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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Mitbewegung; Mitempfindung.
oder durch Berührung der Zunge Husten eingeleitet. Bemerkenswerth
ist es ferner, dass dieselben Muskeln von verschiedenen sensiblen
Nerven in ganz verschiedener räumlicher oder zeitlicher Combination
erregt werden. -- Nicht minder wichtig erscheint es, dass einzelne
Reflexbewegungen auch bei einseitiger Erregung des sensiblen Nerven
immer doppelseitig erscheinen, wie die Pupillenverengerung, Husten
und Niessbewegung, während andere nur einseitig vorkommen, wie
z. B. der Schluss des m. orbiculus palpebrar. -- Die Muskeln, in welchen
selbst bei grösster geistiger Aufmerksamkeit Reflexe erfolgen, sind ent-
weder überhaupt unwillkürlich beweglich, wie die Pupille, oder minde-
stens in der gerade auftretenden Combination vom Willen schwer oder
gar nicht anzuregen.

Die Hirntheile, in welchen die erwähnten und überhaupt die re-
flectorischen Uebertragungen zwischen Kopfnerven geschehen, sind
das verlängerte Mark und die Vierhügel; letztere enthalten vorzugs-
weise den reflecktorischen Apparat für das Auge und werden darum
das Centralorgan des Gesichtssinnes genannt. Der Nachweis, dass die
bezeichneten Hirntheile die reflektorischen Herde darstellen, geht
daraus hervor, dass die Uebertragung noch geschieht, wenn man alle
übrigen Hirntheile ausser ihnen entfernt hat, ja dass sie dann am sicher-
sten vorkommt.

Es bedarf kaum der Errinnerung an die bekannte Thatsache, dass alle Kopfner-
ven bei höheren Erregungen schliesslich reflektorische Krämpfe fast aller Muskeln
des menschlichen Körpers bewerkstelligen können,

B. Mitbewegung, Mitempfindung und Reflexempfindung sollen
ebenfalls die Hirnnerven zu erzeugen im Stande sein; es ist aber hier
so wenig als am Rückenmark ein scharfer Beweis für ihr Bestehen zu
liefern.

1) Mitbewegung. -- Mit Uebergehung aller andern gar nicht einmal zum Be-
weissverfahren zulässiger Thatsachen ist hier nur zu erwähnen, dass zwei unwill-
kürlich bewegliche Organe, das Herz und die Pupille von der Seele aus eine
Veränderung ihrer Erregung erleiden können, wenn gleichzeitig eine gewisse Zahl
von andern willkürlich motorischen Theilen in Bewegung kommt.

So können wir z. B. die Pupille nicht gesondert verengern, sogleich aber veren-
gert sie sich, wenn wir das Auge nach innen und oben stellen. Ob in diesem Fall
wirklich die Erregung aus den willkürlich beweglichen Aesten des n. oculomo-
torius auf den Irisast übergeht, oder ob in dieser Combination der Irisast direkt von
der Seele erregt werden kann, ist nicht zu entscheiden. Siehe hierüber Pupillen und
Herzbewegung.

2) Mitempfindung. -- Sehen in das Licht, ein Sandkörnchen in der Conjunction
soll Kitzeln in der Nase hervorrufen? Hat man in diesem Falle die Thränen von der
Nase abgehalten, und den Kopf so gestellt, dass nicht zugleich die Sonne in die
Nasenöffnung schien? Oder ist hierbei gar eine Absonderung des Schleims in der
Nase übersehen worden? Nach Berührung des äussern Gehörgangs entsteht ein
eigenthümliches Kitzelgefühl im Kehlkopf und Neigung zum Husten, ist das nicht
vielmehr ein Reflex auf die Muskeln der Stimmritze? -- Hören eines Tons nach
Streicheln der Wange kann ebenso als Reflex auf die Muskeln der Gehörknöchelchen
gedeutet werden u. s. w. Die einzige Erscheinung, welche vorerst keine andere Deu-

