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Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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hatte -- sein Stehen und sein Gehen, die leiseste Bewegung, sein Reden mit den Leuten und mit ihr und jedes kleinste Thun und Lassen -- das Alles zeigte ihr mit einem Male den Mann, den sie mit quellendem Jubel im Herzen der ganzen Welt als den Ihren hätte zeigen mögen.

Und seltsam! hatte sie nicht immer so gedacht? trotz Allem, was die Leute sagten, trotz Allem, was sie selbst geredet und gethan? Auch das Letzte wurde klar in ihr und mit dem furchtbaren Gedanken, daß Alles nun zu spät --

"Geschieden, geschieden Auf ewige Zeit" --

ging es wie ein gewaltiger Riß durch ihr ganzes Wesen.

Aber ich hab' ihn und ich halt' ihn fest, und keine Macht des Himmels und der Erden soll ihn mir entreißen, schrie die Geängstigte aus ihren Qualen auf; wir Zwei gehören zu einander -- für Zeit und Ewigkeit -- so hat der fromme Pfarrherr selbst gesagt. Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden --

Und wer ist's denn gewesen, der auf Scheidung hat geklagt? Leid's nicht, mein Herr und Gott! rief sie wieder und rang die Hände immer heißer ineinander -- ich kann nicht leben ohne ihn -- nicht sterben -- -- Johannes! schrie sie mit einem dumpfen Wehlaut, dann glitt sie lautlos von der Bank herab und faltete die Hände auf derselben zu heißem brünstigen Gebete.

Rose-Marie! klang es hinter ihr. Sie fuhr erschreckt herum; es war dunkel, leer -- sie hatte sich getäuscht. Plötzlich kam ihr die Erkenntnis; des schauer-

hatte — sein Stehen und sein Gehen, die leiseste Bewegung, sein Reden mit den Leuten und mit ihr und jedes kleinste Thun und Lassen — das Alles zeigte ihr mit einem Male den Mann, den sie mit quellendem Jubel im Herzen der ganzen Welt als den Ihren hätte zeigen mögen.

Und seltsam! hatte sie nicht immer so gedacht? trotz Allem, was die Leute sagten, trotz Allem, was sie selbst geredet und gethan? Auch das Letzte wurde klar in ihr und mit dem furchtbaren Gedanken, daß Alles nun zu spät —

„Geschieden, geschieden Auf ewige Zeit“ —

ging es wie ein gewaltiger Riß durch ihr ganzes Wesen.

Aber ich hab' ihn und ich halt' ihn fest, und keine Macht des Himmels und der Erden soll ihn mir entreißen, schrie die Geängstigte aus ihren Qualen auf; wir Zwei gehören zu einander — für Zeit und Ewigkeit — so hat der fromme Pfarrherr selbst gesagt. Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden —

Und wer ist's denn gewesen, der auf Scheidung hat geklagt? Leid's nicht, mein Herr und Gott! rief sie wieder und rang die Hände immer heißer ineinander — ich kann nicht leben ohne ihn — nicht sterben — — Johannes! schrie sie mit einem dumpfen Wehlaut, dann glitt sie lautlos von der Bank herab und faltete die Hände auf derselben zu heißem brünstigen Gebete.

Rose-Marie! klang es hinter ihr. Sie fuhr erschreckt herum; es war dunkel, leer — sie hatte sich getäuscht. Plötzlich kam ihr die Erkenntnis; des schauer-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:36:23Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:36:23Z)

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Zitationshilfe: Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_gericht_1910/44>, abgerufen am 29.03.2024.