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Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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zerschmetternd in ihr Hirn fiel, erstickte ihren letzten Angstschrei. Tief in die Stube hineingeschleudert, stand das junge Weib noch secundenlang hochaufgerichtet, mit ausgestreckten Armen, todtenbleich in der gräßlichen Beleuchtung -- dann lag sie regungslos, lang ausgestreckt auf dem Boden.

Rose-Marie! schrie es aus der Kammerthüre; ein Mann stürzte über die Schwelle und warf sich verzweifelnd neben den starren Körper an die Erde hin. "Todt?" fragte er und: "todt!" grollte der noch immer fortrollende Donner über dem Dache der Hütte und den Häuptern der Beiden hin. Aber die Wuth des Wetters war gebrochen mit dem vernichtenden Schlage; es schien mit dem Opfer zufrieden, das gefallen war, es entfloh, wie der Mörder flieht von dem Schauplatze seiner Thaten, und weiter und weiter in rasender Eile gen Osten zogen die gelichteten, zerrissenen und zerflatternden Wolken über den Himmel dahin. Bald murrte und zuckte es nur aus der Ferne noch matt herüber, und der Regen weinte sich nur noch leise aus, wie zornige Liebe, die sich zum Vergeben neigt. Es wurde hell und heller in der Luft, um so dunkler aber war die Scene, die das wiederkehrende Tageslicht drinnen in der unheimlichen Hütte beleuchtete.

Rose-Marie! mein Weib! einzig geliebtes, theures Weib! du sollst, du darfst nicht sterben! rief Johannes mit dem Wahnsinn der Verzweiflung, indem er sich auf sie niederwarf und ihre kalten Lippen, ihre geschlossenen Augen mit seinen Küssen bedeckte. Nichts darf uns scheiden -- hörst du? nicht einmal der Tod. Es ist

zerschmetternd in ihr Hirn fiel, erstickte ihren letzten Angstschrei. Tief in die Stube hineingeschleudert, stand das junge Weib noch secundenlang hochaufgerichtet, mit ausgestreckten Armen, todtenbleich in der gräßlichen Beleuchtung — dann lag sie regungslos, lang ausgestreckt auf dem Boden.

Rose-Marie! schrie es aus der Kammerthüre; ein Mann stürzte über die Schwelle und warf sich verzweifelnd neben den starren Körper an die Erde hin. „Todt?“ fragte er und: „todt!“ grollte der noch immer fortrollende Donner über dem Dache der Hütte und den Häuptern der Beiden hin. Aber die Wuth des Wetters war gebrochen mit dem vernichtenden Schlage; es schien mit dem Opfer zufrieden, das gefallen war, es entfloh, wie der Mörder flieht von dem Schauplatze seiner Thaten, und weiter und weiter in rasender Eile gen Osten zogen die gelichteten, zerrissenen und zerflatternden Wolken über den Himmel dahin. Bald murrte und zuckte es nur aus der Ferne noch matt herüber, und der Regen weinte sich nur noch leise aus, wie zornige Liebe, die sich zum Vergeben neigt. Es wurde hell und heller in der Luft, um so dunkler aber war die Scene, die das wiederkehrende Tageslicht drinnen in der unheimlichen Hütte beleuchtete.

Rose-Marie! mein Weib! einzig geliebtes, theures Weib! du sollst, du darfst nicht sterben! rief Johannes mit dem Wahnsinn der Verzweiflung, indem er sich auf sie niederwarf und ihre kalten Lippen, ihre geschlossenen Augen mit seinen Küssen bedeckte. Nichts darf uns scheiden — hörst du? nicht einmal der Tod. Es ist

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[0046] zerschmetternd in ihr Hirn fiel, erstickte ihren letzten Angstschrei. Tief in die Stube hineingeschleudert, stand das junge Weib noch secundenlang hochaufgerichtet, mit ausgestreckten Armen, todtenbleich in der gräßlichen Beleuchtung — dann lag sie regungslos, lang ausgestreckt auf dem Boden. Rose-Marie! schrie es aus der Kammerthüre; ein Mann stürzte über die Schwelle und warf sich verzweifelnd neben den starren Körper an die Erde hin. „Todt?“ fragte er und: „todt!“ grollte der noch immer fortrollende Donner über dem Dache der Hütte und den Häuptern der Beiden hin. Aber die Wuth des Wetters war gebrochen mit dem vernichtenden Schlage; es schien mit dem Opfer zufrieden, das gefallen war, es entfloh, wie der Mörder flieht von dem Schauplatze seiner Thaten, und weiter und weiter in rasender Eile gen Osten zogen die gelichteten, zerrissenen und zerflatternden Wolken über den Himmel dahin. Bald murrte und zuckte es nur aus der Ferne noch matt herüber, und der Regen weinte sich nur noch leise aus, wie zornige Liebe, die sich zum Vergeben neigt. Es wurde hell und heller in der Luft, um so dunkler aber war die Scene, die das wiederkehrende Tageslicht drinnen in der unheimlichen Hütte beleuchtete. Rose-Marie! mein Weib! einzig geliebtes, theures Weib! du sollst, du darfst nicht sterben! rief Johannes mit dem Wahnsinn der Verzweiflung, indem er sich auf sie niederwarf und ihre kalten Lippen, ihre geschlossenen Augen mit seinen Küssen bedeckte. Nichts darf uns scheiden — hörst du? nicht einmal der Tod. Es ist

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:36:23Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:36:23Z)

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Zitationshilfe: Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_gericht_1910/46>, abgerufen am 25.04.2024.