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Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Denke ich denn nur an mich? rief Justine; dir, du armes Kind, ist ein Leid geschehen, und jetzt mußt du es von mir erfahren. Sie stand auf, schloß das erschrockene Mädchen in die Arme und erzählte ihr Alles, oft von Thränen, oft von heftigen Klagen gegen den harten Vater unterbrochen. Mariane war ganz stumm, kein Wort ging über ihre Lippen, sie lag bewegungslos an Justinens Brust, die sie beschwor, sich auszuweinen, auszusprechen: Worte und Thränen wären gleich dem Regen beim Gewitter, und nichts in der Welt so ängstlich, als solches Schweigen. Aber Mariane hatte noch keinen klaren Gedanken, Justinens Heftigkeit that ihr nicht wohl, sie bat nur mit leiser Stimme: Laß mich ganz ruhig, du gute, getreue Seele; wenn du meine Mutter wärest, du könntest jetzt nichts weiter für mich thun. Und geh zu Bette, sei so gut! Ich bleibe noch hier, wenn ich dich nicht störe.

Justine legte sich nieder, schlafen mochte sie nicht, sie lauschte durch den Vorhang und sah Marianen noch nach Mitternacht am Fenster sitzen, den Kopf in die Hände gestützt; sie räusperte sich, hustete und machte mancherlei Geräusch, immer in der Erwartung, das arme Mädchen sollte Trost im Gespräch finden. Endlich war sie doch eingeschlummert, und nichts unterbrach die Ruhe der Nacht, als das einförmige Picken der Wanduhr. Es schlug Eins, der Mond war untergegangen, die Finsterniß schreckte Marianen aus ihren Gedanken auf. Wie war dein Licht so schön, sagte sie zu sich selbst, nun ist

Denke ich denn nur an mich? rief Justine; dir, du armes Kind, ist ein Leid geschehen, und jetzt mußt du es von mir erfahren. Sie stand auf, schloß das erschrockene Mädchen in die Arme und erzählte ihr Alles, oft von Thränen, oft von heftigen Klagen gegen den harten Vater unterbrochen. Mariane war ganz stumm, kein Wort ging über ihre Lippen, sie lag bewegungslos an Justinens Brust, die sie beschwor, sich auszuweinen, auszusprechen: Worte und Thränen wären gleich dem Regen beim Gewitter, und nichts in der Welt so ängstlich, als solches Schweigen. Aber Mariane hatte noch keinen klaren Gedanken, Justinens Heftigkeit that ihr nicht wohl, sie bat nur mit leiser Stimme: Laß mich ganz ruhig, du gute, getreue Seele; wenn du meine Mutter wärest, du könntest jetzt nichts weiter für mich thun. Und geh zu Bette, sei so gut! Ich bleibe noch hier, wenn ich dich nicht störe.

Justine legte sich nieder, schlafen mochte sie nicht, sie lauschte durch den Vorhang und sah Marianen noch nach Mitternacht am Fenster sitzen, den Kopf in die Hände gestützt; sie räusperte sich, hustete und machte mancherlei Geräusch, immer in der Erwartung, das arme Mädchen sollte Trost im Gespräch finden. Endlich war sie doch eingeschlummert, und nichts unterbrach die Ruhe der Nacht, als das einförmige Picken der Wanduhr. Es schlug Eins, der Mond war untergegangen, die Finsterniß schreckte Marianen aus ihren Gedanken auf. Wie war dein Licht so schön, sagte sie zu sich selbst, nun ist

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Zitationshilfe: Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910/28>, abgerufen am 29.03.2024.