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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Klang; Untersuchung derselben mit der Sirene.
schiedenen Umständen innerhalb derselben Zeit auf eine unendlich
mannigfache Weise ihr Maximum erreichen und von demselben
absinken. Eine jede Veränderung in diesem Beschleunigungsge-
setz entspricht einer Veränderung der Empfindung, die wir den Klang
nennen, so dass ein Ton von derselben Höhe in unendlich verschie-
denen Klängen empfunden werden kann. Obwohl im Allgemeinen
durch E. H. und W. Weber, Cagnard Latour und Seebeck fest-
gestellt ist, dass der Klang aus dem Beschleunigungsgesetz der
Schwingung resultirt, so fehlt nun noch die Kenntniss der Beziehun-
gen beider und namentlich die Kenntniss der Grenzen zwischen Klang
und sogenannten Beitönen.

E. H. und W. Weber *) zeigten zuerst, dass eine gleich lange und gleich ge-
spannte Saite einen verschiedenen Klang desselben Tones gibt, je nachdem man sie
in der Mitte oder den Enden anzieht. -- An der Sirene fand Cagnard-Latour
den Ton mehr der Trompete, Oboe und Fagott oder der menschlichen Stimme ähn-
lich, je nachdem die Entfernung der Löcher zu ihrem Durchmesser in verschiedenem
Verhältniss stand. Seebeck **) brachte auf einer Sirene die Löcher von 1- bis 60-
fachem Abstand ihres Durchmessers an; in diesen Fällen wurden die einzelnen Stösse
durch eine verschieden lange Zeit der Ruhe von einander getrennt. Diese Methode der
Tonerzeugung hat den Vortheil, dass man sich eine ungefähre Vorstellung von der
Ab- und Zunahme in der Geschwindigkeit der schwingenden Theilchen bilden kann.
Denn stellen wir uns vor, die Röhre, mittelst welcher die Sirene angeblasen werde,
habe eine kreisförmige Mündung von gleich grossem Durchmesser, wie derjenige der
Sirenenlöcher, so wird offenbar beim allmäligen Vorübergehen eines Sirenenlochs vor
der Mündung der anblasenden Röhre die Beschleunigung der Luft wachsen von der be-
ginnenden Berührung der Grenzen beider Oeffnungen bis zum vollständigen Aufeinan-
derpassen und dann wird von diesem Punkt ab die Beschleunigung wieder abnehmen
bis die Mündung der anblasenden Röhre in dem Raume zwischen zwei Löchern anlangt,

[Abbildung] Fig. 77.
wo dieselbe ihr Minimum erreicht.
-- Stellen wir uns dieses graphisch
vor, in der Art, dass Fig. 77 die Linie
X die Zeit, die auf sie aufgetragene
die Beschleunigung der Luft bedeu-
ten, so wird, wenn bei a x zuerst die
Grenzen beider Mündungen sich be-
rühren und bei b x die Mündungen
sich verlassen, das Gesetz der Be-
schleunigungscurve im Allgemei-
nen wie gezeichnet, ausfallen.

Je nachdem nun die gleichgrossen Mündungen mehr oder weniger nahe an einander
stehen, wird ein Ton zusammengesetzt aus einer Reihe mehr oder weniger nahe zu-
sammenstehender Bogen. Seebeck beobachtete nun, dass die Tonhöhe unverän-
dert blieb, wenn nur in gleichen Zeiten gleichviel Stösse zum Ohr gelangten, dass
dagegen der Ton mehr pfeifenartig wurde, wenn die einzelnen Stösse rascher auf-
einander folgten, wie in A, B, C der Fig. 78, dass sie dagegen einen schnarrenden
Klang annahmen, wenn sie in grossen Entfernungen geschehen, wie in C, D, E.
Wie man sieht, eröffnet sich mit diesen Versuchen der Forschung ein reiches
Gebiet.

*) Wellenlehre p. 458.
**) Repertor. v. Dove VIII Bd. Akustik p. 1 u. f.

