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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Bedingungen der veränderten Erregbarkeit.
Haloidsalze; indifferenter erscheinen Blausäure, Strychninlösung, Wasser und fette
Oele, indem in diesen ein abgeschnittenes Nervenstück seine Erregbarkeit nur um
weniges früher einbüsst, als in einem vor Verdunstung geschützten Raume.

Vielleicht stehen mit den eben gemeldeten Thatsachen die Er-
scheinungen in Verbindung, dass die Erregbarkeit der Nerven mit den
Jahreszeiten [welche das Futter und damit die Zusammensetzung des
Blutes ändern] veränderlich ist, wie denn die Frösche im Herbst und
Frühjahr (vor der Begattung) erregbarer sind, als im hohen Sommer
oder tiefen Winter, ferner dass uns die Abend- und die Jugendzeit ge-
wöhnlich erregbarer findet, als der Morgen und das Alter u. s. w. --

e) Die Wärme, welche sich nach oben oder unten beträchtlich
von derjenigen entfernt, in welcher der Nerv im lebenden Thier sich
findet, vernichtet die Erregbarkeit, selbst wenn sonst alle Bedingungen
zur Erhaltung derselben gegeben sind. Eckhard *) legte, um die
Erscheinungen zu studiren, die noch mit einem Muskel in Verbindung
befindlichen Nerven eines Frosches in Wasser von verschiedenen aber
jedesmal constanten Temperaturen und prüfte dann von Zeit zu Zeit das
Vorhandensein der Erregbarkeit mittelst eines elektrischen Schlages.
Hier ergab sich, dass in Wasser von + 10° bis + 20° R., der Nerv
nicht merklich rascher abstarb, als in feuchter Luft gleicher Tempera-
tur. Im Wasser von 0° starb der Nerv binnen 45 Sekunden und bei
-- 3° bis -- 5° starb er momentan ab; in einer Temperatur von
30° erhielt er sich 12 bis 15 Sekunden und in einer solchen von +
55° bis + 60° war er nur noch momentan erregbar. Aehnlich verhal-
ten sich nach E. H. Weber die Hautnerven des Menschen. Aus dem
Mitgetheilten ergibt sich von selbst, dass nur enge Wärmegrenzen
die Erhaltung der Erregbarkeit begünstigen. --

e) Der elektrische Strom wirkt unter allen Umständen
schwächend auf den Nerven; diese Schwächung geht jedoch nicht
durchweg proportional der Dichtigkeit und Intensität derselben, denn
obwohl dichtere und intensivere Ströme, gemäss ihrer elektrolytischen
Kraft, rascher den Nerven angreifen, als schwache und weniger dichte,
so zeigt sich doch auch noch innerhalb gewisser Grenzen die Rich-
tung, und durchgreifend die Schwankung, oder die Veränderlichkeit
ihrer Stärken während der Dauer ihrer Anwesenheit von Bedeutung.
Nach Ritter sollen nämlich schwache Ströme, wenn sie aufsteigend
(von der Nervenendung gegen den Ursprung im Hirn und Rücken-
mark) den Nerven durchlaufen, eher die Erregbarkeit erhöhen als
schwächen, während die absteigenden schwächen sollen. Die Erreg-
barkeit wird dagegen durch einen äusserst schwachen, durch gewöhn-

*) Ueber die Einwirkung der Temperatur etc. Henle u. Pfeufer X. Bd. 165. Die von Pick-
ford
im ersten Band der neuen Folge derselben Zeitschrift gegebenen Mittheilungen über
denselben Gegenstand können leider nicht benutzt werden, weil sie theils sich selbst wider-
sprechen, vorzugsweise aber weil die Methoden, die zur Feststellung der Thatsachen be-
nutzt wurden, vielfach mit Fehlern behaftet sind.

Bedingungen der veränderten Erregbarkeit.
Haloidsalze; indifferenter erscheinen Blausäure, Strychninlösung, Wasser und fette
Oele, indem in diesen ein abgeschnittenes Nervenstück seine Erregbarkeit nur um
weniges früher einbüsst, als in einem vor Verdunstung geschützten Raume.

Vielleicht stehen mit den eben gemeldeten Thatsachen die Er-
scheinungen in Verbindung, dass die Erregbarkeit der Nerven mit den
Jahreszeiten [welche das Futter und damit die Zusammensetzung des
Blutes ändern] veränderlich ist, wie denn die Frösche im Herbst und
Frühjahr (vor der Begattung) erregbarer sind, als im hohen Sommer
oder tiefen Winter, ferner dass uns die Abend- und die Jugendzeit ge-
wöhnlich erregbarer findet, als der Morgen und das Alter u. s. w. —

ε) Die Wärme, welche sich nach oben oder unten beträchtlich
von derjenigen entfernt, in welcher der Nerv im lebenden Thier sich
findet, vernichtet die Erregbarkeit, selbst wenn sonst alle Bedingungen
zur Erhaltung derselben gegeben sind. Eckhard *) legte, um die
Erscheinungen zu studiren, die noch mit einem Muskel in Verbindung
befindlichen Nerven eines Frosches in Wasser von verschiedenen aber
jedesmal constanten Temperaturen und prüfte dann von Zeit zu Zeit das
Vorhandensein der Erregbarkeit mittelst eines elektrischen Schlages.
Hier ergab sich, dass in Wasser von + 10° bis + 20° R., der Nerv
nicht merklich rascher abstarb, als in feuchter Luft gleicher Tempera-
tur. Im Wasser von 0° starb der Nerv binnen 45 Sekunden und bei
— 3° bis — 5° starb er momentan ab; in einer Temperatur von
30° erhielt er sich 12 bis 15 Sekunden und in einer solchen von +
55° bis + 60° war er nur noch momentan erregbar. Aehnlich verhal-
ten sich nach E. H. Weber die Hautnerven des Menschen. Aus dem
Mitgetheilten ergibt sich von selbst, dass nur enge Wärmegrenzen
die Erhaltung der Erregbarkeit begünstigen. —

