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Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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welches aufgehäuft in einer Ecke lag, als sich Johannes, dem Ersticken nahe, rasch besann. Sein Weib vom Boden auf und in seine Arme reißen, die Thüre mit einem gewaltigen Stoße eintreten und in das Freie stürzen, war das Werk weniger Secunden.

Draußen hatte sich indeß die Scene wie mit Zauberschlag verwandelt. Es regnete nicht mehr, ein köstlich erfrischender Hauch wehte ihm entgegen, und inmitten des zerspaltenen und fliehenden Gewölkes sah der blaue Himmel wie das versöhnte Auge Gottes nieder auf die Stätte der Verwüstung. Die Wasser verliefen sich nach den tieferen Stellen des Waldes zu; die Sonne kam und strich mit liebkosender Mutterhand über die Wunden hin, die der Sturm ihrer lieben Erde geschlagen. Ich lebe noch und ihr sollt wieder leben -- sprach ihr tröstender Blick. Und die gebeugten Büsche richteten sich auf, die Bäume schüttelten die überstandene Angst in schweren Tropfen von sich ab, die Blumen hoben die gesenkten Köpfchen, und die Vögel, die, der Himmel wußte wo, indeß in Sicherheit gesessen hatten, flatterten hervor; sie putzten die gesträubten Federn glatt, sie öffneten die Schnäbel und probirten, ob es sich nach alledem noch singen und noch fliegen lasse in der Welt.

Johannes aber eilte, ohne sich umzusehen und wie gejagt von den Flammen, welche hinter ihm aus der Hütte schlugen, keuchend vorwärts. Er kannte einen erhöhten Weg durch das Gestein; diesen dachte er mit seiner Last einzuschlagen, als er nach kaum zwanzig Schritten plötzlich stehen blieb. Ein jäher Schmerz am Fuße verhinderte ihn weiter zu gehen. Rathlos blickte

welches aufgehäuft in einer Ecke lag, als sich Johannes, dem Ersticken nahe, rasch besann. Sein Weib vom Boden auf und in seine Arme reißen, die Thüre mit einem gewaltigen Stoße eintreten und in das Freie stürzen, war das Werk weniger Secunden.

Draußen hatte sich indeß die Scene wie mit Zauberschlag verwandelt. Es regnete nicht mehr, ein köstlich erfrischender Hauch wehte ihm entgegen, und inmitten des zerspaltenen und fliehenden Gewölkes sah der blaue Himmel wie das versöhnte Auge Gottes nieder auf die Stätte der Verwüstung. Die Wasser verliefen sich nach den tieferen Stellen des Waldes zu; die Sonne kam und strich mit liebkosender Mutterhand über die Wunden hin, die der Sturm ihrer lieben Erde geschlagen. Ich lebe noch und ihr sollt wieder leben — sprach ihr tröstender Blick. Und die gebeugten Büsche richteten sich auf, die Bäume schüttelten die überstandene Angst in schweren Tropfen von sich ab, die Blumen hoben die gesenkten Köpfchen, und die Vögel, die, der Himmel wußte wo, indeß in Sicherheit gesessen hatten, flatterten hervor; sie putzten die gesträubten Federn glatt, sie öffneten die Schnäbel und probirten, ob es sich nach alledem noch singen und noch fliegen lasse in der Welt.

Johannes aber eilte, ohne sich umzusehen und wie gejagt von den Flammen, welche hinter ihm aus der Hütte schlugen, keuchend vorwärts. Er kannte einen erhöhten Weg durch das Gestein; diesen dachte er mit seiner Last einzuschlagen, als er nach kaum zwanzig Schritten plötzlich stehen blieb. Ein jäher Schmerz am Fuße verhinderte ihn weiter zu gehen. Rathlos blickte

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[0049] welches aufgehäuft in einer Ecke lag, als sich Johannes, dem Ersticken nahe, rasch besann. Sein Weib vom Boden auf und in seine Arme reißen, die Thüre mit einem gewaltigen Stoße eintreten und in das Freie stürzen, war das Werk weniger Secunden. Draußen hatte sich indeß die Scene wie mit Zauberschlag verwandelt. Es regnete nicht mehr, ein köstlich erfrischender Hauch wehte ihm entgegen, und inmitten des zerspaltenen und fliehenden Gewölkes sah der blaue Himmel wie das versöhnte Auge Gottes nieder auf die Stätte der Verwüstung. Die Wasser verliefen sich nach den tieferen Stellen des Waldes zu; die Sonne kam und strich mit liebkosender Mutterhand über die Wunden hin, die der Sturm ihrer lieben Erde geschlagen. Ich lebe noch und ihr sollt wieder leben — sprach ihr tröstender Blick. Und die gebeugten Büsche richteten sich auf, die Bäume schüttelten die überstandene Angst in schweren Tropfen von sich ab, die Blumen hoben die gesenkten Köpfchen, und die Vögel, die, der Himmel wußte wo, indeß in Sicherheit gesessen hatten, flatterten hervor; sie putzten die gesträubten Federn glatt, sie öffneten die Schnäbel und probirten, ob es sich nach alledem noch singen und noch fliegen lasse in der Welt. Johannes aber eilte, ohne sich umzusehen und wie gejagt von den Flammen, welche hinter ihm aus der Hütte schlugen, keuchend vorwärts. Er kannte einen erhöhten Weg durch das Gestein; diesen dachte er mit seiner Last einzuschlagen, als er nach kaum zwanzig Schritten plötzlich stehen blieb. Ein jäher Schmerz am Fuße verhinderte ihn weiter zu gehen. Rathlos blickte

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:36:23Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:36:23Z)

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Zitationshilfe: Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_gericht_1910/49>, abgerufen am 28.03.2024.