Mitbewegung; Mitempfindung.
oder durch Berührung der Zunge Husten eingeleitet. Bemerkenswerth
ist es ferner, dass dieselben Muskeln von verschiedenen sensiblen
Nerven in ganz verschiedener räumlicher oder zeitlicher Combination
erregt werden. — Nicht minder wichtig erscheint es, dass einzelne
Reflexbewegungen auch bei einseitiger Erregung des sensiblen Nerven
immer doppelseitig erscheinen, wie die Pupillenverengerung, Husten
und Niessbewegung, während andere nur einseitig vorkommen, wie
z. B. der Schluss des m. orbiculus palpebrar. — Die Muskeln, in welchen
selbst bei grösster geistiger Aufmerksamkeit Reflexe erfolgen, sind ent-
weder überhaupt unwillkürlich beweglich, wie die Pupille, oder minde-
stens in der gerade auftretenden Combination vom Willen schwer oder
gar nicht anzuregen.

Die Hirntheile, in welchen die erwähnten und überhaupt die re-
flectorischen Uebertragungen zwischen Kopfnerven geschehen, sind
das verlängerte Mark und die Vierhügel; letztere enthalten vorzugs-
weise den reflecktorischen Apparat für das Auge und werden darum
das Centralorgan des Gesichtssinnes genannt. Der Nachweis, dass die
bezeichneten Hirntheile die reflektorischen Herde darstellen, geht
daraus hervor, dass die Uebertragung noch geschieht, wenn man alle
übrigen Hirntheile ausser ihnen entfernt hat, ja dass sie dann am sicher-
sten vorkommt.

Es bedarf kaum der Errinnerung an die bekannte Thatsache, dass alle Kopfner-
ven bei höheren Erregungen schliesslich reflektorische Krämpfe fast aller Muskeln
des menschlichen Körpers bewerkstelligen können,

B. Mitbewegung, Mitempfindung und Reflexempfindung sollen
ebenfalls die Hirnnerven zu erzeugen im Stande sein; es ist aber hier
so wenig als am Rückenmark ein scharfer Beweis für ihr Bestehen zu
liefern.

1) Mitbewegung. — Mit Uebergehung aller andern gar nicht einmal zum Be-
weissverfahren zulässiger Thatsachen ist hier nur zu erwähnen, dass zwei unwill-
kürlich bewegliche Organe, das Herz und die Pupille von der Seele aus eine
Veränderung ihrer Erregung erleiden können, wenn gleichzeitig eine gewisse Zahl
von andern willkürlich motorischen Theilen in Bewegung kommt.

So können wir z. B. die Pupille nicht gesondert verengern, sogleich aber veren-
gert sie sich, wenn wir das Auge nach innen und oben stellen. Ob in diesem Fall
wirklich die Erregung aus den willkürlich beweglichen Aesten des n. oculomo-
torius auf den Irisast übergeht, oder ob in dieser Combination der Irisast direkt von
der Seele erregt werden kann, ist nicht zu entscheiden. Siehe hierüber Pupillen und
Herzbewegung.

2) Mitempfindung. — Sehen in das Licht, ein Sandkörnchen in der Conjunction
soll Kitzeln in der Nase hervorrufen? Hat man in diesem Falle die Thränen von der
Nase abgehalten, und den Kopf so gestellt, dass nicht zugleich die Sonne in die
Nasenöffnung schien? Oder ist hierbei gar eine Absonderung des Schleims in der
Nase übersehen worden? Nach Berührung des äussern Gehörgangs entsteht ein
eigenthümliches Kitzelgefühl im Kehlkopf und Neigung zum Husten, ist das nicht
vielmehr ein Reflex auf die Muskeln der Stimmritze? — Hören eines Tons nach
Streicheln der Wange kann ebenso als Reflex auf die Muskeln der Gehörknöchelchen
gedeutet werden u. s. w. Die einzige Erscheinung, welche vorerst keine andere Deu-

