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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Tonhöhe; Grenzen der Tonreihe; Klang.
die Summe der Perioden, welche in der Zeiteinheit abläuft. Für die
Tonhöhe ist das Beschleunigungsgesetz, welches die einzelne Schwin-
gung beherrscht, vollkommen gleichgiltig; so werden z. B. die in der
Fig. 76 verzeichneten Curven A, B, C, deren Abszisse x die Zeit und
[Abbildung] Fig. 76.
deren Ordinaten y die in
den verschiedenen Zeiten
vorhandenen Geschwindig-
keiten des schwingen-
den Theilchens bedeuten,
sämmtlich den Eindruck
gleicher Tonhöhe machen,
weil die Zeiten von 0 bis 1
von 1 bis 2 und von 2 bis 3 einander gleich sind.

Die Tonreihe hat ihre obere (?) und untere Grenze, d. h. wenn
eine Periode ein gewisses Zeitmaass übersteigt, oder ein anderes Zeit-
maass nicht erreicht, so erweckt sie uns keine Tonempfindung mehr.
Mit einiger Willkür hat man festgesetzt, dass eine Schwingung, deren
Periode länger als [Formel 1] Sec. und kürzer als [Formel 2] Sec. dauert, keine
tonerzeugende Kraft mehr besitzt. Diese Annahme ist insofern will-
kürlich, als die Grenzen für verschiedene Menschen ganz verschieden
liegen; zudem ist nicht ermittelt ob die Gründe für das Verschwinden
der Hörbarkeit in den Nerven oder in den schallleitenden Gehörwerk-
zeugen liegen. -- Bemerkenswerth ist, dass innerhalb dieser Grenzen
je nach den Zahlenverhältnissen, welche zwischen den Schwingungs-
zeiten der Töne bestehen, diese letzteren gewisse Analogien in der
Empfindung besitzen.

Der Beweis für die Richtigkeit der vorgetragenen Behauptungen wird durch die
in allen Lehrbüchern der Physik beschriebene Sirene oder das Savart'sche Zahn-
rad geliefert. -- Weit ansprechender für die physiologische Bestimmung des Tons
würde es sein, wenn man ihn als das Maass für die Dauer einer abgelaufenen
Schwingung bezeichnete. Dieses ist aber nicht erlaubt, da man nach den Versuchen
von Seebeck *) auch die Zwischenzeit zweier Perioden, in denen die Bewegung selbst
sehr kurze Zeit hindurch (so z. B. gegen Ende von B in Fig. 76) Null sein kann mit in
die Bestimmung des Tons aufnehmen muss; ja was noch merkwürdiger, selbst wenn
die Geschwindigkeit von einem Maximum, wie in C bei a um ein nicht unbeträchtliches
absinkt und eine neue Steigerung bei b erfährt, so fassen wir doch beide Steigerungen
in einen Ton zusammen **). Demgemäss muss also die Bewegung schon eine gewisse
endliche Zeit auf das Ohr eingewirkt haben, ehe wir die Empfindung des Tons erhal-
ten, was sich in noch ungelöstem Widerspruch befindet mit der Thatsache, dass wir
mit dem Moment des Eintretens der tonerzeugenden Bewegung schon ein Urtheil über
die Tonhöhe bilden.

b. Veränderung der Empfindung je nach dem Gesetz der
Beschleunigung, welches die Schwingung beherrscht, Klang, Ton-
qualität. Die schwingende Bewegung kann begreiflich je nach ver-

*) Dove Repertor. d. Physik. VI u. VIII. Akustik.
**) Seebeck l. c. VI. p. 7. -- S. auch Savarts Versuche mit dem Zahnrad. Annales d. chim. et
phys. 44. u. 47. Bd.

Tonhöhe; Grenzen der Tonreihe; Klang.
die Summe der Perioden, welche in der Zeiteinheit abläuft. Für die
Tonhöhe ist das Beschleunigungsgesetz, welches die einzelne Schwin-
gung beherrscht, vollkommen gleichgiltig; so werden z. B. die in der
Fig. 76 verzeichneten Curven A, B, C, deren Abszisse x die Zeit und
[Abbildung] Fig. 76.
deren Ordinaten y die in
den verschiedenen Zeiten
vorhandenen Geschwindig-
keiten des schwingen-
den Theilchens bedeuten,
sämmtlich den Eindruck
gleicher Tonhöhe machen,
weil die Zeiten von 0 bis 1
von 1 bis 2 und von 2 bis 3 einander gleich sind.

Die Tonreihe hat ihre obere (?) und untere Grenze, d. h. wenn
eine Periode ein gewisses Zeitmaass übersteigt, oder ein anderes Zeit-
maass nicht erreicht, so erweckt sie uns keine Tonempfindung mehr.
Mit einiger Willkür hat man festgesetzt, dass eine Schwingung, deren
Periode länger als [Formel 1] Sec. und kürzer als [Formel 2] Sec. dauert, keine
tonerzeugende Kraft mehr besitzt. Diese Annahme ist insofern will-
kürlich, als die Grenzen für verschiedene Menschen ganz verschieden
liegen; zudem ist nicht ermittelt ob die Gründe für das Verschwinden
der Hörbarkeit in den Nerven oder in den schallleitenden Gehörwerk-
zeugen liegen. — Bemerkenswerth ist, dass innerhalb dieser Grenzen
je nach den Zahlenverhältnissen, welche zwischen den Schwingungs-
zeiten der Töne bestehen, diese letzteren gewisse Analogien in der
Empfindung besitzen.

