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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Falscher und wahrer Geschmack.
Genuss aromatischer, ätherisch-öliger Mittel, z. B. des Knoblauchs,
des Zimmts, der Vanille u. s. w., die Nasenöffnungen mit dem Finger
schliesst. In dem Moment, in welchem dieses geschieht, wird auch
der aromatische Geschmack ausgelöscht, der aber zurückkehrt so wie
die Nase der Luftströmung wieder geöffnet ist. Brennende, kühlende
und schrumpfende Geschmäcke können aber gleichgut auf den Lippen,
dem Zahnfleisch, kurz in jeglichem Mundtheil hervorgerufen werden,
wie auf den Geschmacksflächen; Chevreul. Da man nun auch in
den physiologischen, den Geschmack betreffenden Untersuchungen
sehr häufig diesen Punkt vernachlässigte, so dürften in den folgenden
Mittheilungen öfter Unrichtigkeiten enthalten sein. Als Erreger der
Geschmacksempfindung zählen nun:

a. Galvanische Ströme *). Diese Strömung erregt an dem Orte
ihres Eintritts in die Geschmacksfläche eine saure und an dem des
Austritts entweder keine oder eine schwache kalische Empfindung,
eine Empfindung, welche nach Versuchen von Volta und Monro
unabhängig von den in dem galvanischen Strom erscheinenden elec-
trolytischen Produkten der Mundflüssigkeit ist. -- Ueber die beson-
dere Beziehung des Geschmacks zu der Richtung und Intensität der
Strömung gibt es bis dahin nur wenige Aufschlüsse; die in der Zunge
(von der Spitze zur Basis) aufsteigende Stromrichtung soll stärker
(oder sogar anders schmeckend?) wirken, als die absteigende;
Pfaff. Obwohl der Geschmack während der ganzen Dauer einer
geschlossenen Kette anhält, so sollen doch Schwankungen in der
Intensität des Stroms wie namentlich das Oeffnen desselben eine Ver-
stärkung erzeugen; Ritter und Lehot.

Legt man einen metallischen Bogen aus Kupfer und Zink an die Zunge, so dass
das Zink die Zungenspitze und das Kupfer den Zungenrücken berührt, so entwickelt
sich deutlich saurer Geschmack am Zink; da hier nun auch aus dem Speichel Säure
ausgeschieden wird, welche diese Empfindung hätte erzeugen können, so muss, wenn
gezeigt werden soll, dass der Strom geradezu, d. h. unabhängig von den Zersez-
zungsprodukten die Empfindung erregt, in die Umgebung des Zinkpoles eine alka-
lische Flüssigkeit gebracht werden, in welche die Zunge getaucht wird. Volta, der
diese Modifikation des Versuchs ausführte, erhielt dann ebenfalls noch den sauren
Geschmack. Andere beweisende Versuche siehe noch bei du Bois. -- Dieser Ge-
schmackserreger bedarf neuer Untersuchungen.

b. Eine gewisse Zahl von Flüssigkeiten gehört ebenfalls zu den
Geschmackserregern; ihr allgemeines Merkmal, den geschmacklosen
Flüssigkeiten gegenüber, ist unbekannt.

A. Die Art der Empfindung. a) Zunächst ist diese bestimmt von
der chemischen Natur der Flüssigkeit; unter dieser ist hier jedoch keines-
wegs die Qualität und Quantität der Atome, aus der das Schmeckbare

*) du Bois-Reymond l. c. 1. Bd. p. 287 Anmerk. u. p. 339.

Falscher und wahrer Geschmack.
Genuss aromatischer, ätherisch-öliger Mittel, z. B. des Knoblauchs,
des Zimmts, der Vanille u. s. w., die Nasenöffnungen mit dem Finger
schliesst. In dem Moment, in welchem dieses geschieht, wird auch
der aromatische Geschmack ausgelöscht, der aber zurückkehrt so wie
die Nase der Luftströmung wieder geöffnet ist. Brennende, kühlende
und schrumpfende Geschmäcke können aber gleichgut auf den Lippen,
dem Zahnfleisch, kurz in jeglichem Mundtheil hervorgerufen werden,
wie auf den Geschmacksflächen; Chevreul. Da man nun auch in
den physiologischen, den Geschmack betreffenden Untersuchungen
sehr häufig diesen Punkt vernachlässigte, so dürften in den folgenden
Mittheilungen öfter Unrichtigkeiten enthalten sein. Als Erreger der
Geschmacksempfindung zählen nun:

a. Galvanische Ströme *). Diese Strömung erregt an dem Orte
ihres Eintritts in die Geschmacksfläche eine saure und an dem des
Austritts entweder keine oder eine schwache kalische Empfindung,
eine Empfindung, welche nach Versuchen von Volta und Monro
unabhängig von den in dem galvanischen Strom erscheinenden elec-
trolytischen Produkten der Mundflüssigkeit ist. — Ueber die beson-
dere Beziehung des Geschmacks zu der Richtung und Intensität der
Strömung gibt es bis dahin nur wenige Aufschlüsse; die in der Zunge
(von der Spitze zur Basis) aufsteigende Stromrichtung soll stärker
(oder sogar anders schmeckend?) wirken, als die absteigende;
Pfaff. Obwohl der Geschmack während der ganzen Dauer einer
geschlossenen Kette anhält, so sollen doch Schwankungen in der
Intensität des Stroms wie namentlich das Oeffnen desselben eine Ver-
stärkung erzeugen; Ritter und Lehot.

