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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Anatomische Eigenthümlichkeiten der besonderen Gefühlsnerven.
die Reibung mit den sie berührenden Oberflächen zu befördern,
und zugleich sind diese Orte der Nervenendigungen geeignet die
zartesten Veränderungen der umgebenden Temperatur dem Nerven
unter der Form von Zügen und Drücken mitzutheilen; denn da die
Papille die Haut überragt, so wird sie vorzugsweise leicht erwärmt
und erkältet werden, und da die Papille mit leicht ausdehnbarer Flüs-
sigkeit durchtränkt und mit einer unnachgiebigen Hornschichte über-
zogen ist, so muss die Temperaturänderung ausdehnende und zusam-
menpressende Spannung erzeugen. Die mit Tastkörperchen versehenen
Papillen werden in diesem Sinne besonders bevorzugt sein, und darum
wahrscheinlich auch der Blutgefässe entbehren, wodurch die subjek-
tiven Gefühle abgeschnitten werden, die Begleiter der wechselnden
Gefässdurchmesser hätten sein müssen. -- b. Ueber den grössten
Theil der Haut finden sich Haare verbreitet, welche durch ihre innige
Anheftung an empfindliche Hautstellen kleine Sondern darstellen,
welche in Folge zarten Zugs und Drucks besondere Lagenverschie-
bungen der Haut erzeugen. -- c. Die kleinen, von Kölliker entdeck-
ten Muskeln der Haut und Hautdrüsen sind dadurch von Bedeutung, dass
sie die Blutmenge sowohl als den Elastizitätscoeffizienten der Haut,
mit andern Worten Temperatur und Widerstandsfähigkeit derselben,
vorübergehend ändern können. Ihre Bewegungen erzeugen auch
geradezu eigenthümliche Temperatur- und Kitzelgefühle, welche unter
dem Namen des Ameisenlaufens, des Schauers u. s. w. bekannt sind.
-- d. Unsere Flächen sind endlich zum Theil auf sehr bewegliche
Gliedmassen gestellt, wodurch die Haut der Hand, des Fusses, der
Lippen, der Zunge in mannigfaltige und beliebige Stellungen zu den
erregenden Gegenständen gebracht werden kann.

Nicht unwahrscheinlich ist es aber, dass nächst den erwähnten
besondern Bedingungen in der Haut, auch eine eigenthümliche in dem
Hirn erscheint. E. H. Weber hat auf den Umstand die Aufmerksamkeit
gelenkt, dass nach den häufig vorkommenden und zerstörenden Bluter-
giessungen in die Hirnmasse, welche das Dach des Seitenventrikels
darstellt, vorzugsweise nur die Empfindungen und Bewegungen der
Arme und Beine, aber nicht die des Rumpfes gelähmt sind. Diese
Thatsache zeigt allerdings, dass die Nerven der wesentlichsten Tast-
organe im Hirn einen andern Verlauf besitzen, als diejenigen des
Rumpfes Dieser zusammengedrängte Verlauf von Nerven, die aus-
serhalb des Hirns so weit auseinandergezerrt sind, gesondert von an-
dern, welchen sie an der Peripherie so nahe liegen, muss allerdings
auffallen.

Obwohl es noch durchaus nicht gelingt anzugeben, wie im einzel-
nen die erwähnten Eigenthümlichkeiten die Besonderheit der Empfin-
dung bedingen, so lässt sich doch mit Schärfe ihr im Allgemeinen be-
stimmender Einfluss durch Versuche zeigen. Denn a. dieselben Nerven-

Anatomische Eigenthümlichkeiten der besonderen Gefühlsnerven.
die Reibung mit den sie berührenden Oberflächen zu befördern,
und zugleich sind diese Orte der Nervenendigungen geeignet die
zartesten Veränderungen der umgebenden Temperatur dem Nerven
unter der Form von Zügen und Drücken mitzutheilen; denn da die
Papille die Haut überragt, so wird sie vorzugsweise leicht erwärmt
und erkältet werden, und da die Papille mit leicht ausdehnbarer Flüs-
sigkeit durchtränkt und mit einer unnachgiebigen Hornschichte über-
zogen ist, so muss die Temperaturänderung ausdehnende und zusam-
menpressende Spannung erzeugen. Die mit Tastkörperchen versehenen
Papillen werden in diesem Sinne besonders bevorzugt sein, und darum
wahrscheinlich auch der Blutgefässe entbehren, wodurch die subjek-
tiven Gefühle abgeschnitten werden, die Begleiter der wechselnden
Gefässdurchmesser hätten sein müssen. — b. Ueber den grössten
Theil der Haut finden sich Haare verbreitet, welche durch ihre innige
Anheftung an empfindliche Hautstellen kleine Sondern darstellen,
welche in Folge zarten Zugs und Drucks besondere Lagenverschie-
bungen der Haut erzeugen. — c. Die kleinen, von Kölliker entdeck-
ten Muskeln der Haut und Hautdrüsen sind dadurch von Bedeutung, dass
sie die Blutmenge sowohl als den Elastizitätscoeffizienten der Haut,
mit andern Worten Temperatur und Widerstandsfähigkeit derselben,
vorübergehend ändern können. Ihre Bewegungen erzeugen auch
geradezu eigenthümliche Temperatur- und Kitzelgefühle, welche unter
dem Namen des Ameisenlaufens, des Schauers u. s. w. bekannt sind.
— d. Unsere Flächen sind endlich zum Theil auf sehr bewegliche
Gliedmassen gestellt, wodurch die Haut der Hand, des Fusses, der
Lippen, der Zunge in mannigfaltige und beliebige Stellungen zu den
erregenden Gegenständen gebracht werden kann.

