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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Wechsel der Erregung mit dem Erreger.
wird. -- Auf dieselbe Länge der erregten Nervenstrecke muss aber
gehalten werden, weil, wie wenigstens an einigen Nerven erwiesen,
die Stärke der Erregung mit der eben erwähnten Länge wächst.

So grosse und zahlreiche Schwierigkeiten bietet die einfachste
Versuchsreihe, und sie sind sicherlich hier vorerst weitaus zum ge-
ringsten Theil aufgezählt; ein gewandter Kopf wird in ihnen eher einen
Sporn sie zu überwinden sehen, als vor ihnen zurückgeschreckt ste-
hen bleiben; der halbwegs einsichtige wird aber die Versuche ganz
unterlassen, wenn er nicht mit neuen, wirklich hilfreichen Mitteln hier
eindringen kann.

Die uns zu Gebote stehenden Erfahrungen über die Abhängigkeit
der Erregungsstärken von dem Wechsel in der Kraft sowohl als an-
dern Verhältnissen der Erreger, haben zu folgenden allgemeinen Er-
gebnissen geführt.

a) Eine gewisse Zahl von Mitteln erzeugt eine Erregung, wenn
sie in constanter, oder in einer nach der Zeit sehr wenig schwanken-
den Stärke einwirkt; dahin zählen die constanten Drücke, welche auf
den Seh- und den Hautnerven Licht- und Schmerzempfindung erzeu-
gen; hohe und sehr niedere Temperaturen, welche nicht mehr Wärme-
und Kälteempfindung, sondern Schmerz erzeugen, die den Geschmack
und Geruch erweckenden chemischen Substanzen, ein constan-
ter galvanischer Strom in den Empfindungsnerven und noch andere
später besonders hervorzuhebende Mittel. Die Erregung ist von der
Veränderung dieser Erreger insofern abhängig, als sie innerhalb
gewisser Grenzen mit der Stärke des Erregers wächst; bei einer ge-
wissen Höhe dieser letzteren erreicht die Erregung aber ein Maxi-
mum, welches nicht überschritten wird, mag der Erreger auch noch
so beträchtliche Zuwächse an seiner Intensität erfahren.

b) Eine andere Reihe von Mitteln wird dagegen nur dann zu Er-
regern, wenn sie mit einer stetigen Veränderung in ihren Intensitäten
auf den Nerven wirkt. So erzeugt z. B. ein constanter Druck auf das
Trommelfell niemals die Empfindung des Tons, der aber sogleich zu
Stande kommt so wie das Trommelfell in hin und hergehende Schwan-
kungen von einer bestimmten Geschwindigkeit geräth, wobei also der
von demselben auf die innern Gehörwerkzeuge ausgeübte Druck z.
B. zuerst ein zusammenpressender und dann ein ausdehnender wird.
Ebenso empfängt man die Empfindung der Wärme nicht durch eine
constante Temperatur, sondern nur dann und so lange als die Tempe-
ratur der Haut von einem niederen zu einem höheren Grade aufsteigt.
Ein constanter electrischer Strom bringt den Muskelnerven niemals in
einen Zustand, in welchem er eine Muskelzuckung hervorruft; dieses
geschieht aber, wenn ihn ein Strom von stets veränderlicher an- oder
absteigender Stärke durchfliesst. In diesen und zahlreichen andern
Fällen steigt die Erregung 1. mit der Geschwindigkeit des Wechsels,

Wechsel der Erregung mit dem Erreger.
wird. — Auf dieselbe Länge der erregten Nervenstrecke muss aber
gehalten werden, weil, wie wenigstens an einigen Nerven erwiesen,
die Stärke der Erregung mit der eben erwähnten Länge wächst.

So grosse und zahlreiche Schwierigkeiten bietet die einfachste
Versuchsreihe, und sie sind sicherlich hier vorerst weitaus zum ge-
ringsten Theil aufgezählt; ein gewandter Kopf wird in ihnen eher einen
Sporn sie zu überwinden sehen, als vor ihnen zurückgeschreckt ste-
hen bleiben; der halbwegs einsichtige wird aber die Versuche ganz
unterlassen, wenn er nicht mit neuen, wirklich hilfreichen Mitteln hier
eindringen kann.

Die uns zu Gebote stehenden Erfahrungen über die Abhängigkeit
der Erregungsstärken von dem Wechsel in der Kraft sowohl als an-
dern Verhältnissen der Erreger, haben zu folgenden allgemeinen Er-
gebnissen geführt.

α) Eine gewisse Zahl von Mitteln erzeugt eine Erregung, wenn
sie in constanter, oder in einer nach der Zeit sehr wenig schwanken-
den Stärke einwirkt; dahin zählen die constanten Drücke, welche auf
den Seh- und den Hautnerven Licht- und Schmerzempfindung erzeu-
gen; hohe und sehr niedere Temperaturen, welche nicht mehr Wärme-
und Kälteempfindung, sondern Schmerz erzeugen, die den Geschmack
und Geruch erweckenden chemischen Substanzen, ein constan-
ter galvanischer Strom in den Empfindungsnerven und noch andere
später besonders hervorzuhebende Mittel. Die Erregung ist von der
Veränderung dieser Erreger insofern abhängig, als sie innerhalb
gewisser Grenzen mit der Stärke des Erregers wächst; bei einer ge-
wissen Höhe dieser letzteren erreicht die Erregung aber ein Maxi-
mum, welches nicht überschritten wird, mag der Erreger auch noch
so beträchtliche Zuwächse an seiner Intensität erfahren.