Legt man einen metallischen Bogen aus Kupfer und Zink an die Zunge, so dass
das Zink die Zungenspitze und das Kupfer den Zungenrücken berührt, so entwickelt
sich deutlich saurer Geschmack am Zink; da hier nun auch aus dem Speichel Säure
ausgeschieden wird, welche diese Empfindung hätte erzeugen können, so muss, wenn
gezeigt werden soll, dass der Strom geradezu, d. h. unabhängig von den Zersez-
zungsprodukten die Empfindung erregt, in die Umgebung des Zinkpoles eine alka-
lische Flüssigkeit gebracht werden, in welche die Zunge getaucht wird. Volta, der
diese Modifikation des Versuchs ausführte, erhielt dann ebenfalls noch den sauren
Geschmack. Andere beweisende Versuche siehe noch bei du Bois. — Dieser Ge-
schmackserreger bedarf neuer Untersuchungen.

b. Eine gewisse Zahl von Flüssigkeiten gehört ebenfalls zu den
Geschmackserregern; ihr allgemeines Merkmal, den geschmacklosen
Flüssigkeiten gegenüber, ist unbekannt.

A. Die Art der Empfindung. α) Zunächst ist diese bestimmt von
der chemischen Natur der Flüssigkeit; unter dieser ist hier jedoch keines-
wegs die Qualität und Quantität der Atome, aus der das Schmeckbare

*) du Bois-Reymond l. c. 1. Bd. p. 287 Anmerk. u. p. 339.
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[294/0308] Falscher und wahrer Geschmack. Genuss aromatischer, ätherisch-öliger Mittel, z. B. des Knoblauchs, des Zimmts, der Vanille u. s. w., die Nasenöffnungen mit dem Finger schliesst. In dem Moment, in welchem dieses geschieht, wird auch der aromatische Geschmack ausgelöscht, der aber zurückkehrt so wie die Nase der Luftströmung wieder geöffnet ist. Brennende, kühlende und schrumpfende Geschmäcke können aber gleichgut auf den Lippen, dem Zahnfleisch, kurz in jeglichem Mundtheil hervorgerufen werden, wie auf den Geschmacksflächen; Chevreul. Da man nun auch in den physiologischen, den Geschmack betreffenden Untersuchungen sehr häufig diesen Punkt vernachlässigte, so dürften in den folgenden Mittheilungen öfter Unrichtigkeiten enthalten sein. Als Erreger der Geschmacksempfindung zählen nun: a. Galvanische Ströme *). Diese Strömung erregt an dem Orte ihres Eintritts in die Geschmacksfläche eine saure und an dem des Austritts entweder keine oder eine schwache kalische Empfindung, eine Empfindung, welche nach Versuchen von Volta und Monro unabhängig von den in dem galvanischen Strom erscheinenden elec- trolytischen Produkten der Mundflüssigkeit ist. — Ueber die beson- dere Beziehung des Geschmacks zu der Richtung und Intensität der Strömung gibt es bis dahin nur wenige Aufschlüsse; die in der Zunge (von der Spitze zur Basis) aufsteigende Stromrichtung soll stärker (oder sogar anders schmeckend?) wirken, als die absteigende; Pfaff. Obwohl der Geschmack während der ganzen Dauer einer geschlossenen Kette anhält, so sollen doch Schwankungen in der Intensität des Stroms wie namentlich das Oeffnen desselben eine Ver- stärkung erzeugen; Ritter und Lehot. Legt man einen metallischen Bogen aus Kupfer und Zink an die Zunge, so dass das Zink die Zungenspitze und das Kupfer den Zungenrücken berührt, so entwickelt sich deutlich saurer Geschmack am Zink; da hier nun auch aus dem Speichel Säure ausgeschieden wird, welche diese Empfindung hätte erzeugen können, so muss, wenn gezeigt werden soll, dass der Strom geradezu, d. h. unabhängig von den Zersez- zungsprodukten die Empfindung erregt, in die Umgebung des Zinkpoles eine alka- lische Flüssigkeit gebracht werden, in welche die Zunge getaucht wird. Volta, der diese Modifikation des Versuchs ausführte, erhielt dann ebenfalls noch den sauren Geschmack. Andere beweisende Versuche siehe noch bei du Bois. — Dieser Ge- schmackserreger bedarf neuer Untersuchungen. b. Eine gewisse Zahl von Flüssigkeiten gehört ebenfalls zu den Geschmackserregern; ihr allgemeines Merkmal, den geschmacklosen Flüssigkeiten gegenüber, ist unbekannt. A. Die Art der Empfindung. α) Zunächst ist diese bestimmt von der chemischen Natur der Flüssigkeit; unter dieser ist hier jedoch keines- wegs die Qualität und Quantität der Atome, aus der das Schmeckbare *) du Bois-Reymond l. c. 1. Bd. p. 287 Anmerk. u. p. 339.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/308>, abgerufen am 19.04.2024.