Klang; Untersuchung derselben mit der Sirene.
schiedenen Umständen innerhalb derselben Zeit auf eine unendlich
mannigfache Weise ihr Maximum erreichen und von demselben
absinken. Eine jede Veränderung in diesem Beschleunigungsge-
setz entspricht einer Veränderung der Empfindung, die wir den Klang
nennen, so dass ein Ton von derselben Höhe in unendlich verschie-
denen Klängen empfunden werden kann. Obwohl im Allgemeinen
durch E. H. und W. Weber, Cagnard Latour und Seebeck fest-
gestellt ist, dass der Klang aus dem Beschleunigungsgesetz der
Schwingung resultirt, so fehlt nun noch die Kenntniss der Beziehun-
gen beider und namentlich die Kenntniss der Grenzen zwischen Klang
und sogenannten Beitönen.

E. H. und W. Weber *) zeigten zuerst, dass eine gleich lange und gleich ge-
spannte Saite einen verschiedenen Klang desselben Tones gibt, je nachdem man sie
in der Mitte oder den Enden anzieht. — An der Sirene fand Cagnard-Latour
den Ton mehr der Trompete, Oboe und Fagott oder der menschlichen Stimme ähn-
lich, je nachdem die Entfernung der Löcher zu ihrem Durchmesser in verschiedenem
Verhältniss stand. Seebeck **) brachte auf einer Sirene die Löcher von 1- bis 60-
fachem Abstand ihres Durchmessers an; in diesen Fällen wurden die einzelnen Stösse
durch eine verschieden lange Zeit der Ruhe von einander getrennt. Diese Methode der
Tonerzeugung hat den Vortheil, dass man sich eine ungefähre Vorstellung von der
Ab- und Zunahme in der Geschwindigkeit der schwingenden Theilchen bilden kann.
Denn stellen wir uns vor, die Röhre, mittelst welcher die Sirene angeblasen werde,
habe eine kreisförmige Mündung von gleich grossem Durchmesser, wie derjenige der
Sirenenlöcher, so wird offenbar beim allmäligen Vorübergehen eines Sirenenlochs vor
der Mündung der anblasenden Röhre die Beschleunigung der Luft wachsen von der be-
ginnenden Berührung der Grenzen beider Oeffnungen bis zum vollständigen Aufeinan-
derpassen und dann wird von diesem Punkt ab die Beschleunigung wieder abnehmen
bis die Mündung der anblasenden Röhre in dem Raume zwischen zwei Löchern anlangt,

[Abbildung] Fig. 77.
wo dieselbe ihr Minimum erreicht.
— Stellen wir uns dieses graphisch
vor, in der Art, dass Fig. 77 die Linie
X die Zeit, die auf sie aufgetragene
die Beschleunigung der Luft bedeu-
ten, so wird, wenn bei a x zuerst die
Grenzen beider Mündungen sich be-
rühren und bei b x die Mündungen
sich verlassen, das Gesetz der Be-
schleunigungscurve im Allgemei-
nen wie gezeichnet, ausfallen.

Je nachdem nun die gleichgrossen Mündungen mehr oder weniger nahe an einander
stehen, wird ein Ton zusammengesetzt aus einer Reihe mehr oder weniger nahe zu-
sammenstehender Bogen. Seebeck beobachtete nun, dass die Tonhöhe unverän-
dert blieb, wenn nur in gleichen Zeiten gleichviel Stösse zum Ohr gelangten, dass
dagegen der Ton mehr pfeifenartig wurde, wenn die einzelnen Stösse rascher auf-
einander folgten, wie in A, B, C der Fig. 78, dass sie dagegen einen schnarrenden
Klang annahmen, wenn sie in grossen Entfernungen geschehen, wie in C, D, E.
Wie man sieht, eröffnet sich mit diesen Versuchen der Forschung ein reiches
Gebiet.

