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Lorinser, Carl Ignaz: Der Sieg über die Branntweinpest in Oberschlesien. Oppeln, 1845.

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Zahlen erschrecken. Bei Hochzeiten stieg der Unfug so hoch, daß öfters das Brautpaar mit allen Gästen vom Altar zurückgewiesen, und die Trauung auf einen andern Tag verschoben werden mußte; bei Kindtaufen gerieth der Täufling nicht selten in Lebensgefahr. Zu allen Zeiten und an allen Orten, bei Nacht und bei Tage, während der Arbeit und der Muße wurde Branntwein getrunken; nur am Charfreitage, am ersten Tage der drei hohen Kirchenfeste und am Frohnleichnamstage schien die Völlerei von einer kurzen Sabbathruhe unterbrochen zu werden. Das männliche und das weibliche Geschlecht, und nicht allein Erwachsene, sondern auch Kinder, waren dem Laster der Trunksucht ergeben. Unter den Aermsten sogar, die selten Brod, fast niemals Fleisch genossen, und deren gewöhnliche Nahrung aus Kartoffeln, saurem Kohl und saurer Milch bestand, war Branntwein das tägliche und unentbehrliche Getränk. Diejenigen, welche nur so viel tranken, daß sie noch die Besinnung und den Gebrauch ihrer Glieder behielten, wurden kaum als Säufer angesehen. Ueberall im Volke war der Irrwahn verbreitet, und die falsche Ueberzeugung eingewurzelt, daß der Branntwein zur Erhaltung und Stärkung des Lebens ein nothwendiges Erforderniß sei, ohne welches der Mensch nicht bestehen, nichts ertragen, nichts vollbringen könne.

Es wäre sehr wünschenswerth und wichtig, zu wissen, wie viel Branntwein alljährlich erzeugt und consumirt worden ist. Mit Genauigkeit läßt sich aber die Quantität

Zahlen erschrecken. Bei Hochzeiten stieg der Unfug so hoch, daß öfters das Brautpaar mit allen Gästen vom Altar zurückgewiesen, und die Trauung auf einen andern Tag verschoben werden mußte; bei Kindtaufen gerieth der Täufling nicht selten in Lebensgefahr. Zu allen Zeiten und an allen Orten, bei Nacht und bei Tage, während der Arbeit und der Muße wurde Branntwein getrunken; nur am Charfreitage, am ersten Tage der drei hohen Kirchenfeste und am Frohnleichnamstage schien die Völlerei von einer kurzen Sabbathruhe unterbrochen zu werden. Das männliche und das weibliche Geschlecht, und nicht allein Erwachsene, sondern auch Kinder, waren dem Laster der Trunksucht ergeben. Unter den Aermsten sogar, die selten Brod, fast niemals Fleisch genossen, und deren gewöhnliche Nahrung aus Kartoffeln, saurem Kohl und saurer Milch bestand, war Branntwein das tägliche und unentbehrliche Getränk. Diejenigen, welche nur so viel tranken, daß sie noch die Besinnung und den Gebrauch ihrer Glieder behielten, wurden kaum als Säufer angesehen. Ueberall im Volke war der Irrwahn verbreitet, und die falsche Ueberzeugung eingewurzelt, daß der Branntwein zur Erhaltung und Stärkung des Lebens ein nothwendiges Erforderniß sei, ohne welches der Mensch nicht bestehen, nichts ertragen, nichts vollbringen könne.

Es wäre sehr wünschenswerth und wichtig, zu wissen, wie viel Branntwein alljährlich erzeugt und consumirt worden ist. Mit Genauigkeit läßt sich aber die Quantität

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Zahlen erschrecken. Bei Hochzeiten stieg der Unfug so hoch, daß öfters das Brautpaar mit allen Gästen vom Altar zurückgewiesen, und die Trauung auf einen andern Tag verschoben werden mußte; bei Kindtaufen gerieth der Täufling nicht selten in Lebensgefahr. Zu allen Zeiten und an allen Orten, bei Nacht und bei Tage, während der Arbeit und der Muße wurde Branntwein getrunken; nur am Charfreitage, am ersten Tage der drei hohen Kirchenfeste und am Frohnleichnamstage schien die Völlerei von einer kurzen Sabbathruhe unterbrochen zu werden. Das männliche und das weibliche Geschlecht, und nicht allein Erwachsene, sondern auch Kinder, waren dem Laster der Trunksucht ergeben. Unter den Aermsten sogar, die selten Brod, fast niemals Fleisch genossen, und deren gewöhnliche Nahrung aus Kartoffeln, saurem Kohl und saurer Milch bestand, war Branntwein das tägliche und unentbehrliche Getränk. Diejenigen, welche nur so viel tranken, daß sie noch die Besinnung und den Gebrauch ihrer Glieder behielten, wurden kaum als Säufer angesehen. Ueberall im Volke war der Irrwahn verbreitet, und die falsche Ueberzeugung eingewurzelt, daß der Branntwein zur Erhaltung und Stärkung des Lebens ein nothwendiges Erforderniß sei, ohne welches der Mensch nicht bestehen, nichts ertragen, nichts vollbringen könne.</p>
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[3/0013] Zahlen erschrecken. Bei Hochzeiten stieg der Unfug so hoch, daß öfters das Brautpaar mit allen Gästen vom Altar zurückgewiesen, und die Trauung auf einen andern Tag verschoben werden mußte; bei Kindtaufen gerieth der Täufling nicht selten in Lebensgefahr. Zu allen Zeiten und an allen Orten, bei Nacht und bei Tage, während der Arbeit und der Muße wurde Branntwein getrunken; nur am Charfreitage, am ersten Tage der drei hohen Kirchenfeste und am Frohnleichnamstage schien die Völlerei von einer kurzen Sabbathruhe unterbrochen zu werden. Das männliche und das weibliche Geschlecht, und nicht allein Erwachsene, sondern auch Kinder, waren dem Laster der Trunksucht ergeben. Unter den Aermsten sogar, die selten Brod, fast niemals Fleisch genossen, und deren gewöhnliche Nahrung aus Kartoffeln, saurem Kohl und saurer Milch bestand, war Branntwein das tägliche und unentbehrliche Getränk. Diejenigen, welche nur so viel tranken, daß sie noch die Besinnung und den Gebrauch ihrer Glieder behielten, wurden kaum als Säufer angesehen. Ueberall im Volke war der Irrwahn verbreitet, und die falsche Ueberzeugung eingewurzelt, daß der Branntwein zur Erhaltung und Stärkung des Lebens ein nothwendiges Erforderniß sei, ohne welches der Mensch nicht bestehen, nichts ertragen, nichts vollbringen könne. Es wäre sehr wünschenswerth und wichtig, zu wissen, wie viel Branntwein alljährlich erzeugt und consumirt worden ist. Mit Genauigkeit läßt sich aber die Quantität

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Zitationshilfe: Lorinser, Carl Ignaz: Der Sieg über die Branntweinpest in Oberschlesien. Oppeln, 1845, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lorinser_branntweinpest_1845/13>, abgerufen am 19.04.2024.