Nicht unwahrscheinlich ist es aber, dass nächst den erwähnten
besondern Bedingungen in der Haut, auch eine eigenthümliche in dem
Hirn erscheint. E. H. Weber hat auf den Umstand die Aufmerksamkeit
gelenkt, dass nach den häufig vorkommenden und zerstörenden Bluter-
giessungen in die Hirnmasse, welche das Dach des Seitenventrikels
darstellt, vorzugsweise nur die Empfindungen und Bewegungen der
Arme und Beine, aber nicht die des Rumpfes gelähmt sind. Diese
Thatsache zeigt allerdings, dass die Nerven der wesentlichsten Tast-
organe im Hirn einen andern Verlauf besitzen, als diejenigen des
Rumpfes Dieser zusammengedrängte Verlauf von Nerven, die aus-
serhalb des Hirns so weit auseinandergezerrt sind, gesondert von an-
dern, welchen sie an der Peripherie so nahe liegen, muss allerdings
auffallen.

Obwohl es noch durchaus nicht gelingt anzugeben, wie im einzel-
nen die erwähnten Eigenthümlichkeiten die Besonderheit der Empfin-
dung bedingen, so lässt sich doch mit Schärfe ihr im Allgemeinen be-
stimmender Einfluss durch Versuche zeigen. Denn a. dieselben Nerven-

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[304/0318] Anatomische Eigenthümlichkeiten der besonderen Gefühlsnerven. die Reibung mit den sie berührenden Oberflächen zu befördern, und zugleich sind diese Orte der Nervenendigungen geeignet die zartesten Veränderungen der umgebenden Temperatur dem Nerven unter der Form von Zügen und Drücken mitzutheilen; denn da die Papille die Haut überragt, so wird sie vorzugsweise leicht erwärmt und erkältet werden, und da die Papille mit leicht ausdehnbarer Flüs- sigkeit durchtränkt und mit einer unnachgiebigen Hornschichte über- zogen ist, so muss die Temperaturänderung ausdehnende und zusam- menpressende Spannung erzeugen. Die mit Tastkörperchen versehenen Papillen werden in diesem Sinne besonders bevorzugt sein, und darum wahrscheinlich auch der Blutgefässe entbehren, wodurch die subjek- tiven Gefühle abgeschnitten werden, die Begleiter der wechselnden Gefässdurchmesser hätten sein müssen. — b. Ueber den grössten Theil der Haut finden sich Haare verbreitet, welche durch ihre innige Anheftung an empfindliche Hautstellen kleine Sondern darstellen, welche in Folge zarten Zugs und Drucks besondere Lagenverschie- bungen der Haut erzeugen. — c. Die kleinen, von Kölliker entdeck- ten Muskeln der Haut und Hautdrüsen sind dadurch von Bedeutung, dass sie die Blutmenge sowohl als den Elastizitätscoeffizienten der Haut, mit andern Worten Temperatur und Widerstandsfähigkeit derselben, vorübergehend ändern können. Ihre Bewegungen erzeugen auch geradezu eigenthümliche Temperatur- und Kitzelgefühle, welche unter dem Namen des Ameisenlaufens, des Schauers u. s. w. bekannt sind. — d. Unsere Flächen sind endlich zum Theil auf sehr bewegliche Gliedmassen gestellt, wodurch die Haut der Hand, des Fusses, der Lippen, der Zunge in mannigfaltige und beliebige Stellungen zu den erregenden Gegenständen gebracht werden kann. Nicht unwahrscheinlich ist es aber, dass nächst den erwähnten besondern Bedingungen in der Haut, auch eine eigenthümliche in dem Hirn erscheint. E. H. Weber hat auf den Umstand die Aufmerksamkeit gelenkt, dass nach den häufig vorkommenden und zerstörenden Bluter- giessungen in die Hirnmasse, welche das Dach des Seitenventrikels darstellt, vorzugsweise nur die Empfindungen und Bewegungen der Arme und Beine, aber nicht die des Rumpfes gelähmt sind. Diese Thatsache zeigt allerdings, dass die Nerven der wesentlichsten Tast- organe im Hirn einen andern Verlauf besitzen, als diejenigen des Rumpfes Dieser zusammengedrängte Verlauf von Nerven, die aus- serhalb des Hirns so weit auseinandergezerrt sind, gesondert von an- dern, welchen sie an der Peripherie so nahe liegen, muss allerdings auffallen. Obwohl es noch durchaus nicht gelingt anzugeben, wie im einzel- nen die erwähnten Eigenthümlichkeiten die Besonderheit der Empfin- dung bedingen, so lässt sich doch mit Schärfe ihr im Allgemeinen be- stimmender Einfluss durch Versuche zeigen. Denn a. dieselben Nerven-

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/318>, abgerufen am 28.03.2024.