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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Vierter Abschnitt.
Physiologie des Muskelsystems.

I. Allgemeine Muskelphysiologie.

Die Anatomen unterscheiden bekanntlich mehrere Formen des
Muskelelementes, die quergestreifte und die glatte. Da dieser Form-
verschiedenheit, wie wenigstens zum Theil nachweislich, auch eine Ab-
weichung in der Anordnung der Kräfte parallel geht, so muss die
Physiologie diesen Unterschied adoptiren.

A. Physiologie der quergestreiften Muskelröhre.

Anatomisches Verhalten. *) An der quergestreiften Mus-
kelröhre unterscheidet das bewaffnete Auge die Hülle, eine struktur-
lose häutige Röhre, die Kerne, d. h. Zellen, welche im mehr oder
weniger regelmässigen Abstande von einander an der inneren Fläche
der Hülle liegen, und endlich den Inhalt. -- Ueber die Form dieses Letz-
teren, des wesentlichsten Bestandtheiles, lässt sich hier nur als wahr-
scheinlich angeben, dass sie aus regelmässigen, prismatischen Körn-
chen gebildet (Bowmanns primitive particles) sei, welche im leben-
den Zustand durch eine Zwischensubstanz zu mehr oder weniger homo-
genen Fäserchen vereinigt sind. Diese aus den Körnchen bestehen-
den Fäserchen, die in grösserer Zahl in einem Schlauch vereinigt
liegen, sind von einer Flüssigkeit, der Muskelflüssigkeit, durch-
tränkt. --

Die Bilder, welche man mit dem Mikroskop von der Muskelsubstanz ge-
winnt, sind bezüglich ihres Inhaltes sehr vieldeutig. Bald sieht man die Muskelröhren
nur mit Querstreifen versehen, die in regelmässigen Abständen aufeinander folgen;
diese Querstreifung, obgleich oft nur ganz oberflächlich erscheinend, gehört dennoch
nicht der Scheide an, weil sie auch noch besteht, wenn diese zerrissen ist und weil
man sie sehr häufig auch in die Tiefe des Muskelrohres verfolgen kann. In andern
Fällen und zwar sowohl während des Lebens als im Tode ist der Inhalt in eine Zahl
von feinen Längsfäden zerfallen. In noch andern gleichzeitig durch Längs- und
Querstreifen getheilt, so dass der Muskelinhalt von der Scheide befreit aus varikösen

*) Kölliker, Mikroskopische Anatomie II. 1. p.
Vierter Abschnitt.
Physiologie des Muskelsystems.

I. Allgemeine Muskelphysiologie.

Die Anatomen unterscheiden bekanntlich mehrere Formen des
Muskelelementes, die quergestreifte und die glatte. Da dieser Form-
verschiedenheit, wie wenigstens zum Theil nachweislich, auch eine Ab-
weichung in der Anordnung der Kräfte parallel geht, so muss die
Physiologie diesen Unterschied adoptiren.

A. Physiologie der quergestreiften Muskelröhre.

Anatomisches Verhalten. *) An der quergestreiften Mus-
kelröhre unterscheidet das bewaffnete Auge die Hülle, eine struktur-
lose häutige Röhre, die Kerne, d. h. Zellen, welche im mehr oder
weniger regelmässigen Abstande von einander an der inneren Fläche
der Hülle liegen, und endlich den Inhalt. — Ueber die Form dieses Letz-
teren, des wesentlichsten Bestandtheiles, lässt sich hier nur als wahr-
scheinlich angeben, dass sie aus regelmässigen, prismatischen Körn-
chen gebildet (Bowmanns primitive particles) sei, welche im leben-
den Zustand durch eine Zwischensubstanz zu mehr oder weniger homo-
genen Fäserchen vereinigt sind. Diese aus den Körnchen bestehen-
den Fäserchen, die in grösserer Zahl in einem Schlauch vereinigt
liegen, sind von einer Flüssigkeit, der Muskelflüssigkeit, durch-
tränkt. —

Die Bilder, welche man mit dem Mikroskop von der Muskelsubstanz ge-
winnt, sind bezüglich ihres Inhaltes sehr vieldeutig. Bald sieht man die Muskelröhren
nur mit Querstreifen versehen, die in regelmässigen Abständen aufeinander folgen;
diese Querstreifung, obgleich oft nur ganz oberflächlich erscheinend, gehört dennoch
nicht der Scheide an, weil sie auch noch besteht, wenn diese zerrissen ist und weil
man sie sehr häufig auch in die Tiefe des Muskelrohres verfolgen kann. In andern
Fällen und zwar sowohl während des Lebens als im Tode ist der Inhalt in eine Zahl
von feinen Längsfäden zerfallen. In noch andern gleichzeitig durch Längs- und
Querstreifen getheilt, so dass der Muskelinhalt von der Scheide befreit aus varikösen

*) Kölliker, Mikroskopische Anatomie II. 1. p.
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[312/0326] Vierter Abschnitt. Physiologie des Muskelsystems. I. Allgemeine Muskelphysiologie. Die Anatomen unterscheiden bekanntlich mehrere Formen des Muskelelementes, die quergestreifte und die glatte. Da dieser Form- verschiedenheit, wie wenigstens zum Theil nachweislich, auch eine Ab- weichung in der Anordnung der Kräfte parallel geht, so muss die Physiologie diesen Unterschied adoptiren. A. Physiologie der quergestreiften Muskelröhre. Anatomisches Verhalten. *) An der quergestreiften Mus- kelröhre unterscheidet das bewaffnete Auge die Hülle, eine struktur- lose häutige Röhre, die Kerne, d. h. Zellen, welche im mehr oder weniger regelmässigen Abstande von einander an der inneren Fläche der Hülle liegen, und endlich den Inhalt. — Ueber die Form dieses Letz- teren, des wesentlichsten Bestandtheiles, lässt sich hier nur als wahr- scheinlich angeben, dass sie aus regelmässigen, prismatischen Körn- chen gebildet (Bowmanns primitive particles) sei, welche im leben- den Zustand durch eine Zwischensubstanz zu mehr oder weniger homo- genen Fäserchen vereinigt sind. Diese aus den Körnchen bestehen- den Fäserchen, die in grösserer Zahl in einem Schlauch vereinigt liegen, sind von einer Flüssigkeit, der Muskelflüssigkeit, durch- tränkt. — Die Bilder, welche man mit dem Mikroskop von der Muskelsubstanz ge- winnt, sind bezüglich ihres Inhaltes sehr vieldeutig. Bald sieht man die Muskelröhren nur mit Querstreifen versehen, die in regelmässigen Abständen aufeinander folgen; diese Querstreifung, obgleich oft nur ganz oberflächlich erscheinend, gehört dennoch nicht der Scheide an, weil sie auch noch besteht, wenn diese zerrissen ist und weil man sie sehr häufig auch in die Tiefe des Muskelrohres verfolgen kann. In andern Fällen und zwar sowohl während des Lebens als im Tode ist der Inhalt in eine Zahl von feinen Längsfäden zerfallen. In noch andern gleichzeitig durch Längs- und Querstreifen getheilt, so dass der Muskelinhalt von der Scheide befreit aus varikösen *) Kölliker, Mikroskopische Anatomie II. 1. p.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/326>, abgerufen am 29.03.2024.