β) Eine andere Reihe von Mitteln wird dagegen nur dann zu Er-
regern, wenn sie mit einer stetigen Veränderung in ihren Intensitäten
auf den Nerven wirkt. So erzeugt z. B. ein constanter Druck auf das
Trommelfell niemals die Empfindung des Tons, der aber sogleich zu
Stande kommt so wie das Trommelfell in hin und hergehende Schwan-
kungen von einer bestimmten Geschwindigkeit geräth, wobei also der
von demselben auf die innern Gehörwerkzeuge ausgeübte Druck z.
B. zuerst ein zusammenpressender und dann ein ausdehnender wird.
Ebenso empfängt man die Empfindung der Wärme nicht durch eine
constante Temperatur, sondern nur dann und so lange als die Tempe-
ratur der Haut von einem niederen zu einem höheren Grade aufsteigt.
Ein constanter electrischer Strom bringt den Muskelnerven niemals in
einen Zustand, in welchem er eine Muskelzuckung hervorruft; dieses
geschieht aber, wenn ihn ein Strom von stets veränderlicher an- oder
absteigender Stärke durchfliesst. In diesen und zahlreichen andern
Fällen steigt die Erregung 1. mit der Geschwindigkeit des Wechsels,

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[111/0125] Wechsel der Erregung mit dem Erreger. wird. — Auf dieselbe Länge der erregten Nervenstrecke muss aber gehalten werden, weil, wie wenigstens an einigen Nerven erwiesen, die Stärke der Erregung mit der eben erwähnten Länge wächst. So grosse und zahlreiche Schwierigkeiten bietet die einfachste Versuchsreihe, und sie sind sicherlich hier vorerst weitaus zum ge- ringsten Theil aufgezählt; ein gewandter Kopf wird in ihnen eher einen Sporn sie zu überwinden sehen, als vor ihnen zurückgeschreckt ste- hen bleiben; der halbwegs einsichtige wird aber die Versuche ganz unterlassen, wenn er nicht mit neuen, wirklich hilfreichen Mitteln hier eindringen kann. Die uns zu Gebote stehenden Erfahrungen über die Abhängigkeit der Erregungsstärken von dem Wechsel in der Kraft sowohl als an- dern Verhältnissen der Erreger, haben zu folgenden allgemeinen Er- gebnissen geführt. α) Eine gewisse Zahl von Mitteln erzeugt eine Erregung, wenn sie in constanter, oder in einer nach der Zeit sehr wenig schwanken- den Stärke einwirkt; dahin zählen die constanten Drücke, welche auf den Seh- und den Hautnerven Licht- und Schmerzempfindung erzeu- gen; hohe und sehr niedere Temperaturen, welche nicht mehr Wärme- und Kälteempfindung, sondern Schmerz erzeugen, die den Geschmack und Geruch erweckenden chemischen Substanzen, ein constan- ter galvanischer Strom in den Empfindungsnerven und noch andere später besonders hervorzuhebende Mittel. Die Erregung ist von der Veränderung dieser Erreger insofern abhängig, als sie innerhalb gewisser Grenzen mit der Stärke des Erregers wächst; bei einer ge- wissen Höhe dieser letzteren erreicht die Erregung aber ein Maxi- mum, welches nicht überschritten wird, mag der Erreger auch noch so beträchtliche Zuwächse an seiner Intensität erfahren. β) Eine andere Reihe von Mitteln wird dagegen nur dann zu Er- regern, wenn sie mit einer stetigen Veränderung in ihren Intensitäten auf den Nerven wirkt. So erzeugt z. B. ein constanter Druck auf das Trommelfell niemals die Empfindung des Tons, der aber sogleich zu Stande kommt so wie das Trommelfell in hin und hergehende Schwan- kungen von einer bestimmten Geschwindigkeit geräth, wobei also der von demselben auf die innern Gehörwerkzeuge ausgeübte Druck z. B. zuerst ein zusammenpressender und dann ein ausdehnender wird. Ebenso empfängt man die Empfindung der Wärme nicht durch eine constante Temperatur, sondern nur dann und so lange als die Tempe- ratur der Haut von einem niederen zu einem höheren Grade aufsteigt. Ein constanter electrischer Strom bringt den Muskelnerven niemals in einen Zustand, in welchem er eine Muskelzuckung hervorruft; dieses geschieht aber, wenn ihn ein Strom von stets veränderlicher an- oder absteigender Stärke durchfliesst. In diesen und zahlreichen andern Fällen steigt die Erregung 1. mit der Geschwindigkeit des Wechsels,

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/125>, abgerufen am 28.03.2024.