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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Schärfe des Sehens; Bedingungen derselben.
widerstände, welche die Substanzen des Auges bieten, die Strömungs-
curven sich beträchtlich ausbreiten. Dem gemäss geschieht das Se-
hen fast nur unter dem Einfluss der Aetherschwingungen des soge-
nannten objektiven Lichtes.

2. Schärfe des Sehens *). Die Schärfe des Sehens, oder die Fähig-
keit jeden leuchtenden Punkt eines Gegenstandes in seiner Sonderung
und Umgrenzung von jedem zunächst liegenden zu unterscheiden,
ist erstens abhängig vom katoptrischen und dioptrischen Apparat,
insofern er die Aufgabe zu erfüllen hat, die von einem leuchtenden
Punkt auf das Auge fallenden Strahlen in einen Punkt der Retina zu
vereinigen, so dass niemals mehrere im Objekt getrennt liegenden
Punkte auf dieselben Stellen der Retina ihr Licht werfen. Wie schon
früher erwähnt, ist diese Bedingung nicht vollkommen erfüllt und
würde, wäre sie erfüllt, wegen anderer noch zu erwähnender Vorrich-
tungen auch nicht den entsprechenden Vortheil leisten. An diesem
Orte ist aber die Bemerkung noch schicklich, dass selbst bei starken
Zerstreuungskreisen ein Gegenstand mit annähernder Deutlich-
keit gesehen werden kann, wegen der hervorragenden Lichtstärke
des mittlern Theils desselben, welche im Contrast zu den schwächer
erleuchteten Rändern vorzugsweise als das dem Gegenstand entspre-
chende Bild empfunden wird. Aus diesem Grunde gelingt es auch
noch leicht Gegenstände, die ausserhalb der Grenzen deutlicher Seh-
weite liegen, scharf aufzufassen, wenn man dieselben durch feine
Oeffnungen betrachtet, wodurch die störenden Zerstreuungskreise der
Grenzpunkte eines leuchtenden Gegenstandes verkleinert werden.

Man halte, um sich von der Wahrheit der Thatsache zu überzeugen, den Knopf
einer Stecknadel so nahe vor das Auge, bis sie die Empfindung einer verwasche-
nen Fläche gibt und schiebe dann ein Kartenblatt, in welches man eine feine Oeff-
nung bohrte, so zwischen Auge und Stecknadel, dass ihre Strahlen durch die Pupille
fallen; augenblicklich wird die Form des Knopfes deutlich hervortreten.

Die Schärfe des Sehens ist ferner bedingt durch die Retina, weil es
von ihren Einrichtungen abhängt, ob sie die mit Hilfe des dioptrischen
und katoptrischen Apparats entworfenen Lichtpunkte dem Gehirn in der
Sonderung mittheilt, in welcher dieselben auf ihrer Oberfläche entwor-
fen wurden. Die Prüfung der Retina in dieser Beziehung ergibt, dass
sie an verschiedenen Orten ihrer Ausbreitung auf verschiedene Weise
die Schärfe des Gesichtes unterstützt; am vollkommensten erreicht sie
dieses im gelben Fleck, während ihr Vermögen zur gesonderten Em-
pfindung mehr und mehr gegen die Seitentheile abnimmt. Um zu
bezeichnen, dass nur mit dem gelben Fleck ein scharfes Sehen
möglich sei, nennt man das Sehen mittelst desselben und namentlich
mittelst des Punktes, der die Sehachse berührt Visio directa, das
Sehen mit den Seitentheilen der Retina dagegen Visio indirecta.

*) Hueck, Müllers Archiv 1840. -- Volkmann, Artikel Sehen l. c. -- Radicke, Handbuch
der Optik II. Bd. 259.

Schärfe des Sehens; Bedingungen derselben.
widerstände, welche die Substanzen des Auges bieten, die Strömungs-
curven sich beträchtlich ausbreiten. Dem gemäss geschieht das Se-
hen fast nur unter dem Einfluss der Aetherschwingungen des soge-
nannten objektiven Lichtes.

2. Schärfe des Sehens *). Die Schärfe des Sehens, oder die Fähig-
keit jeden leuchtenden Punkt eines Gegenstandes in seiner Sonderung
und Umgrenzung von jedem zunächst liegenden zu unterscheiden,
ist erstens abhängig vom katoptrischen und dioptrischen Apparat,
insofern er die Aufgabe zu erfüllen hat, die von einem leuchtenden
Punkt auf das Auge fallenden Strahlen in einen Punkt der Retina zu
vereinigen, so dass niemals mehrere im Objekt getrennt liegenden
Punkte auf dieselben Stellen der Retina ihr Licht werfen. Wie schon
früher erwähnt, ist diese Bedingung nicht vollkommen erfüllt und
würde, wäre sie erfüllt, wegen anderer noch zu erwähnender Vorrich-
tungen auch nicht den entsprechenden Vortheil leisten. An diesem
Orte ist aber die Bemerkung noch schicklich, dass selbst bei starken
Zerstreuungskreisen ein Gegenstand mit annähernder Deutlich-
keit gesehen werden kann, wegen der hervorragenden Lichtstärke
des mittlern Theils desselben, welche im Contrast zu den schwächer
erleuchteten Rändern vorzugsweise als das dem Gegenstand entspre-
chende Bild empfunden wird. Aus diesem Grunde gelingt es auch
noch leicht Gegenstände, die ausserhalb der Grenzen deutlicher Seh-
weite liegen, scharf aufzufassen, wenn man dieselben durch feine
Oeffnungen betrachtet, wodurch die störenden Zerstreuungskreise der
Grenzpunkte eines leuchtenden Gegenstandes verkleinert werden.