Der Beweis für die Richtigkeit der vorgetragenen Behauptungen wird durch die
in allen Lehrbüchern der Physik beschriebene Sirene oder das Savart’sche Zahn-
rad geliefert. — Weit ansprechender für die physiologische Bestimmung des Tons
würde es sein, wenn man ihn als das Maass für die Dauer einer abgelaufenen
Schwingung bezeichnete. Dieses ist aber nicht erlaubt, da man nach den Versuchen
von Seebeck *) auch die Zwischenzeit zweier Perioden, in denen die Bewegung selbst
sehr kurze Zeit hindurch (so z. B. gegen Ende von B in Fig. 76) Null sein kann mit in
die Bestimmung des Tons aufnehmen muss; ja was noch merkwürdiger, selbst wenn
die Geschwindigkeit von einem Maximum, wie in C bei a um ein nicht unbeträchtliches
absinkt und eine neue Steigerung bei b erfährt, so fassen wir doch beide Steigerungen
in einen Ton zusammen **). Demgemäss muss also die Bewegung schon eine gewisse
endliche Zeit auf das Ohr eingewirkt haben, ehe wir die Empfindung des Tons erhal-
ten, was sich in noch ungelöstem Widerspruch befindet mit der Thatsache, dass wir
mit dem Moment des Eintretens der tonerzeugenden Bewegung schon ein Urtheil über
die Tonhöhe bilden.

b. Veränderung der Empfindung je nach dem Gesetz der
Beschleunigung, welches die Schwingung beherrscht, Klang, Ton-
qualität. Die schwingende Bewegung kann begreiflich je nach ver-

*) Dove Repertor. d. Physik. VI u. VIII. Akustik.
**) Seebeck l. c. VI. p. 7. — S. auch Savarts Versuche mit dem Zahnrad. Annales d. chim. et
phys. 44. u. 47. Bd.
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[281/0295] Tonhöhe; Grenzen der Tonreihe; Klang. die Summe der Perioden, welche in der Zeiteinheit abläuft. Für die Tonhöhe ist das Beschleunigungsgesetz, welches die einzelne Schwin- gung beherrscht, vollkommen gleichgiltig; so werden z. B. die in der Fig. 76 verzeichneten Curven A, B, C, deren Abszisse x die Zeit und [Abbildung Fig. 76.] deren Ordinaten y die in den verschiedenen Zeiten vorhandenen Geschwindig- keiten des schwingen- den Theilchens bedeuten, sämmtlich den Eindruck gleicher Tonhöhe machen, weil die Zeiten von 0 bis 1 von 1 bis 2 und von 2 bis 3 einander gleich sind. Die Tonreihe hat ihre obere (?) und untere Grenze, d. h. wenn eine Periode ein gewisses Zeitmaass übersteigt, oder ein anderes Zeit- maass nicht erreicht, so erweckt sie uns keine Tonempfindung mehr. Mit einiger Willkür hat man festgesetzt, dass eine Schwingung, deren Periode länger als [FORMEL] Sec. und kürzer als [FORMEL] Sec. dauert, keine tonerzeugende Kraft mehr besitzt. Diese Annahme ist insofern will- kürlich, als die Grenzen für verschiedene Menschen ganz verschieden liegen; zudem ist nicht ermittelt ob die Gründe für das Verschwinden der Hörbarkeit in den Nerven oder in den schallleitenden Gehörwerk- zeugen liegen. — Bemerkenswerth ist, dass innerhalb dieser Grenzen je nach den Zahlenverhältnissen, welche zwischen den Schwingungs- zeiten der Töne bestehen, diese letzteren gewisse Analogien in der Empfindung besitzen. Der Beweis für die Richtigkeit der vorgetragenen Behauptungen wird durch die in allen Lehrbüchern der Physik beschriebene Sirene oder das Savart’sche Zahn- rad geliefert. — Weit ansprechender für die physiologische Bestimmung des Tons würde es sein, wenn man ihn als das Maass für die Dauer einer abgelaufenen Schwingung bezeichnete. Dieses ist aber nicht erlaubt, da man nach den Versuchen von Seebeck *) auch die Zwischenzeit zweier Perioden, in denen die Bewegung selbst sehr kurze Zeit hindurch (so z. B. gegen Ende von B in Fig. 76) Null sein kann mit in die Bestimmung des Tons aufnehmen muss; ja was noch merkwürdiger, selbst wenn die Geschwindigkeit von einem Maximum, wie in C bei a um ein nicht unbeträchtliches absinkt und eine neue Steigerung bei b erfährt, so fassen wir doch beide Steigerungen in einen Ton zusammen **). Demgemäss muss also die Bewegung schon eine gewisse endliche Zeit auf das Ohr eingewirkt haben, ehe wir die Empfindung des Tons erhal- ten, was sich in noch ungelöstem Widerspruch befindet mit der Thatsache, dass wir mit dem Moment des Eintretens der tonerzeugenden Bewegung schon ein Urtheil über die Tonhöhe bilden. b. Veränderung der Empfindung je nach dem Gesetz der Beschleunigung, welches die Schwingung beherrscht, Klang, Ton- qualität. Die schwingende Bewegung kann begreiflich je nach ver- *) Dove Repertor. d. Physik. VI u. VIII. Akustik. **) Seebeck l. c. VI. p. 7. — S. auch Savarts Versuche mit dem Zahnrad. Annales d. chim. et phys. 44. u. 47. Bd.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/295>, abgerufen am 28.03.2024.