*) Wellenlehre p. 458.
**) Repertor. v. Dove VIII Bd. Akustik p. 1 u. f.
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[282/0296] Klang; Untersuchung derselben mit der Sirene. schiedenen Umständen innerhalb derselben Zeit auf eine unendlich mannigfache Weise ihr Maximum erreichen und von demselben absinken. Eine jede Veränderung in diesem Beschleunigungsge- setz entspricht einer Veränderung der Empfindung, die wir den Klang nennen, so dass ein Ton von derselben Höhe in unendlich verschie- denen Klängen empfunden werden kann. Obwohl im Allgemeinen durch E. H. und W. Weber, Cagnard Latour und Seebeck fest- gestellt ist, dass der Klang aus dem Beschleunigungsgesetz der Schwingung resultirt, so fehlt nun noch die Kenntniss der Beziehun- gen beider und namentlich die Kenntniss der Grenzen zwischen Klang und sogenannten Beitönen. E. H. und W. Weber *) zeigten zuerst, dass eine gleich lange und gleich ge- spannte Saite einen verschiedenen Klang desselben Tones gibt, je nachdem man sie in der Mitte oder den Enden anzieht. — An der Sirene fand Cagnard-Latour den Ton mehr der Trompete, Oboe und Fagott oder der menschlichen Stimme ähn- lich, je nachdem die Entfernung der Löcher zu ihrem Durchmesser in verschiedenem Verhältniss stand. Seebeck **) brachte auf einer Sirene die Löcher von 1- bis 60- fachem Abstand ihres Durchmessers an; in diesen Fällen wurden die einzelnen Stösse durch eine verschieden lange Zeit der Ruhe von einander getrennt. Diese Methode der Tonerzeugung hat den Vortheil, dass man sich eine ungefähre Vorstellung von der Ab- und Zunahme in der Geschwindigkeit der schwingenden Theilchen bilden kann. Denn stellen wir uns vor, die Röhre, mittelst welcher die Sirene angeblasen werde, habe eine kreisförmige Mündung von gleich grossem Durchmesser, wie derjenige der Sirenenlöcher, so wird offenbar beim allmäligen Vorübergehen eines Sirenenlochs vor der Mündung der anblasenden Röhre die Beschleunigung der Luft wachsen von der be- ginnenden Berührung der Grenzen beider Oeffnungen bis zum vollständigen Aufeinan- derpassen und dann wird von diesem Punkt ab die Beschleunigung wieder abnehmen bis die Mündung der anblasenden Röhre in dem Raume zwischen zwei Löchern anlangt, [Abbildung Fig. 77.] wo dieselbe ihr Minimum erreicht. — Stellen wir uns dieses graphisch vor, in der Art, dass Fig. 77 die Linie X die Zeit, die auf sie aufgetragene die Beschleunigung der Luft bedeu- ten, so wird, wenn bei a x zuerst die Grenzen beider Mündungen sich be- rühren und bei b x die Mündungen sich verlassen, das Gesetz der Be- schleunigungscurve im Allgemei- nen wie gezeichnet, ausfallen. Je nachdem nun die gleichgrossen Mündungen mehr oder weniger nahe an einander stehen, wird ein Ton zusammengesetzt aus einer Reihe mehr oder weniger nahe zu- sammenstehender Bogen. Seebeck beobachtete nun, dass die Tonhöhe unverän- dert blieb, wenn nur in gleichen Zeiten gleichviel Stösse zum Ohr gelangten, dass dagegen der Ton mehr pfeifenartig wurde, wenn die einzelnen Stösse rascher auf- einander folgten, wie in A, B, C der Fig. 78, dass sie dagegen einen schnarrenden Klang annahmen, wenn sie in grossen Entfernungen geschehen, wie in C, D, E. Wie man sieht, eröffnet sich mit diesen Versuchen der Forschung ein reiches Gebiet. *) Wellenlehre p. 458. **) Repertor. v. Dove VIII Bd. Akustik p. 1 u. f.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/296>, abgerufen am 19.04.2024.