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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Erreger des Schmerzes. Electricität.
lungen der empfindenden Oertlichkeit veranlassen; darum nennt man
ihre Empfindungen auch wohl Allgemeingefühl im Gegensatz zu den
deutlicheren Gefühlen des Druck-, Tast- und Temperatursinnes. --

A. Schmerz, Gemeingefühl.

Zur Schmerzempfindung sind alle Orte befähigt, in welchen sich
Enden und Stämme der oben erwähnten Nerven finden; da er nicht der
Art, sondern einzig der Stärke nach veränderlich ist, so beziehen sich
unsere Betrachtungen auch zunächst nur hierauf.

1. Erreger. a. Elektrizität; *) sie erzeugt sowohl als constanter
galvanischer, wie als schwankender oder momentaner Strom (In-
duktions- und Reibungselektrizität) Schmerzen; mit Rücksicht auf
den Nerven ausgedrückt, begleitet also nicht allein die negative
Schwankung, sondern auch die dipolare Anordnung seiner Molekeln
den Schmerz. -- In dem ersten Falle wächst der Schmerz mit der
Stärke und Dichtigkeit des Stroms, und im zweiten mit der Grösse der
Schwankung, d. h. mit der in der Zeiteinheit sich abgleichenden Elek-
trizitätsmenge. -- Die Stärke des Schmerzes, welchen die Schliessung
und Oeffnung der Kette, oder ein elektrischer Funke erzeugt, ist im-
mer beträchtlicher als diejenige, welche von der geschlossenen Kette
abhängt. Innerhalb dieser letztern tritt der Schmerz vorzugsweise
an der Körperstelle auf, die vom negativen Pol berührt wird.

Mit je mehr Funken man eine mit Stanniol überzogene Glasplatte lädet, um so
schmerzhafter wird der Schlag, welchen sie bei der Berührung ertheilt. Wenn man
zwei Platten von ungleicher Grösse so mit Electrizität füllt, dass die Spannung in
beiden gleich ist, mit andern Worten, dass das Verhältniss zwischen der aufgehäuf-
ten Elektrizität und der Oberfläche der Platten in beiden dasselbe ist, so schlägt die
grössere Platte stärker als die kleinere. Hieraus folgt auch erfahrungsgemäss, dass
Elektrizität von demselben Spannungsgrade einen Schlag mitzutheilen oder nicht
mitzutheilen vermag, je nachdem sie auf einer grossen oder kleinen Platte vertheilt war.
Schliesst man mittelst der befeuchteten Finger eine constante galvanische Säule von
vielen Plattenpaaren, so empfindet man den Schmerz während ihrer Schliessung zu-
nächst nur an den Fingern; steigert man die Summe der Kettenglieder, so erstreckt
er sich auch gegen den Arm in der Art, dass er an der Hand schwach, am Handge-
lenke stark, am Vorderarm schwach, am Ellbogengelenk wieder stark auftritt. Die
Ursache dieser Erscheinungsreihe sucht man darin, dass der electrische Strom an
den schmerzenden Stellen dichter ist; man vermuthet aber eine grössere Dichtigkeit,
weil man einzelne Bestandtheile der Gelenke (Knorpel oder andere) für schlech-
tere Leiter ansieht, als die Haut, Knochen und Muskeln.

b. Chemische Atome; von ihren schmerzerregenden Eigenschaften
ist nur bekannt, dass die verschiedensten Stoffe und Verwandtschafts-
kategorien, nämlich alle Arten von Säuren, Alkalien, Salze, Alkohol,
gepaarte Basen etc., im Stande sind Schmerzen zu erregen, wenn sie
in einiger Conzentration auf den Nerven wirken. --

c. Temperaturen. Die Zunahme sowohl als die Abnahme der nor-
malen Körpertemperatur bedingt bekanntlich Schmerzempfindung,

*) Du Bois-Reymond 283 und 354.

Erreger des Schmerzes. Electricität.
lungen der empfindenden Oertlichkeit veranlassen; darum nennt man
ihre Empfindungen auch wohl Allgemeingefühl im Gegensatz zu den
deutlicheren Gefühlen des Druck-, Tast- und Temperatursinnes. —

A. Schmerz, Gemeingefühl.

Zur Schmerzempfindung sind alle Orte befähigt, in welchen sich
Enden und Stämme der oben erwähnten Nerven finden; da er nicht der
Art, sondern einzig der Stärke nach veränderlich ist, so beziehen sich
unsere Betrachtungen auch zunächst nur hierauf.

1. Erreger. a. Elektrizität; *) sie erzeugt sowohl als constanter
galvanischer, wie als schwankender oder momentaner Strom (In-
duktions- und Reibungselektrizität) Schmerzen; mit Rücksicht auf
den Nerven ausgedrückt, begleitet also nicht allein die negative
Schwankung, sondern auch die dipolare Anordnung seiner Molekeln
den Schmerz. — In dem ersten Falle wächst der Schmerz mit der
Stärke und Dichtigkeit des Stroms, und im zweiten mit der Grösse der
Schwankung, d. h. mit der in der Zeiteinheit sich abgleichenden Elek-
trizitätsmenge. — Die Stärke des Schmerzes, welchen die Schliessung
und Oeffnung der Kette, oder ein elektrischer Funke erzeugt, ist im-
mer beträchtlicher als diejenige, welche von der geschlossenen Kette
abhängt. Innerhalb dieser letztern tritt der Schmerz vorzugsweise
an der Körperstelle auf, die vom negativen Pol berührt wird.

