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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Andere Hilfsmittel zur Schätzung der Entfernung.
werden kann, wenn man den fixirten Gegenstand auf einen andern von regel-
mässig wiederkehrendem Muster hält; denn nur dann ist es möglich, dass sich auch
[Abbildung] Fig. 69.
ohne Kreuzung der
Sehachsen in der
Ebene des Musters
auf identischen Netz-
hautstellen entspre-
chende Abschnitte
desselben abbilden,
die zu einem Bilde zu-
sammengelegt wer-
den können. So sol-
len in der Figur die
kleinen Kreise das
regelmässig wieder-
kehrende Muster dar-
stellen. Wird nun ein
Punkt A jenseits, oder
ein Punkt B diesseits
desselben fixirt, so
fallen auch immer
ungefähr zusammen-
passende Abschnitte
der Kreise, die in der
Vorstellung leicht zu einem zusammengelegt werden können auf identische Netzhaut-
stellen. Beim Fixiren des Punktes A rückt also das Muster nach A und wird, wie aus
früheren Darstellungen folgt, grösser; bei scharfem Betrachten von B stellt sich
das Muster, indem es zugleich kleiner wird, näher. -- Ist man einmal in diesem Ver-
such geübt, so sieht man auch bald, beim Federschneiden u. s. w. die entferntere
Tischplatte, die Schrift eines Buches u. dergl. vor das Auge rücken und mit der Fe-
der sich kreuzen.

Jenseits der deutlichen Sehweite und in Abständen, in wel-
chen die Gegenstände mit fast parallelen Sehachsen aufgefasst wer-
den, gewinnt die relative Lichtstärke ebenfalls einen Einfluss auf
Schätzung der Entfernungen; unzweifelhaft erscheinen uns ferne
Gegenstände, z. B. die den Horizont begrenzenden Bergmassen, je
nach dem Grad der Erleuchtung und der durch dieselbe bewirkten Son-
derung ihrer einzelnen Gruppen, näher oder ferner; keinenfalls aber ge-
winnt innerhalb der deutlichen Sehweite die Lichtstärke einen Einfluss;
noch niemals wird es gelungen sein, einen Schatten, den man auf einen
sonst erleuchteten ebenen Gegenstand wirft, als eine Vertiefung zu
sehen. Die Schätzung des Abstandes sehr entfernter Gegenstände ist
übrigens ungenau genug; so glaubt man den Mond unmittelbar auf
dem Gipfel entfernter Berge stehen zu sehen oder hält selbst hohle
Flächen z. B. in geschnittenen Steinen oder Gypsabgüssen für erhaben
und umgekehrt; Moser, Brewster.

Zu den oben erwähnten Beispielen über die Wirkung des Accommodationsappa-
rates als formbestimmendes Mittel fügen wir noch die Erscheinung des Nahe-
tretens der Gegenstände, die man durch ein Teleskop betrachtet; die scheinbare

Andere Hilfsmittel zur Schätzung der Entfernung.
werden kann, wenn man den fixirten Gegenstand auf einen andern von regel-
mässig wiederkehrendem Muster hält; denn nur dann ist es möglich, dass sich auch
[Abbildung] Fig. 69.
ohne Kreuzung der
Sehachsen in der
Ebene des Musters
auf identischen Netz-
hautstellen entspre-
chende Abschnitte
desselben abbilden,
die zu einem Bilde zu-
sammengelegt wer-
den können. So sol-
len in der Figur die
kleinen Kreise das
regelmässig wieder-
kehrende Muster dar-
stellen. Wird nun ein
Punkt A jenseits, oder
ein Punkt B diesseits
desselben fixirt, so
fallen auch immer
ungefähr zusammen-
passende Abschnitte
der Kreise, die in der
Vorstellung leicht zu einem zusammengelegt werden können auf identische Netzhaut-
stellen. Beim Fixiren des Punktes A rückt also das Muster nach A und wird, wie aus
früheren Darstellungen folgt, grösser; bei scharfem Betrachten von B stellt sich
das Muster, indem es zugleich kleiner wird, näher. — Ist man einmal in diesem Ver-
such geübt, so sieht man auch bald, beim Federschneiden u. s. w. die entferntere
Tischplatte, die Schrift eines Buches u. dergl. vor das Auge rücken und mit der Fe-
der sich kreuzen.

