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Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Keinen Scherz! rief er; Graf Lothar kömmt heute Abend hier an, stellt sich dir erst vor, wie es die Form erheischt, bringt bei mir dann die förmliche Werbung an, und nachdem der Heirathscontract besprochen ist, bist du, würdig der Standesehre deines Hauses, verlobt, die Braut des Grafen Rudenkron-Börte.

Aber um Gotteswillen! War denn Alles, was wir bisher erlebten ein Traum, oder bin ich in diesem Augenblicke die Beute einer sinnlosen Fieberphantasie?

Was findest du phantastisch daran, daß du, eines Edelmanns Tochter, einen Edelmann heirathest?

Und Leo Thurn! schrie sie mit aller Gewalt ihrer Stimme, als hätte dieser lautgerufene Name den finstern Zauberbann brechen müssen, unter welchem sie jetzt zu stehen glaubte.

Ah, sagte der Baron lachend, da sind wir nun doch bei der Fieberphantasie! Die Tochter des hochgebornen Freiherrn von Börte, Kämmerers und Ordenscommandeurs, das Eheweib des Fabrikantensohnes, des Abkömmlings von Geldmäklern und Wucherern! Der Himmel ist mir besonders gnädig, daß er noch rechtzeitig eingreift, sonst wäre das tolle Hirngespinnst am Ende möglich und wirklich geworden. Ich bin nur deßhalb zu entschuldigen, einen Augenblick ernstlich daran gedacht zu haben, weil man in dieser Einsamkeit ganz aus Rand und Band kömmt und vergißt, daß man ja auch noch zu dieser Welt gehört, wie sie Gott eingerichtet hat. Nun mich dieser Brief wieder in die

Keinen Scherz! rief er; Graf Lothar kömmt heute Abend hier an, stellt sich dir erst vor, wie es die Form erheischt, bringt bei mir dann die förmliche Werbung an, und nachdem der Heirathscontract besprochen ist, bist du, würdig der Standesehre deines Hauses, verlobt, die Braut des Grafen Rudenkron-Börte.

Aber um Gotteswillen! War denn Alles, was wir bisher erlebten ein Traum, oder bin ich in diesem Augenblicke die Beute einer sinnlosen Fieberphantasie?

Was findest du phantastisch daran, daß du, eines Edelmanns Tochter, einen Edelmann heirathest?

Und Leo Thurn! schrie sie mit aller Gewalt ihrer Stimme, als hätte dieser lautgerufene Name den finstern Zauberbann brechen müssen, unter welchem sie jetzt zu stehen glaubte.

Ah, sagte der Baron lachend, da sind wir nun doch bei der Fieberphantasie! Die Tochter des hochgebornen Freiherrn von Börte, Kämmerers und Ordenscommandeurs, das Eheweib des Fabrikantensohnes, des Abkömmlings von Geldmäklern und Wucherern! Der Himmel ist mir besonders gnädig, daß er noch rechtzeitig eingreift, sonst wäre das tolle Hirngespinnst am Ende möglich und wirklich geworden. Ich bin nur deßhalb zu entschuldigen, einen Augenblick ernstlich daran gedacht zu haben, weil man in dieser Einsamkeit ganz aus Rand und Band kömmt und vergißt, daß man ja auch noch zu dieser Welt gehört, wie sie Gott eingerichtet hat. Nun mich dieser Brief wieder in die

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[0044] Keinen Scherz! rief er; Graf Lothar kömmt heute Abend hier an, stellt sich dir erst vor, wie es die Form erheischt, bringt bei mir dann die förmliche Werbung an, und nachdem der Heirathscontract besprochen ist, bist du, würdig der Standesehre deines Hauses, verlobt, die Braut des Grafen Rudenkron-Börte. Aber um Gotteswillen! War denn Alles, was wir bisher erlebten ein Traum, oder bin ich in diesem Augenblicke die Beute einer sinnlosen Fieberphantasie? Was findest du phantastisch daran, daß du, eines Edelmanns Tochter, einen Edelmann heirathest? Und Leo Thurn! schrie sie mit aller Gewalt ihrer Stimme, als hätte dieser lautgerufene Name den finstern Zauberbann brechen müssen, unter welchem sie jetzt zu stehen glaubte. Ah, sagte der Baron lachend, da sind wir nun doch bei der Fieberphantasie! Die Tochter des hochgebornen Freiherrn von Börte, Kämmerers und Ordenscommandeurs, das Eheweib des Fabrikantensohnes, des Abkömmlings von Geldmäklern und Wucherern! Der Himmel ist mir besonders gnädig, daß er noch rechtzeitig eingreift, sonst wäre das tolle Hirngespinnst am Ende möglich und wirklich geworden. Ich bin nur deßhalb zu entschuldigen, einen Augenblick ernstlich daran gedacht zu haben, weil man in dieser Einsamkeit ganz aus Rand und Band kömmt und vergißt, daß man ja auch noch zu dieser Welt gehört, wie sie Gott eingerichtet hat. Nun mich dieser Brief wieder in die

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:30:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:30:32Z)

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Zitationshilfe: Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910/44>, abgerufen am 23.04.2024.