Mit je mehr Funken man eine mit Stanniol überzogene Glasplatte lädet, um so
schmerzhafter wird der Schlag, welchen sie bei der Berührung ertheilt. Wenn man
zwei Platten von ungleicher Grösse so mit Electrizität füllt, dass die Spannung in
beiden gleich ist, mit andern Worten, dass das Verhältniss zwischen der aufgehäuf-
ten Elektrizität und der Oberfläche der Platten in beiden dasselbe ist, so schlägt die
grössere Platte stärker als die kleinere. Hieraus folgt auch erfahrungsgemäss, dass
Elektrizität von demselben Spannungsgrade einen Schlag mitzutheilen oder nicht
mitzutheilen vermag, je nachdem sie auf einer grossen oder kleinen Platte vertheilt war.
Schliesst man mittelst der befeuchteten Finger eine constante galvanische Säule von
vielen Plattenpaaren, so empfindet man den Schmerz während ihrer Schliessung zu-
nächst nur an den Fingern; steigert man die Summe der Kettenglieder, so erstreckt
er sich auch gegen den Arm in der Art, dass er an der Hand schwach, am Handge-
lenke stark, am Vorderarm schwach, am Ellbogengelenk wieder stark auftritt. Die
Ursache dieser Erscheinungsreihe sucht man darin, dass der electrische Strom an
den schmerzenden Stellen dichter ist; man vermuthet aber eine grössere Dichtigkeit,
weil man einzelne Bestandtheile der Gelenke (Knorpel oder andere) für schlech-
tere Leiter ansieht, als die Haut, Knochen und Muskeln.

b. Chemische Atome; von ihren schmerzerregenden Eigenschaften
ist nur bekannt, dass die verschiedensten Stoffe und Verwandtschafts-
kategorien, nämlich alle Arten von Säuren, Alkalien, Salze, Alkohol,
gepaarte Basen etc., im Stande sind Schmerzen zu erregen, wenn sie
in einiger Conzentration auf den Nerven wirken. —

c. Temperaturen. Die Zunahme sowohl als die Abnahme der nor-
malen Körpertemperatur bedingt bekanntlich Schmerzempfindung,

*) Du Bois-Reymond 283 und 354.
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[298/0312] Erreger des Schmerzes. Electricität. lungen der empfindenden Oertlichkeit veranlassen; darum nennt man ihre Empfindungen auch wohl Allgemeingefühl im Gegensatz zu den deutlicheren Gefühlen des Druck-, Tast- und Temperatursinnes. — A. Schmerz, Gemeingefühl. Zur Schmerzempfindung sind alle Orte befähigt, in welchen sich Enden und Stämme der oben erwähnten Nerven finden; da er nicht der Art, sondern einzig der Stärke nach veränderlich ist, so beziehen sich unsere Betrachtungen auch zunächst nur hierauf. 1. Erreger. a. Elektrizität; *) sie erzeugt sowohl als constanter galvanischer, wie als schwankender oder momentaner Strom (In- duktions- und Reibungselektrizität) Schmerzen; mit Rücksicht auf den Nerven ausgedrückt, begleitet also nicht allein die negative Schwankung, sondern auch die dipolare Anordnung seiner Molekeln den Schmerz. — In dem ersten Falle wächst der Schmerz mit der Stärke und Dichtigkeit des Stroms, und im zweiten mit der Grösse der Schwankung, d. h. mit der in der Zeiteinheit sich abgleichenden Elek- trizitätsmenge. — Die Stärke des Schmerzes, welchen die Schliessung und Oeffnung der Kette, oder ein elektrischer Funke erzeugt, ist im- mer beträchtlicher als diejenige, welche von der geschlossenen Kette abhängt. Innerhalb dieser letztern tritt der Schmerz vorzugsweise an der Körperstelle auf, die vom negativen Pol berührt wird. Mit je mehr Funken man eine mit Stanniol überzogene Glasplatte lädet, um so schmerzhafter wird der Schlag, welchen sie bei der Berührung ertheilt. Wenn man zwei Platten von ungleicher Grösse so mit Electrizität füllt, dass die Spannung in beiden gleich ist, mit andern Worten, dass das Verhältniss zwischen der aufgehäuf- ten Elektrizität und der Oberfläche der Platten in beiden dasselbe ist, so schlägt die grössere Platte stärker als die kleinere. Hieraus folgt auch erfahrungsgemäss, dass Elektrizität von demselben Spannungsgrade einen Schlag mitzutheilen oder nicht mitzutheilen vermag, je nachdem sie auf einer grossen oder kleinen Platte vertheilt war. Schliesst man mittelst der befeuchteten Finger eine constante galvanische Säule von vielen Plattenpaaren, so empfindet man den Schmerz während ihrer Schliessung zu- nächst nur an den Fingern; steigert man die Summe der Kettenglieder, so erstreckt er sich auch gegen den Arm in der Art, dass er an der Hand schwach, am Handge- lenke stark, am Vorderarm schwach, am Ellbogengelenk wieder stark auftritt. Die Ursache dieser Erscheinungsreihe sucht man darin, dass der electrische Strom an den schmerzenden Stellen dichter ist; man vermuthet aber eine grössere Dichtigkeit, weil man einzelne Bestandtheile der Gelenke (Knorpel oder andere) für schlech- tere Leiter ansieht, als die Haut, Knochen und Muskeln. b. Chemische Atome; von ihren schmerzerregenden Eigenschaften ist nur bekannt, dass die verschiedensten Stoffe und Verwandtschafts- kategorien, nämlich alle Arten von Säuren, Alkalien, Salze, Alkohol, gepaarte Basen etc., im Stande sind Schmerzen zu erregen, wenn sie in einiger Conzentration auf den Nerven wirken. — c. Temperaturen. Die Zunahme sowohl als die Abnahme der nor- malen Körpertemperatur bedingt bekanntlich Schmerzempfindung, *) Du Bois-Reymond 283 und 354.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/312>, abgerufen am 25.04.2024.