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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Sehen in verschiedene Fernen; Augenspiegel.
teren oder näheren Gegenstandes zum Vorschein kommt, selbst wenn
die Richtung der Sehachse zum ersten Objekt unverändert bleibt, so
dass zu jeder Zeit die Strahlen desselben in das Auge gelangen können.

Aus allen diesem folgt nun, dass das brechende System des
Auges in einem bestimmten Zustand (unveränderlich gedacht) nur
von den Leuchtpunkten Bilder auf die Retina zu entwerfen vermag,
welche sich in einer ganz bestimmten Entfernung von dem Auge fin-
den; zugleich aber dass die Zustände des brechenden Systems in der
Art veränderbar sind, dass auch Gegenstände sehr verschiedener Ent-
fernung auf der Retina abgebildet werden können.

Diese letztere Eigenschaft, welche das Auge mit vielen künstli-
chen Linsensystemen theilt, nennt man das Einrichtungs-, oder Acco-
modationsvermögen des Auges.

Die Pupille des Auges erscheint bekanntlich vollkommen schwarz, obwohl sehr
beträchtliche Lichtmassen, welche im Innern des Auges gespiegelt werden, aus ihr
treten. Der Grund dieses scheinbar paradoxen Verhaltens ist aber durch einen Blick

[Abbildung] Fig. 47.
[Abbildung] Fig. 48.
auf Fig. 47 klar, welche zeigt, dass alle Strah-
len, welche vom leuchtenden Punkt A ausge-
hend in dem Auge bei A' zusammengebrochen
und dann von hier gespiegelt das Auge verlas-
sen, auch im Raum wieder bei A zusammenge-
lenkt werden. Der Retinapunkt A und alle übri-
gen senden also das gespiegelte Licht immer
nach dem Ort, von dem aus sie erleuchtet
werden, und somit würde bei gewöhnlichem
Gange der Lichtstrahlen uns die Pupille eines
Andern nur dann hell erscheinen, wenn die
Erleuchtung der Retina des
Andern von unserm Auge aus-
ginge. Hält man dagegen
(Fig. 48) vor das Auge einen
unbelegten Spiegel (eine
Glassplatte) S S in der be-
zeichneten oder in einer ähn-
lich geneigten Stellung und
bringt einen leuchtenden Ge-
genstand bei L an, so werden
die von L ausgehenden und
auf S S fallenden Strahlen
zum Theil durch die Platte den
Weg der getüpfelten Linien
nehmen, zum Theil aber gegen
das Auge A A reflectirt und
von diesem nach R gebrochen werden. Die bei R vereinigten Strahlen werden
nun in der Richtung wieder nach aussen geworfen, in der sie eintraten, und von
neuem auf der Glasplatte anlangen. Ein Theil derselben wird nach L zurückgehen,
ein anderer aber durch das Glas dringen und bei B in dem Ort zur Vereinigung
kommen, in welchem auch scheinbar das Spiegelbild liegt. An diesen Ort muss
nun der Beobachter, welcher den Bildpunkt R im Auge A A sehen will, seine
Retina bringen. Würde er aber zu diesem Behuf sein Auge unmittelbar in den
Strahlenkegel zwischen B und die Platte führen, so würde, wegen der stark bre-

Sehen in verschiedene Fernen; Augenspiegel.
teren oder näheren Gegenstandes zum Vorschein kommt, selbst wenn
die Richtung der Sehachse zum ersten Objekt unverändert bleibt, so
dass zu jeder Zeit die Strahlen desselben in das Auge gelangen können.

Aus allen diesem folgt nun, dass das brechende System des
Auges in einem bestimmten Zustand (unveränderlich gedacht) nur
von den Leuchtpunkten Bilder auf die Retina zu entwerfen vermag,
welche sich in einer ganz bestimmten Entfernung von dem Auge fin-
den; zugleich aber dass die Zustände des brechenden Systems in der
Art veränderbar sind, dass auch Gegenstände sehr verschiedener Ent-
fernung auf der Retina abgebildet werden können.

Diese letztere Eigenschaft, welche das Auge mit vielen künstli-
chen Linsensystemen theilt, nennt man das Einrichtungs-, oder Acco-
modationsvermögen des Auges.