η) Der elektrische Strom wirkt unter allen Umständen
schwächend auf den Nerven; diese Schwächung geht jedoch nicht
durchweg proportional der Dichtigkeit und Intensität derselben, denn
obwohl dichtere und intensivere Ströme, gemäss ihrer elektrolytischen
Kraft, rascher den Nerven angreifen, als schwache und weniger dichte,
so zeigt sich doch auch noch innerhalb gewisser Grenzen die Rich-
tung, und durchgreifend die Schwankung, oder die Veränderlichkeit
ihrer Stärken während der Dauer ihrer Anwesenheit von Bedeutung.
Nach Ritter sollen nämlich schwache Ströme, wenn sie aufsteigend
(von der Nervenendung gegen den Ursprung im Hirn und Rücken-
mark) den Nerven durchlaufen, eher die Erregbarkeit erhöhen als
schwächen, während die absteigenden schwächen sollen. Die Erreg-
barkeit wird dagegen durch einen äusserst schwachen, durch gewöhn-

*) Ueber die Einwirkung der Temperatur etc. Henle u. Pfeufer X. Bd. 165. Die von Pick-
ford
im ersten Band der neuen Folge derselben Zeitschrift gegebenen Mittheilungen über
denselben Gegenstand können leider nicht benutzt werden, weil sie theils sich selbst wider-
sprechen, vorzugsweise aber weil die Methoden, die zur Feststellung der Thatsachen be-
nutzt wurden, vielfach mit Fehlern behaftet sind.
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[107/0121] Bedingungen der veränderten Erregbarkeit. Haloidsalze; indifferenter erscheinen Blausäure, Strychninlösung, Wasser und fette Oele, indem in diesen ein abgeschnittenes Nervenstück seine Erregbarkeit nur um weniges früher einbüsst, als in einem vor Verdunstung geschützten Raume. Vielleicht stehen mit den eben gemeldeten Thatsachen die Er- scheinungen in Verbindung, dass die Erregbarkeit der Nerven mit den Jahreszeiten [welche das Futter und damit die Zusammensetzung des Blutes ändern] veränderlich ist, wie denn die Frösche im Herbst und Frühjahr (vor der Begattung) erregbarer sind, als im hohen Sommer oder tiefen Winter, ferner dass uns die Abend- und die Jugendzeit ge- wöhnlich erregbarer findet, als der Morgen und das Alter u. s. w. — ε) Die Wärme, welche sich nach oben oder unten beträchtlich von derjenigen entfernt, in welcher der Nerv im lebenden Thier sich findet, vernichtet die Erregbarkeit, selbst wenn sonst alle Bedingungen zur Erhaltung derselben gegeben sind. Eckhard *) legte, um die Erscheinungen zu studiren, die noch mit einem Muskel in Verbindung befindlichen Nerven eines Frosches in Wasser von verschiedenen aber jedesmal constanten Temperaturen und prüfte dann von Zeit zu Zeit das Vorhandensein der Erregbarkeit mittelst eines elektrischen Schlages. Hier ergab sich, dass in Wasser von + 10° bis + 20° R., der Nerv nicht merklich rascher abstarb, als in feuchter Luft gleicher Tempera- tur. Im Wasser von 0° starb der Nerv binnen 45 Sekunden und bei — 3° bis — 5° starb er momentan ab; in einer Temperatur von 30° erhielt er sich 12 bis 15 Sekunden und in einer solchen von + 55° bis + 60° war er nur noch momentan erregbar. Aehnlich verhal- ten sich nach E. H. Weber die Hautnerven des Menschen. Aus dem Mitgetheilten ergibt sich von selbst, dass nur enge Wärmegrenzen die Erhaltung der Erregbarkeit begünstigen. — η) Der elektrische Strom wirkt unter allen Umständen schwächend auf den Nerven; diese Schwächung geht jedoch nicht durchweg proportional der Dichtigkeit und Intensität derselben, denn obwohl dichtere und intensivere Ströme, gemäss ihrer elektrolytischen Kraft, rascher den Nerven angreifen, als schwache und weniger dichte, so zeigt sich doch auch noch innerhalb gewisser Grenzen die Rich- tung, und durchgreifend die Schwankung, oder die Veränderlichkeit ihrer Stärken während der Dauer ihrer Anwesenheit von Bedeutung. Nach Ritter sollen nämlich schwache Ströme, wenn sie aufsteigend (von der Nervenendung gegen den Ursprung im Hirn und Rücken- mark) den Nerven durchlaufen, eher die Erregbarkeit erhöhen als schwächen, während die absteigenden schwächen sollen. Die Erreg- barkeit wird dagegen durch einen äusserst schwachen, durch gewöhn- *) Ueber die Einwirkung der Temperatur etc. Henle u. Pfeufer X. Bd. 165. Die von Pick- ford im ersten Band der neuen Folge derselben Zeitschrift gegebenen Mittheilungen über denselben Gegenstand können leider nicht benutzt werden, weil sie theils sich selbst wider- sprechen, vorzugsweise aber weil die Methoden, die zur Feststellung der Thatsachen be- nutzt wurden, vielfach mit Fehlern behaftet sind.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/121>, abgerufen am 25.04.2024.