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Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Sie mir nicht abschlagen wollen, sagte sie schluchzend; ich habe durch meine Muttersorgen doch auch ein Theil an Ihren Kindern. Sie sollen Marianen heute nichts sagen und nicht grilliger aussehen als gewöhnlich, ich will erst mit ihr reden; ich bin auch jung gewesen und weiß, wie es ihr ums Herz ist.

Ellinger gewährte das gern, denn die Thränen der Alten waren ihm noch unangenehmer als ihr Geschwätz. Als Justine die Thür öffnete, stand Börner dicht vor ihr, sie glaubte, er sehe mit Schadenfreude in ihre verweinten Augen und habe wohl Alles listig mit angehört. Deßhalb konnte sie eine höhnische Anspielung nicht unterdrücken, indem sie ihn einzutreten nöthigte. Börner schien sie nicht zu verstehen, seine kalt lächelnde Miene blieb dieselbe, seine Beflissenheit, den Hausherrn zu unterhalten, war noch größer als sonst. Auch gelang dies der unermüdeten Geduld, mit welcher er den Gegenstand des Gesprächs wechselte und einsilbige Antworten durch eigene Lebhaftigkeit ersetzte; die Wolken auf Ellinger's Stirn wurden leichter, und der neue Verdruß wich in den Hintergrund.

Der Mond war schon aufgegangen, über den stillen Fluthen der Elbe schwamm sein freundliches Silber, und ein luftiger Schleier legte sich um die blauen Berge am Horizont, da Mariane mit einer Schaar junger Mädchen nach der Stadt zurückkehrte. Sie war fröhlich im Nachgenuß des schönen Tages, ja es dünkte ihr, als könne ihre Brust kaum so viel Hohes und Herr-

Sie mir nicht abschlagen wollen, sagte sie schluchzend; ich habe durch meine Muttersorgen doch auch ein Theil an Ihren Kindern. Sie sollen Marianen heute nichts sagen und nicht grilliger aussehen als gewöhnlich, ich will erst mit ihr reden; ich bin auch jung gewesen und weiß, wie es ihr ums Herz ist.

Ellinger gewährte das gern, denn die Thränen der Alten waren ihm noch unangenehmer als ihr Geschwätz. Als Justine die Thür öffnete, stand Börner dicht vor ihr, sie glaubte, er sehe mit Schadenfreude in ihre verweinten Augen und habe wohl Alles listig mit angehört. Deßhalb konnte sie eine höhnische Anspielung nicht unterdrücken, indem sie ihn einzutreten nöthigte. Börner schien sie nicht zu verstehen, seine kalt lächelnde Miene blieb dieselbe, seine Beflissenheit, den Hausherrn zu unterhalten, war noch größer als sonst. Auch gelang dies der unermüdeten Geduld, mit welcher er den Gegenstand des Gesprächs wechselte und einsilbige Antworten durch eigene Lebhaftigkeit ersetzte; die Wolken auf Ellinger's Stirn wurden leichter, und der neue Verdruß wich in den Hintergrund.

Der Mond war schon aufgegangen, über den stillen Fluthen der Elbe schwamm sein freundliches Silber, und ein luftiger Schleier legte sich um die blauen Berge am Horizont, da Mariane mit einer Schaar junger Mädchen nach der Stadt zurückkehrte. Sie war fröhlich im Nachgenuß des schönen Tages, ja es dünkte ihr, als könne ihre Brust kaum so viel Hohes und Herr-

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:20:58Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910/23>, abgerufen am 18.04.2024.