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Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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weltsgesichter! Das soll ein Ende haben mit dem absonderlichen Gucken, als wär' was an mir, was nicht dürfte sein -- mit dem wehleidigen Gethue und der Bedauerniß von wegen dem -- Sie lachte höhnisch auf. Satt hab' ich's, fuhr sie fort, das unnütze Reden hin und wider, wo jeder Narr meint, er muß mir seinen Dreibatzenrath aufschwatzen für 'ne Schal' Kaffee und: hab' ich's nit gesagt? kommt alleweil dahinter vorgeguckt. Geht! geht! ich kann's allein machen -- laßt mich nur erst frei sein -- frei! sagte sie noch einmal und schritt trotzig weiter.

Es war ein schwüler Morgen, und der Wiesenpfad, den sie mit einem Blicke auf die spiegelblanken Sonntagsschuhe einschlug, zeigte sich zum Glücke für dieselben trocken. Es hatte nicht gethaut -- ein zweites Zeichen, daß die rings um den Horizont aufsteigenden Wolken das Versäumte früher oder später nachzuholen dächten. Eine tiefe Stille lag in der Luft, die Gräser standen und rührten sich nicht, und manche kräftige Feldblume hing das feine Köpfchen, wie ein schmachtendes Stadtkind. Die Rose-Marie sah mit einer Art hochmüthigen Mitleids darauf hernieder, bald jedoch hatte sie des Himmels über sich so wenig mehr Acht, wie der Erde unter ihren Füßen; sie sah und ging gerade vor sich hin. Was sie dachte, hätte selbst ein Physiognom und Psycholog von Profession nicht von ihrer Stirne abgelesen, aber was sie auch vorhatte -- und sie hatte etwas

weltsgesichter! Das soll ein Ende haben mit dem absonderlichen Gucken, als wär' was an mir, was nicht dürfte sein — mit dem wehleidigen Gethue und der Bedauerniß von wegen dem — Sie lachte höhnisch auf. Satt hab' ich's, fuhr sie fort, das unnütze Reden hin und wider, wo jeder Narr meint, er muß mir seinen Dreibatzenrath aufschwatzen für 'ne Schal' Kaffee und: hab' ich's nit gesagt? kommt alleweil dahinter vorgeguckt. Geht! geht! ich kann's allein machen — laßt mich nur erst frei sein — frei! sagte sie noch einmal und schritt trotzig weiter.

Es war ein schwüler Morgen, und der Wiesenpfad, den sie mit einem Blicke auf die spiegelblanken Sonntagsschuhe einschlug, zeigte sich zum Glücke für dieselben trocken. Es hatte nicht gethaut — ein zweites Zeichen, daß die rings um den Horizont aufsteigenden Wolken das Versäumte früher oder später nachzuholen dächten. Eine tiefe Stille lag in der Luft, die Gräser standen und rührten sich nicht, und manche kräftige Feldblume hing das feine Köpfchen, wie ein schmachtendes Stadtkind. Die Rose-Marie sah mit einer Art hochmüthigen Mitleids darauf hernieder, bald jedoch hatte sie des Himmels über sich so wenig mehr Acht, wie der Erde unter ihren Füßen; sie sah und ging gerade vor sich hin. Was sie dachte, hätte selbst ein Physiognom und Psycholog von Profession nicht von ihrer Stirne abgelesen, aber was sie auch vorhatte — und sie hatte etwas

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:36:23Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:36:23Z)

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Zitationshilfe: Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_gericht_1910/10>, abgerufen am 25.04.2024.