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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Beharrung, Nachaussensetzen, Verknüpfung der Gerüche.

Den Einfluss der Richtung und Stärke der Luftströmung auf den Geruch hat be-
sonders Bidder *) behandelt; er zeigte, dass beim Fehlen der untern Nasenmuschel,
also bei mangelnder Beengung der Stromröhre, der Geruch abgeschwächt wird:
ferner dass beim Anblasen von riechenden Substanzen gegen die Riechflächen die
Empfindung fehlt oder schwach wird; ferner dass der in die Nasenhöhle ge-
haltene Kampfer, während des Anhaltens der Athmung einen sehr schwachen Geruch
gibt, der sich aber sogleich beim Einziehen von Luft steigert, und endlich dass, wenn
man Kampfer in die Mundhöhle bringt und gleichzeitig durch die Nase die Luft
ausstösst, eine nur schwache Empfindung auftritt.

4. Der Zeitraum, welcher verfliesst, bevor die Geruchsempfindung
erscheint nach dem Einbringen eines riechenden Luftstromes in die
Nase, ist noch nicht bestimmt; eben so wenig als die Dauer der Em-
pfindung nach Entfernung der Riechstoffe und die Geschwindigkeit,
mit der im Geruchsorgan die Empfindung wechseln kann. Wir haben
Ursache, zu vermuthen, dass alle diese Zeiträume einen verhältniss-
mässig beträchtlichen Werth besitzen.

5. Das Objekt der Geruchsempfindung legt die Seele geradezu in
den Luftstrom, welcher in die Nase dringt; insofern wir im Stande
sind, die örtlichen Verhältnisse dieses zu schätzen, vermögen wir auch
den Ort und die Richtung im Gange des Riechstoffes durch die Nase
zu bestimmen.

6. Vermischung der Geruchsempfindung zweier verschiedener
Riechstellen, und der Gerüche mit Gefühls- und Geschmacksempfin-
dungen. -- a) Strömt in jedes der beiden Nasenlöcher gleichzeitig
ein verschiedener Geruch, so vereinigen sich, nach Valentin, die
beiden Gerüche nicht zu einem mittleren, sondern es entsteht ein
wechselndes Eintreten bald des einen und bald des andern Geruchs
in die Empfindung. -- b) Gefühle und Gerüche, die von ein und
derselben Substanz in der Nase erweckt werden, combiniren sich
dagegen zu einer zusammengesetzten Empfindung; Beispiele hierfür
bieten die zugleich riechenden und ätzenden Stoffe wie das Ammoniak,
die Essigsäure u. s. w. Man empfindet in der That die Wirkungen zum
Theil wenigstens gesondert, wenn man die erwähnten Substanzen bei
angehaltenem Athem in die Nase bringt; sie ätzen dann den n. trige-
minus und regen zugleich die von ihm abhängigen Reflexe (Thränenlau-
fen, Niessen) an, ohne dass wir die Substanzen riechen, Bidder.
g) Eben so häufig verschmelzen Geruch- und Geschmackempfindungen
zu einer einzigen; wir werden beim Geschmack hierauf zurückkommen.

7. Wie sich unmittelbar mit den Empfindungen des n. opticus
Raum- und mit denen des n. acusticus Zeitvorstellungen ver-
knüpfen, so verbindet sich die Geruchsempfindung gewöhnlich mit
einer leidenschaftlichen Stimmung, welche sich entweder begehrend
oder abstossend gegen das Geruch ausströmende Objekt verhält; die-

*) Wagners Handwörterbuch II. Bd. p. 920. Siehe jedoch auch Longet, Traite de physiologie.
Paris 1850. p. 159 u. f.
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Beharrung, Nachaussensetzen, Verknüpfung der Gerüche.

Den Einfluss der Richtung und Stärke der Luftströmung auf den Geruch hat be-
sonders Bidder *) behandelt; er zeigte, dass beim Fehlen der untern Nasenmuschel,
also bei mangelnder Beengung der Stromröhre, der Geruch abgeschwächt wird:
ferner dass beim Anblasen von riechenden Substanzen gegen die Riechflächen die
Empfindung fehlt oder schwach wird; ferner dass der in die Nasenhöhle ge-
haltene Kampfer, während des Anhaltens der Athmung einen sehr schwachen Geruch
gibt, der sich aber sogleich beim Einziehen von Luft steigert, und endlich dass, wenn
man Kampfer in die Mundhöhle bringt und gleichzeitig durch die Nase die Luft
ausstösst, eine nur schwache Empfindung auftritt.

4. Der Zeitraum, welcher verfliesst, bevor die Geruchsempfindung
erscheint nach dem Einbringen eines riechenden Luftstromes in die
Nase, ist noch nicht bestimmt; eben so wenig als die Dauer der Em-
pfindung nach Entfernung der Riechstoffe und die Geschwindigkeit,
mit der im Geruchsorgan die Empfindung wechseln kann. Wir haben
Ursache, zu vermuthen, dass alle diese Zeiträume einen verhältniss-
mässig beträchtlichen Werth besitzen.

5. Das Objekt der Geruchsempfindung legt die Seele geradezu in
den Luftstrom, welcher in die Nase dringt; insofern wir im Stande
sind, die örtlichen Verhältnisse dieses zu schätzen, vermögen wir auch
den Ort und die Richtung im Gange des Riechstoffes durch die Nase
zu bestimmen.

