünne Platten gehen, diese nicht aus einem, sondern einer grösseren Zahl klotzförmiger Knochen bestehen u. s. w. Die Richtung, nach welcher sich zwei berührende Knochen anein- ander bewegen lassen, findet eine ihrer wesentlichen Bestimmungen in der Form der sich treffenden Flächen; je nachdem diese säulen- artig, kegelförmig, kugelig u. s. w. geformt sind wird der eine auf dem andern Knochen in dieser oder jener oder in mehrere Ebenen verschieb- bar sein. Der Umfang möglicher Bewegung wächst sowohl mit der freien Stellung, die den Flächen an den Knochenenden zukommen, als auch mit der Zahl der Grade, die ihre Krümmungen umschliessen, vorausge- setzt dass dieselbe um einen Mittelpunkt gehen, oder wenn dieses nicht der Fall, mit ihren Ausdehnungen. Die Festigkeit der Verbindung end- lich, soweit sie vom Knochen selbst abhängt, steigt mit der Vermehrung der sich berührenden Punkte. Auch diese wichtige Verhältnisse sind bisher meist ganz oberflächlich behandelt, so dass eine Einordnung der einzelnen Knochenformen in ein auf die vorliegenden Grundsätze ge- bautes System unmöglich ist. Die Längen und namentlich die Abstände der freien und einge- lenkten Enden eines Knochens, der als Halbmesser um einen Dreh- punkt oder eine Drehachse einen Kreis beschreibt, bestimmen das Verhältniss der Geschwindigkeit am Ende und Anfang des Knochens. Die Richtungen des Knochens gegen den Gelenkfortsatz, insbeson- dere gegen die Achse der Bewegung, weissen den ziehenden Muskel- kräften ihren Ansatzwinkel an, d. h. denjenigen, welchen die Richtung der Muskelkräfte mit ihrem zugehörigen Hebelarm bildet. Je mehr sich dieser Ansatzwinkel dem rechten nähert, ein um so grösserer Antheil der Muskelkraft wird zur Ortsveränderung und ein um so kleinerer zur Zusammenpressung der Gelenkenden verwendet. Je breiter end- lich die nach einer Richtung hin sehende Fläche ist, welche der Kno- chen den sich an sie setzenden Muskelfasern bietet, um so weniger werden die zu einem Muskel zusammengefassten Röhren gegen die- sen Knochen hin convergiren, so dass grosse Mengen gleich langer in gleicher Richtung wirkender Muskelröhren hier entspringen können. Demnächst wäre nun zu untersuchen, welche Folgen aus der Ver- bindung mehrerer Knochenformen entstehen; d. h. wie sich der folgende Knochen gestalten muss rücksichtlich seiner Gelenkfläche und der Grösse und Lage seiner Muskelansatzorte, wenn der vorhergehende gegeben ist. Unzweifelhaft dürften sich dann allgemeine mathematische Ausdrücke nicht allein für jeden Knochen, sondern auch für die zu einem kleineren oder grösseren System verbundenen herausstellen. Dafür bürgt uns nicht allein die immerhin noch ausserordentliche

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/379>, abgerufen am 25.04.2024.