Man halte, um sich von der Wahrheit der Thatsache zu überzeugen, den Knopf
einer Stecknadel so nahe vor das Auge, bis sie die Empfindung einer verwasche-
nen Fläche gibt und schiebe dann ein Kartenblatt, in welches man eine feine Oeff-
nung bohrte, so zwischen Auge und Stecknadel, dass ihre Strahlen durch die Pupille
fallen; augenblicklich wird die Form des Knopfes deutlich hervortreten.

Die Schärfe des Sehens ist ferner bedingt durch die Retina, weil es
von ihren Einrichtungen abhängt, ob sie die mit Hilfe des dioptrischen
und katoptrischen Apparats entworfenen Lichtpunkte dem Gehirn in der
Sonderung mittheilt, in welcher dieselben auf ihrer Oberfläche entwor-
fen wurden. Die Prüfung der Retina in dieser Beziehung ergibt, dass
sie an verschiedenen Orten ihrer Ausbreitung auf verschiedene Weise
die Schärfe des Gesichtes unterstützt; am vollkommensten erreicht sie
dieses im gelben Fleck, während ihr Vermögen zur gesonderten Em-
pfindung mehr und mehr gegen die Seitentheile abnimmt. Um zu
bezeichnen, dass nur mit dem gelben Fleck ein scharfes Sehen
möglich sei, nennt man das Sehen mittelst desselben und namentlich
mittelst des Punktes, der die Sehachse berührt Visio directa, das
Sehen mit den Seitentheilen der Retina dagegen Visio indirecta.

*) Hueck, Müllers Archiv 1840. — Volkmann, Artikel Sehen l. c. — Radicke, Handbuch
der Optik II. Bd. 259.
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[237/0251] Schärfe des Sehens; Bedingungen derselben. widerstände, welche die Substanzen des Auges bieten, die Strömungs- curven sich beträchtlich ausbreiten. Dem gemäss geschieht das Se- hen fast nur unter dem Einfluss der Aetherschwingungen des soge- nannten objektiven Lichtes. 2. Schärfe des Sehens *). Die Schärfe des Sehens, oder die Fähig- keit jeden leuchtenden Punkt eines Gegenstandes in seiner Sonderung und Umgrenzung von jedem zunächst liegenden zu unterscheiden, ist erstens abhängig vom katoptrischen und dioptrischen Apparat, insofern er die Aufgabe zu erfüllen hat, die von einem leuchtenden Punkt auf das Auge fallenden Strahlen in einen Punkt der Retina zu vereinigen, so dass niemals mehrere im Objekt getrennt liegenden Punkte auf dieselben Stellen der Retina ihr Licht werfen. Wie schon früher erwähnt, ist diese Bedingung nicht vollkommen erfüllt und würde, wäre sie erfüllt, wegen anderer noch zu erwähnender Vorrich- tungen auch nicht den entsprechenden Vortheil leisten. An diesem Orte ist aber die Bemerkung noch schicklich, dass selbst bei starken Zerstreuungskreisen ein Gegenstand mit annähernder Deutlich- keit gesehen werden kann, wegen der hervorragenden Lichtstärke des mittlern Theils desselben, welche im Contrast zu den schwächer erleuchteten Rändern vorzugsweise als das dem Gegenstand entspre- chende Bild empfunden wird. Aus diesem Grunde gelingt es auch noch leicht Gegenstände, die ausserhalb der Grenzen deutlicher Seh- weite liegen, scharf aufzufassen, wenn man dieselben durch feine Oeffnungen betrachtet, wodurch die störenden Zerstreuungskreise der Grenzpunkte eines leuchtenden Gegenstandes verkleinert werden. Man halte, um sich von der Wahrheit der Thatsache zu überzeugen, den Knopf einer Stecknadel so nahe vor das Auge, bis sie die Empfindung einer verwasche- nen Fläche gibt und schiebe dann ein Kartenblatt, in welches man eine feine Oeff- nung bohrte, so zwischen Auge und Stecknadel, dass ihre Strahlen durch die Pupille fallen; augenblicklich wird die Form des Knopfes deutlich hervortreten. Die Schärfe des Sehens ist ferner bedingt durch die Retina, weil es von ihren Einrichtungen abhängt, ob sie die mit Hilfe des dioptrischen und katoptrischen Apparats entworfenen Lichtpunkte dem Gehirn in der Sonderung mittheilt, in welcher dieselben auf ihrer Oberfläche entwor- fen wurden. Die Prüfung der Retina in dieser Beziehung ergibt, dass sie an verschiedenen Orten ihrer Ausbreitung auf verschiedene Weise die Schärfe des Gesichtes unterstützt; am vollkommensten erreicht sie dieses im gelben Fleck, während ihr Vermögen zur gesonderten Em- pfindung mehr und mehr gegen die Seitentheile abnimmt. Um zu bezeichnen, dass nur mit dem gelben Fleck ein scharfes Sehen möglich sei, nennt man das Sehen mittelst desselben und namentlich mittelst des Punktes, der die Sehachse berührt Visio directa, das Sehen mit den Seitentheilen der Retina dagegen Visio indirecta. *) Hueck, Müllers Archiv 1840. — Volkmann, Artikel Sehen l. c. — Radicke, Handbuch der Optik II. Bd. 259.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/251>, abgerufen am 18.04.2024.