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Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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sie, wir nennen sie nicht anders als die Freifrau, seit sie von ihrem Vater das "einödige" Schloß geerbt hat. Ehemals hat man sie natürlich die Baronin geheißen. Es ist aber bekannt geworden, daß sie diesen Titel nicht mag, seit sie einen Hausierer mit Modesachen, der immer ins Schloß gekommen und immer abgewiesen worden ist, einmal vor sich ließ, bloß weil er sagte, er wolle zur Freifrau von Börte, statt zur Baronin. Sie kaufte ihm Vieles ab, was sie nachher den Bäuerinnen geschenkt hat, und der Hausierer ist dann bei uns zu keinem Ende gekommen mit dem Erzählen, in welche Gunst es ihn gebracht, daß er ihr den Titel "Freifrau" gegeben hat. Vielleicht weil es ein ausländisches Wort ist und "Baronin" ihr schon zu gemein war. Seitdem sagt man nun überall: die "Freifrau" in der ganzen Gegend.

Es ist aber doch eine sonderbare Grille der Frau von Börte, bemerkte ich, daß sie so vielen Werth auf die Anrede legt.

Ja, sagte die Wirthin mit einer bezeichnenden Handbewegung nach der Stirne, das arme, alte Weibele! Es ist nicht ganz richtig mit ihr.

Was Sie sagen! rief ich fast erschreckt. Denn mit einer Verrückten läßt sich kein Geschäft machen, und schon der Versuch, sie zum Verkauf des Bildes zu bewegen, wäre sträflich gewesen.

Gewiß ist es freilich nicht, sagte die Wirthin und versicherte auch, daß sie die Behauptung zu einem andern

sie, wir nennen sie nicht anders als die Freifrau, seit sie von ihrem Vater das „einödige“ Schloß geerbt hat. Ehemals hat man sie natürlich die Baronin geheißen. Es ist aber bekannt geworden, daß sie diesen Titel nicht mag, seit sie einen Hausierer mit Modesachen, der immer ins Schloß gekommen und immer abgewiesen worden ist, einmal vor sich ließ, bloß weil er sagte, er wolle zur Freifrau von Börte, statt zur Baronin. Sie kaufte ihm Vieles ab, was sie nachher den Bäuerinnen geschenkt hat, und der Hausierer ist dann bei uns zu keinem Ende gekommen mit dem Erzählen, in welche Gunst es ihn gebracht, daß er ihr den Titel „Freifrau“ gegeben hat. Vielleicht weil es ein ausländisches Wort ist und „Baronin“ ihr schon zu gemein war. Seitdem sagt man nun überall: die „Freifrau“ in der ganzen Gegend.

Es ist aber doch eine sonderbare Grille der Frau von Börte, bemerkte ich, daß sie so vielen Werth auf die Anrede legt.

Ja, sagte die Wirthin mit einer bezeichnenden Handbewegung nach der Stirne, das arme, alte Weibele! Es ist nicht ganz richtig mit ihr.

Was Sie sagen! rief ich fast erschreckt. Denn mit einer Verrückten läßt sich kein Geschäft machen, und schon der Versuch, sie zum Verkauf des Bildes zu bewegen, wäre sträflich gewesen.

Gewiß ist es freilich nicht, sagte die Wirthin und versicherte auch, daß sie die Behauptung zu einem andern

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[0013] sie, wir nennen sie nicht anders als die Freifrau, seit sie von ihrem Vater das „einödige“ Schloß geerbt hat. Ehemals hat man sie natürlich die Baronin geheißen. Es ist aber bekannt geworden, daß sie diesen Titel nicht mag, seit sie einen Hausierer mit Modesachen, der immer ins Schloß gekommen und immer abgewiesen worden ist, einmal vor sich ließ, bloß weil er sagte, er wolle zur Freifrau von Börte, statt zur Baronin. Sie kaufte ihm Vieles ab, was sie nachher den Bäuerinnen geschenkt hat, und der Hausierer ist dann bei uns zu keinem Ende gekommen mit dem Erzählen, in welche Gunst es ihn gebracht, daß er ihr den Titel „Freifrau“ gegeben hat. Vielleicht weil es ein ausländisches Wort ist und „Baronin“ ihr schon zu gemein war. Seitdem sagt man nun überall: die „Freifrau“ in der ganzen Gegend. Es ist aber doch eine sonderbare Grille der Frau von Börte, bemerkte ich, daß sie so vielen Werth auf die Anrede legt. Ja, sagte die Wirthin mit einer bezeichnenden Handbewegung nach der Stirne, das arme, alte Weibele! Es ist nicht ganz richtig mit ihr. Was Sie sagen! rief ich fast erschreckt. Denn mit einer Verrückten läßt sich kein Geschäft machen, und schon der Versuch, sie zum Verkauf des Bildes zu bewegen, wäre sträflich gewesen. Gewiß ist es freilich nicht, sagte die Wirthin und versicherte auch, daß sie die Behauptung zu einem andern

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:30:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:30:32Z)

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Zitationshilfe: Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910/13>, abgerufen am 25.04.2024.