Die Pupille des Auges erscheint bekanntlich vollkommen schwarz, obwohl sehr
beträchtliche Lichtmassen, welche im Innern des Auges gespiegelt werden, aus ihr
treten. Der Grund dieses scheinbar paradoxen Verhaltens ist aber durch einen Blick

[Abbildung] Fig. 47.
[Abbildung] Fig. 48.
auf Fig. 47 klar, welche zeigt, dass alle Strah-
len, welche vom leuchtenden Punkt A ausge-
hend in dem Auge bei A′ zusammengebrochen
und dann von hier gespiegelt das Auge verlas-
sen, auch im Raum wieder bei A zusammenge-
lenkt werden. Der Retinapunkt A und alle übri-
gen senden also das gespiegelte Licht immer
nach dem Ort, von dem aus sie erleuchtet
werden, und somit würde bei gewöhnlichem
Gange der Lichtstrahlen uns die Pupille eines
Andern nur dann hell erscheinen, wenn die
Erleuchtung der Retina des
Andern von unserm Auge aus-
ginge. Hält man dagegen
(Fig. 48) vor das Auge einen
unbelegten Spiegel (eine
Glassplatte) S S in der be-
zeichneten oder in einer ähn-
lich geneigten Stellung und
bringt einen leuchtenden Ge-
genstand bei L an, so werden
die von L ausgehenden und
auf S S fallenden Strahlen
zum Theil durch die Platte den
Weg der getüpfelten Linien
nehmen, zum Theil aber gegen
das Auge A A reflectirt und
von diesem nach R gebrochen werden. Die bei R vereinigten Strahlen werden
nun in der Richtung wieder nach aussen geworfen, in der sie eintraten, und von
neuem auf der Glasplatte anlangen. Ein Theil derselben wird nach L zurückgehen,
ein anderer aber durch das Glas dringen und bei B in dem Ort zur Vereinigung
kommen, in welchem auch scheinbar das Spiegelbild liegt. An diesen Ort muss
nun der Beobachter, welcher den Bildpunkt R im Auge A A sehen will, seine
Retina bringen. Würde er aber zu diesem Behuf sein Auge unmittelbar in den
Strahlenkegel zwischen B und die Platte führen, so würde, wegen der stark bre-

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[207/0221] Sehen in verschiedene Fernen; Augenspiegel. teren oder näheren Gegenstandes zum Vorschein kommt, selbst wenn die Richtung der Sehachse zum ersten Objekt unverändert bleibt, so dass zu jeder Zeit die Strahlen desselben in das Auge gelangen können. Aus allen diesem folgt nun, dass das brechende System des Auges in einem bestimmten Zustand (unveränderlich gedacht) nur von den Leuchtpunkten Bilder auf die Retina zu entwerfen vermag, welche sich in einer ganz bestimmten Entfernung von dem Auge fin- den; zugleich aber dass die Zustände des brechenden Systems in der Art veränderbar sind, dass auch Gegenstände sehr verschiedener Ent- fernung auf der Retina abgebildet werden können. Diese letztere Eigenschaft, welche das Auge mit vielen künstli- chen Linsensystemen theilt, nennt man das Einrichtungs-, oder Acco- modationsvermögen des Auges. Die Pupille des Auges erscheint bekanntlich vollkommen schwarz, obwohl sehr beträchtliche Lichtmassen, welche im Innern des Auges gespiegelt werden, aus ihr treten. Der Grund dieses scheinbar paradoxen Verhaltens ist aber durch einen Blick [Abbildung Fig. 47.] [Abbildung Fig. 48.] auf Fig. 47 klar, welche zeigt, dass alle Strah- len, welche vom leuchtenden Punkt A ausge- hend in dem Auge bei A′ zusammengebrochen und dann von hier gespiegelt das Auge verlas- sen, auch im Raum wieder bei A zusammenge- lenkt werden. Der Retinapunkt A und alle übri- gen senden also das gespiegelte Licht immer nach dem Ort, von dem aus sie erleuchtet werden, und somit würde bei gewöhnlichem Gange der Lichtstrahlen uns die Pupille eines Andern nur dann hell erscheinen, wenn die Erleuchtung der Retina des Andern von unserm Auge aus- ginge. Hält man dagegen (Fig. 48) vor das Auge einen unbelegten Spiegel (eine Glassplatte) S S in der be- zeichneten oder in einer ähn- lich geneigten Stellung und bringt einen leuchtenden Ge- genstand bei L an, so werden die von L ausgehenden und auf S S fallenden Strahlen zum Theil durch die Platte den Weg der getüpfelten Linien nehmen, zum Theil aber gegen das Auge A A reflectirt und von diesem nach R gebrochen werden. Die bei R vereinigten Strahlen werden nun in der Richtung wieder nach aussen geworfen, in der sie eintraten, und von neuem auf der Glasplatte anlangen. Ein Theil derselben wird nach L zurückgehen, ein anderer aber durch das Glas dringen und bei B in dem Ort zur Vereinigung kommen, in welchem auch scheinbar das Spiegelbild liegt. An diesen Ort muss nun der Beobachter, welcher den Bildpunkt R im Auge A A sehen will, seine Retina bringen. Würde er aber zu diesem Behuf sein Auge unmittelbar in den Strahlenkegel zwischen B und die Platte führen, so würde, wegen der stark bre-

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/221>, abgerufen am 29.03.2024.