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Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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gleich dem Jehova des alten Testamentes ein eifersüchtiger Gott ist, der keine anderen Götter neben sich duldet. Ich tadle sie nicht, allein wie könnte ich Gemeinschaft mit ihnen haben? Und doch würde ich einen Genossen meiner Naturliebe sehr willkommen nennen. Es ist wohl eine Unbesonnenheit von mir, daß ich ihn in dem Mann vermuthete, der diese Landschaft im Winter aufsucht, wer weiß, in welcher geschäftlichen Absicht, die mit meiner Thorheit gar nichts gemein hat.

Wenn der Leser nicht vergessen hat, daß ich ihm die Motive erzählte, die mich stets zur Weihnachtszeit aus der großen Stadt forttrieben, so wird er ermessen, wie sehr diese Worte der seltsamen Frau mich treffen mußten. Ich brauchte nur der Wahrheit Stimme zu leihen, um sie zu überzeugen, daß hier ein wunderbarer Zufall zwei Menschen zusammengeführt hatte, die sich in einer gleichen und nicht häufig vorkommenden Auffassung des Gefühls für die Natur begegneten.

Wir waren während dieses Gespräches zum Schlosse gelangt, hatten das Portal überschritten und befanden uns am Fuße der breiten und schönen Treppe, als ich erst bemerkte, daß ich schicklicherweise wohl nicht weiter mit vordringen konnte. Ich blieb stehen; die Freifrau, die bereits einige Stufen erstiegen hatte, wandte sich um, und mit einem Ernste, dessen etwas gebieterischer Ton ohne Zweifel aus dem Wunsche hervorging, einer ihr angenehmen Vorstellung bis auf den Grund zu

gleich dem Jehova des alten Testamentes ein eifersüchtiger Gott ist, der keine anderen Götter neben sich duldet. Ich tadle sie nicht, allein wie könnte ich Gemeinschaft mit ihnen haben? Und doch würde ich einen Genossen meiner Naturliebe sehr willkommen nennen. Es ist wohl eine Unbesonnenheit von mir, daß ich ihn in dem Mann vermuthete, der diese Landschaft im Winter aufsucht, wer weiß, in welcher geschäftlichen Absicht, die mit meiner Thorheit gar nichts gemein hat.

Wenn der Leser nicht vergessen hat, daß ich ihm die Motive erzählte, die mich stets zur Weihnachtszeit aus der großen Stadt forttrieben, so wird er ermessen, wie sehr diese Worte der seltsamen Frau mich treffen mußten. Ich brauchte nur der Wahrheit Stimme zu leihen, um sie zu überzeugen, daß hier ein wunderbarer Zufall zwei Menschen zusammengeführt hatte, die sich in einer gleichen und nicht häufig vorkommenden Auffassung des Gefühls für die Natur begegneten.

Wir waren während dieses Gespräches zum Schlosse gelangt, hatten das Portal überschritten und befanden uns am Fuße der breiten und schönen Treppe, als ich erst bemerkte, daß ich schicklicherweise wohl nicht weiter mit vordringen konnte. Ich blieb stehen; die Freifrau, die bereits einige Stufen erstiegen hatte, wandte sich um, und mit einem Ernste, dessen etwas gebieterischer Ton ohne Zweifel aus dem Wunsche hervorging, einer ihr angenehmen Vorstellung bis auf den Grund zu

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[0027] gleich dem Jehova des alten Testamentes ein eifersüchtiger Gott ist, der keine anderen Götter neben sich duldet. Ich tadle sie nicht, allein wie könnte ich Gemeinschaft mit ihnen haben? Und doch würde ich einen Genossen meiner Naturliebe sehr willkommen nennen. Es ist wohl eine Unbesonnenheit von mir, daß ich ihn in dem Mann vermuthete, der diese Landschaft im Winter aufsucht, wer weiß, in welcher geschäftlichen Absicht, die mit meiner Thorheit gar nichts gemein hat. Wenn der Leser nicht vergessen hat, daß ich ihm die Motive erzählte, die mich stets zur Weihnachtszeit aus der großen Stadt forttrieben, so wird er ermessen, wie sehr diese Worte der seltsamen Frau mich treffen mußten. Ich brauchte nur der Wahrheit Stimme zu leihen, um sie zu überzeugen, daß hier ein wunderbarer Zufall zwei Menschen zusammengeführt hatte, die sich in einer gleichen und nicht häufig vorkommenden Auffassung des Gefühls für die Natur begegneten. Wir waren während dieses Gespräches zum Schlosse gelangt, hatten das Portal überschritten und befanden uns am Fuße der breiten und schönen Treppe, als ich erst bemerkte, daß ich schicklicherweise wohl nicht weiter mit vordringen konnte. Ich blieb stehen; die Freifrau, die bereits einige Stufen erstiegen hatte, wandte sich um, und mit einem Ernste, dessen etwas gebieterischer Ton ohne Zweifel aus dem Wunsche hervorging, einer ihr angenehmen Vorstellung bis auf den Grund zu

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:30:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:30:32Z)

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Zitationshilfe: Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910/27>, abgerufen am 28.03.2024.