Jenseits der deutlichen Sehweite und in Abständen, in wel-
chen die Gegenstände mit fast parallelen Sehachsen aufgefasst wer-
den, gewinnt die relative Lichtstärke ebenfalls einen Einfluss auf
Schätzung der Entfernungen; unzweifelhaft erscheinen uns ferne
Gegenstände, z. B. die den Horizont begrenzenden Bergmassen, je
nach dem Grad der Erleuchtung und der durch dieselbe bewirkten Son-
derung ihrer einzelnen Gruppen, näher oder ferner; keinenfalls aber ge-
winnt innerhalb der deutlichen Sehweite die Lichtstärke einen Einfluss;
noch niemals wird es gelungen sein, einen Schatten, den man auf einen
sonst erleuchteten ebenen Gegenstand wirft, als eine Vertiefung zu
sehen. Die Schätzung des Abstandes sehr entfernter Gegenstände ist
übrigens ungenau genug; so glaubt man den Mond unmittelbar auf
dem Gipfel entfernter Berge stehen zu sehen oder hält selbst hohle
Flächen z. B. in geschnittenen Steinen oder Gypsabgüssen für erhaben
und umgekehrt; Moser, Brewster.

Zu den oben erwähnten Beispielen über die Wirkung des Accommodationsappa-
rates als formbestimmendes Mittel fügen wir noch die Erscheinung des Nahe-
tretens der Gegenstände, die man durch ein Teleskop betrachtet; die scheinbare

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[255/0269] Andere Hilfsmittel zur Schätzung der Entfernung. werden kann, wenn man den fixirten Gegenstand auf einen andern von regel- mässig wiederkehrendem Muster hält; denn nur dann ist es möglich, dass sich auch [Abbildung Fig. 69.] ohne Kreuzung der Sehachsen in der Ebene des Musters auf identischen Netz- hautstellen entspre- chende Abschnitte desselben abbilden, die zu einem Bilde zu- sammengelegt wer- den können. So sol- len in der Figur die kleinen Kreise das regelmässig wieder- kehrende Muster dar- stellen. Wird nun ein Punkt A jenseits, oder ein Punkt B diesseits desselben fixirt, so fallen auch immer ungefähr zusammen- passende Abschnitte der Kreise, die in der Vorstellung leicht zu einem zusammengelegt werden können auf identische Netzhaut- stellen. Beim Fixiren des Punktes A rückt also das Muster nach A und wird, wie aus früheren Darstellungen folgt, grösser; bei scharfem Betrachten von B stellt sich das Muster, indem es zugleich kleiner wird, näher. — Ist man einmal in diesem Ver- such geübt, so sieht man auch bald, beim Federschneiden u. s. w. die entferntere Tischplatte, die Schrift eines Buches u. dergl. vor das Auge rücken und mit der Fe- der sich kreuzen. Jenseits der deutlichen Sehweite und in Abständen, in wel- chen die Gegenstände mit fast parallelen Sehachsen aufgefasst wer- den, gewinnt die relative Lichtstärke ebenfalls einen Einfluss auf Schätzung der Entfernungen; unzweifelhaft erscheinen uns ferne Gegenstände, z. B. die den Horizont begrenzenden Bergmassen, je nach dem Grad der Erleuchtung und der durch dieselbe bewirkten Son- derung ihrer einzelnen Gruppen, näher oder ferner; keinenfalls aber ge- winnt innerhalb der deutlichen Sehweite die Lichtstärke einen Einfluss; noch niemals wird es gelungen sein, einen Schatten, den man auf einen sonst erleuchteten ebenen Gegenstand wirft, als eine Vertiefung zu sehen. Die Schätzung des Abstandes sehr entfernter Gegenstände ist übrigens ungenau genug; so glaubt man den Mond unmittelbar auf dem Gipfel entfernter Berge stehen zu sehen oder hält selbst hohle Flächen z. B. in geschnittenen Steinen oder Gypsabgüssen für erhaben und umgekehrt; Moser, Brewster. Zu den oben erwähnten Beispielen über die Wirkung des Accommodationsappa- rates als formbestimmendes Mittel fügen wir noch die Erscheinung des Nahe- tretens der Gegenstände, die man durch ein Teleskop betrachtet; die scheinbare

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/269>, abgerufen am 20.04.2024.