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Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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der Johannes. Sie durfte also ruhig sein und bleiben, wo sie war.

Laßt mich nur erst frei sein! hatte sie vorhin gesagt und dazu aus tiefster Seele aufgeathmet -- jetzt saß sie still in sich hineingekehrt bei dem Gedanken. Nur wenn sich die Läden ächzend in den rostigen Angeln drehten und die vom Regen getrillte kleine Wetterfahne über ihrem Haupte kreischte, daß es klang wie ferner Hülfeschrei, zuckte sie von ihrem Sitze auf, als ob sie vorwärts und zur Thüre wolle, um hinauszustürzen in das wilde Wetter. Dann schüttelte sie wohl den Kopf und setzte sich auch wieder ruhig hin, ohne darum das Bild, das sie verfolgte, los zu werden.

Sie hatte es einmal als Kind mit angesehen, wie Einer jämmerlich ertrinken mußte; damals war ihr der Anblick lange nicht aus dem Sinn gekommen, und mehr als einmal hatte er sie seitdem im Traume erschreckt. So mochte es auch jetzt wohl eine Art von Träumen sein, das sie überkam. Denn wieder lief es vor ihr hin das gelbe, hochaufschäumende Gewoge des heimathlichen Mühlbachs -- der schwere Himmel hing darüber her, und aus seinem schwarzen Schooße fuhren die blendenden Blitze über das Wasser. Mitten in der bläulichen Beleuchtung aber tauchte bald ein Fuß, bald ein Arm, bald der ganze Körper eines Menschen auf, der verzweifelnd mit den Wellen rang, ohne daß man ihm zu Hülfe kommen konnte -- zuletzt war es nur der Kopf noch, der sich über Wasser hielt -- aber es war jetzt nicht der Kopf des fremden Knechtes mehr, der jenes Mal beim Wolkenbruche umgekommen war; sie kannte es,

der Johannes. Sie durfte also ruhig sein und bleiben, wo sie war.

Laßt mich nur erst frei sein! hatte sie vorhin gesagt und dazu aus tiefster Seele aufgeathmet — jetzt saß sie still in sich hineingekehrt bei dem Gedanken. Nur wenn sich die Läden ächzend in den rostigen Angeln drehten und die vom Regen getrillte kleine Wetterfahne über ihrem Haupte kreischte, daß es klang wie ferner Hülfeschrei, zuckte sie von ihrem Sitze auf, als ob sie vorwärts und zur Thüre wolle, um hinauszustürzen in das wilde Wetter. Dann schüttelte sie wohl den Kopf und setzte sich auch wieder ruhig hin, ohne darum das Bild, das sie verfolgte, los zu werden.

Sie hatte es einmal als Kind mit angesehen, wie Einer jämmerlich ertrinken mußte; damals war ihr der Anblick lange nicht aus dem Sinn gekommen, und mehr als einmal hatte er sie seitdem im Traume erschreckt. So mochte es auch jetzt wohl eine Art von Träumen sein, das sie überkam. Denn wieder lief es vor ihr hin das gelbe, hochaufschäumende Gewoge des heimathlichen Mühlbachs — der schwere Himmel hing darüber her, und aus seinem schwarzen Schooße fuhren die blendenden Blitze über das Wasser. Mitten in der bläulichen Beleuchtung aber tauchte bald ein Fuß, bald ein Arm, bald der ganze Körper eines Menschen auf, der verzweifelnd mit den Wellen rang, ohne daß man ihm zu Hülfe kommen konnte — zuletzt war es nur der Kopf noch, der sich über Wasser hielt — aber es war jetzt nicht der Kopf des fremden Knechtes mehr, der jenes Mal beim Wolkenbruche umgekommen war; sie kannte es,

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[0041] der Johannes. Sie durfte also ruhig sein und bleiben, wo sie war. Laßt mich nur erst frei sein! hatte sie vorhin gesagt und dazu aus tiefster Seele aufgeathmet — jetzt saß sie still in sich hineingekehrt bei dem Gedanken. Nur wenn sich die Läden ächzend in den rostigen Angeln drehten und die vom Regen getrillte kleine Wetterfahne über ihrem Haupte kreischte, daß es klang wie ferner Hülfeschrei, zuckte sie von ihrem Sitze auf, als ob sie vorwärts und zur Thüre wolle, um hinauszustürzen in das wilde Wetter. Dann schüttelte sie wohl den Kopf und setzte sich auch wieder ruhig hin, ohne darum das Bild, das sie verfolgte, los zu werden. Sie hatte es einmal als Kind mit angesehen, wie Einer jämmerlich ertrinken mußte; damals war ihr der Anblick lange nicht aus dem Sinn gekommen, und mehr als einmal hatte er sie seitdem im Traume erschreckt. So mochte es auch jetzt wohl eine Art von Träumen sein, das sie überkam. Denn wieder lief es vor ihr hin das gelbe, hochaufschäumende Gewoge des heimathlichen Mühlbachs — der schwere Himmel hing darüber her, und aus seinem schwarzen Schooße fuhren die blendenden Blitze über das Wasser. Mitten in der bläulichen Beleuchtung aber tauchte bald ein Fuß, bald ein Arm, bald der ganze Körper eines Menschen auf, der verzweifelnd mit den Wellen rang, ohne daß man ihm zu Hülfe kommen konnte — zuletzt war es nur der Kopf noch, der sich über Wasser hielt — aber es war jetzt nicht der Kopf des fremden Knechtes mehr, der jenes Mal beim Wolkenbruche umgekommen war; sie kannte es,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:36:23Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:36:23Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_gericht_1910/41>, abgerufen am 20.04.2024.