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[169/0183] Mitbewegung; Mitempfindung. oder durch Berührung der Zunge Husten eingeleitet. Bemerkenswerth ist es ferner, dass dieselben Muskeln von verschiedenen sensiblen Nerven in ganz verschiedener räumlicher oder zeitlicher Combination erregt werden. — Nicht minder wichtig erscheint es, dass einzelne Reflexbewegungen auch bei einseitiger Erregung des sensiblen Nerven immer doppelseitig erscheinen, wie die Pupillenverengerung, Husten und Niessbewegung, während andere nur einseitig vorkommen, wie z. B. der Schluss des m. orbiculus palpebrar. — Die Muskeln, in welchen selbst bei grösster geistiger Aufmerksamkeit Reflexe erfolgen, sind ent- weder überhaupt unwillkürlich beweglich, wie die Pupille, oder minde- stens in der gerade auftretenden Combination vom Willen schwer oder gar nicht anzuregen. Die Hirntheile, in welchen die erwähnten und überhaupt die re- flectorischen Uebertragungen zwischen Kopfnerven geschehen, sind das verlängerte Mark und die Vierhügel; letztere enthalten vorzugs- weise den reflecktorischen Apparat für das Auge und werden darum das Centralorgan des Gesichtssinnes genannt. Der Nachweis, dass die bezeichneten Hirntheile die reflektorischen Herde darstellen, geht daraus hervor, dass die Uebertragung noch geschieht, wenn man alle übrigen Hirntheile ausser ihnen entfernt hat, ja dass sie dann am sicher- sten vorkommt. Es bedarf kaum der Errinnerung an die bekannte Thatsache, dass alle Kopfner- ven bei höheren Erregungen schliesslich reflektorische Krämpfe fast aller Muskeln des menschlichen Körpers bewerkstelligen können, B. Mitbewegung, Mitempfindung und Reflexempfindung sollen ebenfalls die Hirnnerven zu erzeugen im Stande sein; es ist aber hier so wenig als am Rückenmark ein scharfer Beweis für ihr Bestehen zu liefern. 1) Mitbewegung. — Mit Uebergehung aller andern gar nicht einmal zum Be- weissverfahren zulässiger Thatsachen ist hier nur zu erwähnen, dass zwei unwill- kürlich bewegliche Organe, das Herz und die Pupille von der Seele aus eine Veränderung ihrer Erregung erleiden können, wenn gleichzeitig eine gewisse Zahl von andern willkürlich motorischen Theilen in Bewegung kommt. So können wir z. B. die Pupille nicht gesondert verengern, sogleich aber veren- gert sie sich, wenn wir das Auge nach innen und oben stellen. Ob in diesem Fall wirklich die Erregung aus den willkürlich beweglichen Aesten des n. oculomo- torius auf den Irisast übergeht, oder ob in dieser Combination der Irisast direkt von der Seele erregt werden kann, ist nicht zu entscheiden. Siehe hierüber Pupillen und Herzbewegung. 2) Mitempfindung. — Sehen in das Licht, ein Sandkörnchen in der Conjunction soll Kitzeln in der Nase hervorrufen? Hat man in diesem Falle die Thränen von der Nase abgehalten, und den Kopf so gestellt, dass nicht zugleich die Sonne in die Nasenöffnung schien? Oder ist hierbei gar eine Absonderung des Schleims in der Nase übersehen worden? Nach Berührung des äussern Gehörgangs entsteht ein eigenthümliches Kitzelgefühl im Kehlkopf und Neigung zum Husten, ist das nicht vielmehr ein Reflex auf die Muskeln der Stimmritze? — Hören eines Tons nach Streicheln der Wange kann ebenso als Reflex auf die Muskeln der Gehörknöchelchen gedeutet werden u. s. w. Die einzige Erscheinung, welche vorerst keine andere Deu-

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/183>, abgerufen am 29.03.2024.