6. Vermischung der Geruchsempfindung zweier verschiedener
Riechstellen, und der Gerüche mit Gefühls- und Geschmacksempfin-
dungen. — α) Strömt in jedes der beiden Nasenlöcher gleichzeitig
ein verschiedener Geruch, so vereinigen sich, nach Valentin, die
beiden Gerüche nicht zu einem mittleren, sondern es entsteht ein
wechselndes Eintreten bald des einen und bald des andern Geruchs
in die Empfindung. — β) Gefühle und Gerüche, die von ein und
derselben Substanz in der Nase erweckt werden, combiniren sich
dagegen zu einer zusammengesetzten Empfindung; Beispiele hierfür
bieten die zugleich riechenden und ätzenden Stoffe wie das Ammoniak,
die Essigsäure u. s. w. Man empfindet in der That die Wirkungen zum
Theil wenigstens gesondert, wenn man die erwähnten Substanzen bei
angehaltenem Athem in die Nase bringt; sie ätzen dann den n. trige-
minus und regen zugleich die von ihm abhängigen Reflexe (Thränenlau-
fen, Niessen) an, ohne dass wir die Substanzen riechen, Bidder.
γ) Eben so häufig verschmelzen Geruch- und Geschmackempfindungen
zu einer einzigen; wir werden beim Geschmack hierauf zurückkommen.

7. Wie sich unmittelbar mit den Empfindungen des n. opticus
Raum- und mit denen des n. acusticus Zeitvorstellungen ver-
knüpfen, so verbindet sich die Geruchsempfindung gewöhnlich mit
einer leidenschaftlichen Stimmung, welche sich entweder begehrend
oder abstossend gegen das Geruch ausströmende Objekt verhält; die-

*) Wagners Handwörterbuch II. Bd. p. 920. Siehe jedoch auch Longet, Traité de physiologie.
Paris 1850. p. 159 u. f.
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[291/0305] Beharrung, Nachaussensetzen, Verknüpfung der Gerüche. Den Einfluss der Richtung und Stärke der Luftströmung auf den Geruch hat be- sonders Bidder *) behandelt; er zeigte, dass beim Fehlen der untern Nasenmuschel, also bei mangelnder Beengung der Stromröhre, der Geruch abgeschwächt wird: ferner dass beim Anblasen von riechenden Substanzen gegen die Riechflächen die Empfindung fehlt oder schwach wird; ferner dass der in die Nasenhöhle ge- haltene Kampfer, während des Anhaltens der Athmung einen sehr schwachen Geruch gibt, der sich aber sogleich beim Einziehen von Luft steigert, und endlich dass, wenn man Kampfer in die Mundhöhle bringt und gleichzeitig durch die Nase die Luft ausstösst, eine nur schwache Empfindung auftritt. 4. Der Zeitraum, welcher verfliesst, bevor die Geruchsempfindung erscheint nach dem Einbringen eines riechenden Luftstromes in die Nase, ist noch nicht bestimmt; eben so wenig als die Dauer der Em- pfindung nach Entfernung der Riechstoffe und die Geschwindigkeit, mit der im Geruchsorgan die Empfindung wechseln kann. Wir haben Ursache, zu vermuthen, dass alle diese Zeiträume einen verhältniss- mässig beträchtlichen Werth besitzen. 5. Das Objekt der Geruchsempfindung legt die Seele geradezu in den Luftstrom, welcher in die Nase dringt; insofern wir im Stande sind, die örtlichen Verhältnisse dieses zu schätzen, vermögen wir auch den Ort und die Richtung im Gange des Riechstoffes durch die Nase zu bestimmen. 6. Vermischung der Geruchsempfindung zweier verschiedener Riechstellen, und der Gerüche mit Gefühls- und Geschmacksempfin- dungen. — α) Strömt in jedes der beiden Nasenlöcher gleichzeitig ein verschiedener Geruch, so vereinigen sich, nach Valentin, die beiden Gerüche nicht zu einem mittleren, sondern es entsteht ein wechselndes Eintreten bald des einen und bald des andern Geruchs in die Empfindung. — β) Gefühle und Gerüche, die von ein und derselben Substanz in der Nase erweckt werden, combiniren sich dagegen zu einer zusammengesetzten Empfindung; Beispiele hierfür bieten die zugleich riechenden und ätzenden Stoffe wie das Ammoniak, die Essigsäure u. s. w. Man empfindet in der That die Wirkungen zum Theil wenigstens gesondert, wenn man die erwähnten Substanzen bei angehaltenem Athem in die Nase bringt; sie ätzen dann den n. trige- minus und regen zugleich die von ihm abhängigen Reflexe (Thränenlau- fen, Niessen) an, ohne dass wir die Substanzen riechen, Bidder. γ) Eben so häufig verschmelzen Geruch- und Geschmackempfindungen zu einer einzigen; wir werden beim Geschmack hierauf zurückkommen. 7. Wie sich unmittelbar mit den Empfindungen des n. opticus Raum- und mit denen des n. acusticus Zeitvorstellungen ver- knüpfen, so verbindet sich die Geruchsempfindung gewöhnlich mit einer leidenschaftlichen Stimmung, welche sich entweder begehrend oder abstossend gegen das Geruch ausströmende Objekt verhält; die- *) Wagners Handwörterbuch II. Bd. p. 920. Siehe jedoch auch Longet, Traité de physiologie. Paris 1850. p. 159 u. f. 19*

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/305>, abgerufen am 29.03.2024.